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Syriens Kurden fürchten Trump – wegen Erdoğan: „Wer immer US-Präsident wird, sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein“
Elham Ahmad ist De-facto-Außenministerin der kurdischen Autonomieregion Syriens. Sie warnt: Zögen die USA ab, fiele Erdoğans Armee ein. Schon jetzt ist der Druck der Türkei auf die Region enorm.
Stand:
Wer in wenigen Tagen die US-Präsidentenwahl gewinnt, hat auch im Nahen Osten massiven Einfluss – oder wird ihn bewusst reduzieren.
Neben Israel, das maßgeblich von den USA unterstützt wird, sind die Amerikaner auch in Syrien präsent. Der kurdischen Autonomieregion dort droht, sollten die USA abziehen, nicht nur eine türkische Invasion, sondern ein Comeback des „Islamischen Staates“ (IS).
Die Dschihadisten wurden 2019 durch die von den USA unterstützte multiethnische, überkonfessionelle De-facto-Armee der kurdischen Autonomieregion, SDF, besiegt. Seitdem sitzen schätzungsweise 60.000 Männer, Frauen und Kinder aus einstigen IS-Netzwerken in umzäunten Zeltstädten, bewacht von kurdischen Kräften.
„Wir bemühen uns, dass die internationale Anti-IS-Koalition bei uns präsent bleibt, um die Erfolge der letzten Jahre zu sichern“, sagte Elham Ahmad, die De-facto-Außenministerin der kurdischen Autonomieregion in Nordost-Syrien, dem Tagesspiegel. „Im Rahmen der Anti-IS-Koalition sind in der Autonomieregion auch US-Soldaten stationiert. Die Erfahrung zeigt, dass sich das je nach Regierung in Washington schnell ändern kann.“
Wer immer in den USA nun Präsident wird, sollte sich seiner Verantwortung auch für Syrien bewusst sein.
Elham Ahmad, Außenbeauftragte der kurdischen Autonomieregion in Nordost-Syrien
Donald Trump hatte in seiner Amtszeit als US-Präsident (2017 bis 2021) einen Abzug der amerikanischen Truppen angekündigt. Tatsächlich wurde das Kontingent ab 2018 reduziert. Schon damals hatten türkische Truppen und mit ihnen verbündete Islamisten zunächst Afrin angegriffen, eine überwiegend von Kurden bewohnte Provinz in Nordsyrien. Seitdem herrschen dort Dschihadisten, Menschenrechtler sprechen von Folter, Vergewaltigungen und Morden.
Bald startete der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan größere Invasionen, heute hält die türkische Armee gemeinsam mit arabischen Söldnern größere Provinzen besetzt. Und Erdoğan droht, die kurdische Selbstverwaltung komplett zu zerschlagen. Diese wird von der säkularen PYD dominiert, in der Erdoğan den Ableger der in der Türkei aktiven militanten Arbeiterpartei Kurdistans PKK sieht.
„Wir fürchten, Trump könnte im Falle eines Wahlsieges das Engagement in Syrien beenden“, sagte die Außenbeauftragte Ahmad, die ebenfalls der PYD angehört. „Wer immer in den USA nun Präsident wird, sollte sich seiner Verantwortung auch für Syrien bewusst sein.“
Noch sind circa 900 US-Soldaten sowie amerikanische Nachrichtendienstler und private Sicherheitsberater in Syrien aktiv. Die meisten US-Streitkräfte sind in der kurdischen Autonomieregion stationiert. Einige US-Soldaten unterstützen den Flügel der „Freien syrischen Armee“ in At-Tanf, an der irakischen Grenze im Südosten Syriens.
Trotz der US-Präsenz lässt Erdoğan auch jetzt schon die Kurdenregion bombardieren – zum Ärger der Amerikaner. „Die steten Angriffe durch die türkische Luftwaffe und islamistische Banden gefährden die Sicherheit von Millionen Männern, Frauen und Kindern“, sagte Ahmad. „Der türkische Präsident Erdoğan setzt überall im Nahen Osten auf reaktionäre Kräfte. Er kritisiert die Eskalation in Gaza und im Libanon und lässt dabei selbst Nord- und Ostsyrien bombardieren.“
Am Freitag wollen kurdische Verbände in Deutschland den türkischen Staatschef anzeigen. Beim Generalbundesanwaltschaft soll Strafanzeige wegen diverser Völkerrechtsverbrechen gestellt werden, darunter die Zerstörung eines Diabeteszentrums, einer Notfallambulanz und einer Kinderimpfstation.
In der versehrten Autonomieregion gelingt es IS-Dschihadisten immer wieder aus den für sie errichteten Zeltstädten zu fliehen. „Zehntausende IS-Unterstützer aus mehr als 50 Ländern leben seit Jahren in Camps, die wir nur noch mühselig und unter großen Opfern bewachen können“, sagte die Außenbeauftragte Ahmad. „Auf Dauer werden wir diese Massen an brutalen Islamisten kaum beherrschen können, hier bedarf es mehr an internationaler Unterstützung auch für Deradikalisierungsmaßnahmen.“
Nach wie vor sitzen auch 30 aus Deutschland ausgereiste Fanatiker in Syrien fest. Anders als in Zentralsyrien und im benachbarten Irak droht ihnen in der Kurdenregion nicht die Todesstrafe.
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