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Am Dienstag wollten Demonstranten vielerorts den Druck auf die Regierung Netanjahus erhöhen, endlich einen Geiseldeal zu schließen.

© IMAGO/Anadolu Agency/IMAGO/Mostafa Alkharouf

Tag des Protests: Israelis fordern Freilassung der Geiseln – und verlieren die Geduld mit Netanjahu

Vielerorts protestieren Menschen in Israel am Dienstag für einen Geiseldeal. Ihre Regierung scheint andere Pläne zu haben. Gibt es noch Chancen auf eine Einigung?

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Eine lange Tafel mit schwarzer Tischdecke, dazu eine Reihe leerer Stühle, an denen Fotos hängen. Auf ihnen die Gesichter der Menschen, die fehlen, jeden Tag, seit fast zwei Jahren. Menschen, die die Hamas am 7. Oktober nach Gaza verschleppte und die noch immer dort sind, tot oder lebendig.

Angehörige stellten die Tafel am Dienstag mitten in Tel Aviv auf, auf dem einstigen Platz der Kunst, den alle hier nur noch „Platz der Geiseln“ nennen. Aktivisten hatten landesweite Proteste ausgerufen, um einen Deal zur Befreiung der letzten Entführten zu fordern.

Im ganzen Land gab es Demonstrationen, Straßenblockaden, Mahnwachen und andere Aktionen – alle mit dem Ziel, die rechts-religiöse Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einer Einigung mit der Hamas zu drängen.

Letzte Woche hatte die Terrororganisation den jüngsten Vorschlag der Vermittlerstaaten Ägypten und Katar angenommen. Demnach würde sie zehn lebende Geiseln im Rahmen einer 60 Tage langen Kampfpause freilassen und die Leichen 18 weiterer übergeben.

Im Gegenzug müsste Israel mehrere Hundert palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen, mehr humanitäre Lieferungen für Gaza ermöglichen und sich auf Gespräche über eine langfristige Waffenruhe einlassen. Bis Dienstagnachmittag hatte Israels Regierung den Vorschlag nicht formal beantwortet.

Familien von Geiseln drängen derweil darauf, ihn anzunehmen. „Es liegt ein Angebot auf dem Tisch!“, rief Hagit Chen, die Mutter der Geisel Itay Chen, am Dienstagmorgen bei einer Kundgebung auf dem Platz der Geiseln. „Wir fordern unsere Politiker auf, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und nicht aufzustehen, bis es eine Vereinbarung gibt, die festlegt, wann die letzte Geisel zurückkehren wird!“

Netanjahu will sich womöglich nicht auf den Vorschlag einlassen

Trotz aller Bemühungen der Aktivisten erscheinen die Aussichten auf einen baldigen Deal jedoch trüb. Israelischen Medienberichten zufolge, die sich auf Regierungsinsider berufen, will Netanjahu sich auf keine zeitlich begrenzte Waffenruhe einlassen.

Stattdessen soll er eine langfristige Einigung anstreben, deren Details wohl noch nicht feststehen.

Bekannt sind nur seine roten Linien: Der Zeitung „Haaretz“ zufolge dürfe es keine internationalen Sicherheitsgarantien geben, die künftige IDF-Einsätze in Gaza erschweren würden; Israel soll sich nicht aus dem sogenannten Philadelphi-Korridor entlang der Grenze zwischen Gaza und Ägypten zurückziehen; und es will keine Terroristen befreien, die an den Massakern des 7. Oktobers beteiligt waren.

Am Tag der Proteste war eine Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts geplant. Darin könnte es auch um die Verhandlungen für einen Geiseldeal gehen. In erster Linie sollte das Kabinett Berichten zufolge jedoch über einen detaillierten Plan der Streitkräfte IDF zur Einnahme der Stadt Gaza beraten.

Israelis fordeten am Dienstag ein Ende des Gaza-Krieges.

© AFP/JALAA MAREY

Anfang August hatte die Regierung beschossen, die Kämpfe in dem Küstenstreifen auf die Stadt auszuweiten – entgegen Warnungen des Armeechefs Eyal Zamir, der um das Schicksal der letzten geschätzt 20 überlebenden Geiseln fürchtet.

Eine der Protestaktionen war eine an der Küste aufgestellte Installation, die die Freilassung der Geiseln forderte – gegenüber vom US-Konsulat in Tel Aviv.

© REUTERS/stringer

Mehrere von ihnen werden in den Tunneln unter Gaza-Stadt vermutet – und die Hamas hat bereits bewiesen, dass sie Entführte eher ermordet, als diese in die Hände israelischer Soldaten fallen zu lassen. Insgesamt haben die Terroristen israelischen Informationen zufolge bisher 42 ursprünglich lebend verschleppte Geiseln in Gaza ermordet.

Manche israelischen Analysten gehen davon aus, dass Netanjahu die Einnahme der Stadt Gaza nicht ernsthaft anstrebt, sondern lediglich den Druck auf die Hamas in den Verhandlungen erhöhen will.

Es gehört nicht zur Agenda dieser Regierung, den Krieg zu beenden.

Die aufeinander folgenden Beratungen und Beschlüsse zu der geplanten Einnahme dienten vor allem dazu, „zu sehen, wie die Hamas reagiert“, sagte am Dienstag Suleiman Maswadeh, diplomatischer Korrespondent des öffentlich-rechtlichen Radiosenders Kan, in dessen Morgenprogramm.

Der Hamas-Experte Guy Aviad dagegen glaubt, dass Netanjahu es ernst meint. „Gerade sieht es danach aus, dass sich alles auf die Eroberung der Stadt Gaza zubewegt“, sagte er dieser Zeitung. „Es gibt eine bindende Entscheidung des Sicherheitskabinetts. Die Armee hat detaillierte Pläne vorbereitet. Und es gehört nicht zur Agenda dieser Regierung, den Krieg zu beenden.“

Bis zum Beginn der Operation könnte es noch einige Wochen dauern: Zuerst will die IDF die geschätzt gut eine Million Zivilisten, die derzeit in Gaza-Stadt leben, evakuieren. Die anschließenden Kämpfe könnten sich Annahmen der IDF zufolge bis ins kommende Frühjahr hinziehen.

Experten rechnen mit harten Häuserkämpfen, Sprengfallen und Hinterhalten. „Ich erwarte, dass es sehr schwierige Kämpfe werden“, sagt Hamas-Experte Aviad. „Nicht wenige Soldaten dürften fallen, nicht wenige verletzt werden. Und die Geiseln werden wir vermutlich nicht lebendig wiedersehen.“

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