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Ursula von der Leyen, Kaja Kallas, Roberta Metsola und Teresa Ribera

© Montage Tagesspiegel/Fotos: Philipp von Ditfurth/dpa (2), Frederick Florin/AFP, Nicolas Tucat/AFP

Thank God It’s International Friday 15: Jetzt sind Pragmatismus und Prioritäten gefragt

Die Themen der Woche: Europa in Gefahr – Die neue EU-Kommission darf keine Zeit verlieren | Winston Churchills 150. Geburtstag | Kampf gegen die Diktatur in Venezuela

Anja Wehler-Schöck
Eine Kolumne von Anja Wehler-Schöck

Stand:

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„Europa kann sterben.“ Damit hat es der französische Präsident Emmanuel Macron in seiner Dresdner Rede vom vergangenen Mai auf den Punkt gebracht. Täglich erreichen uns derzeit Nachrichten über politische Einflussnahme und gezielte Desinformation, über mögliche Sabotageakte und Anschläge. Doch in den wenigsten europäischen Hauptstädten ist die Dringlichkeit zu spüren, mit der nun eigentlich gehandelt werden müsste.

Happy Birthday, Winston Churchill!

Sich dieser Tage auf Winston Churchill zu besinnen, ist nicht nur wegen seines 150. Geburtstags an diesem Samstag angebracht. Man wünscht sich einen Weckruf, wie er ihn einst 1940 mit den längst berühmten Worten „blood, toil, tears, and sweat“ an die Briten richtete.

Das Beispiel Churchills führt zweierlei vor Augen. Erstens: Gekonnte Kommunikation ist für erfolgreiche Politik fast genauso wichtig wie der Inhalt. Churchill verharmloste die Probleme nicht, redete die Lage nicht schön, sondern zeigte Klarheit und schonungslose Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.

Zweitens: In Krisenzeiten braucht es kein Zögern und Zaudern, sondern entschiedenes Handeln. Von beidem hätte man sich zuletzt nicht nur für die Bundesregierung einiges mehr gewünscht.

Sir Winston Churchill siegessicher (1955).

© picture-alliance/ dpa/dpaweb/UPI

Auch mit Blick auf die bevorstehende zweite Trump-Präsidentschaft ist bei Churchill Rat zu finden: „There is only one thing worse than fighting with allies, and that is fighting without them.”

Europa wird seine Sicherheit kurz- und mittelfristig nicht alleine gewährleisten können. Daher braucht es eine Parallelstrategie: Die enge Zusammenarbeit mit den USA muss auch unter Trump fortgesetzt werden. Gleichzeitig muss die EU in den Ausbau der eigenen militärischen Fähigkeiten und Produktionskapazitäten investieren. Ob das gelingt, wird auch von der neuen EU-Kommission abhängen.

Für Europa geht es um alles

Die EU steht vor existentiellen Herausforderungen. Dass die Union in einer so entscheidenden Phase sechs Monate gebraucht hat, um eine neue Kommission zu bestätigen und wieder vollständig handlungsfähig zu werden, ist bedauerlich. Jetzt ist nicht der Moment für politisches Gerangel.

Es ist verständlich, dass es progressiven Kräften schwerfällt, mit Raffaele Fitto ein Mitglied der post-faschistischen Fratelli d’Italia als Vizepräsidenten der Kommission zu akzeptieren. Doch es führt kein Weg daran vorbei, sich den neuen politischen Realitäten in Europa zu stellen. Was es jetzt braucht, sind politischer Pragmatismus, klare Prioritäten und Bereitschaft zum Kompromiss, habe ich in meinem Leitartikel geschrieben. 👇

Jetzt aber fix

Wenn die neue Kommission am 1. Dezember ihre Arbeit aufnimmt, darf sie keine Zeit verlieren. Gerade mit Blick auf die nahende zweite Amtszeit Donald Trumps darf Europa nicht länger in Schockstarre verharren und abwarten, was kommt, sondern muss vorausschauend handeln.

Der politische Streit der vergangenen Wochen hat vor Augen geführt, worin für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in den kommenden fünf Jahren eine, wenn nicht gar die wesentliche Herausforderung liegen wird. In einer Zeit, in der Europa auseinanderzudriften droht, in der die europäische Einheit gleichzeitig aber wie nie zuvor gefordert ist und auf die Probe gestellt wird, muss sie für ihre Vorhaben immer wieder neue Mehrheiten organisieren.

Dass sie genau das kann, beweist von der Leyen regelmäßig. Sie ist eine kühle Strategin und vor allem eine Pragmatikerin. Hinzu kommt in der neuen Legislatur ein entscheidender Personalwechsel: Statt Charles Michel, mit dem von der Leyen in den vergangenen Jahren im Dauerclinch lag, wird künftig António Costa als Präsident dem Europäischen Rat vorstehen. Der Portugiese, den manche schon den „Anti-Michel“ nennen, will sich besser mit der Kommission abstimmen.

Auch Roberta Metsola, die für eine zweite Amtszeit Präsidentin des Europäischen Parlaments sein wird, will die Zusammenarbeit der Institutionen verbessern. Beides wären wichtige Schritte für eine starke europäische Politik.

Entscheidende Impulse für die Sicherheit Europas sind ab Sonntag von Andrius Kubilius zu erwarten, dem ersten EU-Kommissar für Verteidigung. Er will innerhalb der ersten 100 Tage ein verteidigungspolitisches Strategiepapier vorlegen.

Mit Blick auf eine starke Unterstützung der Ukraine hat von der Leyen in der neuen Außenbeauftragten Kaja Kallas eine wichtige Verbündete. Die Estin, der gelegentlich vorgeworfen wird, „Russen zum Frühstück zu essen“, lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Dringlichkeit der Lage erkennt. In ihrer Anhörung zitierte sie den US-Historiker Timothy Snyder: „To become better, a country must lose its last colonial war.“ Die EU müsse nun alles tun, damit Russland seinen letzten kolonialen Krieg verliere, kündigte die 47-Jährige an.

Wie es mit der europäischen Klimapolitik und dem Green Deal weitergeht, wird maßgeblich von der ehemaligen spanischen Umweltministerin Teresa Ribera abhängen. Dass sie bei den Anhörungen die umstrittenste Kandidatin war, bietet einen Vorgeschmack auf die Herausforderungen, den sie sich hierbei stellen müssen wird.

Unser Brüsseler Korrespondent Knut Krohn, Dr. hat für Sie einige der Kommissare porträtiert. 👇

Kampf gegen die Diktatur in Venezuela

Bei so viel Europa heute zumindest ein kurzer Blick nach Lateinamerika. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Oppositionelle Edmundo González Urrutia die venezolanischen Präsidentschaftswahlen im Juli gewonnen hat. Dennoch erklärte die Wahlbehörde Amtsinhaber Nicolás Maduro zum Sieger. González musste angesichts der Repression durch das Regime ins Exil fliehen.

Meine Kollegin Laura Dahmer hat ihn getroffen und mit ihm über die Zustände in seinem Heimatland gesprochen. Und auch darüber, warum er trotz der großen Gefahren, die ihm drohen, unbedingt dorthin zurückkehren möchte. Gemeinsam mit der venezolanischen Oppositionsführerin María Corina Machado wird der 75-Jährige am 18. Dezember mit dem Sacharow-Preis für Gedankenfreiheit 2024 ausgezeichnet.

Ade, ade!

Mit Andrea Dernbach (Kürzel: ade – als gebürtiger Fränkin möge man mir den Kalauer verzeihen) haben wir diese Woche eine Tagesspiegel-Veteranin in den Ruhestand verabschiedet. 25 Jahre lang hat sie für unsere Zeitung gearbeitet. Die letzten zwei davon hat sie für unser internationales Ressort aus Italien berichtet und sich darüber hinaus um eine Region gekümmert, die nicht nur das einstige Römische Reich in seinen Ruhmeszeiten, sondern auch noch die K.-u.-k.-Monarchie umspannte.

Wir bedanken uns bei Andrea Dernbach auf das Herzlichste für ihren engagierten Einsatz bis zum allerletzten Tag und wünschen ihr für die nun anstehenden Abenteuer alles Gute.

Andrea Dernbach alles Gute für die neuen Abenteuer und Viktoria Bräuner vielen Dank für das Foto!

© Viktoria Bräuner

Und Ihnen lege ich zwei der erfolgreichsten Texte von Andrea Dernbach dieses Jahr ans Herz: In „Blutige Melonen“ schreibt sie über den Fall eines verunglückten Landarbeiters, den ein Unternehmer einfach verbluten ließ, und erklärt, wie Europas Agrarpolitik damit zusammenhängt. Ihr Stück zur „Pommesmöwe“ ist inzwischen schon fast zur Tagesspiegel-Legende geworden. Aber lesen Sie selbst. 👇

Das war’s von mir für heute. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Bis nächsten Freitag!

Herzlich Ihre Anja Wehler-Schöck

P.S.: Vielen Dank an Maria Glage für die Graphik und an Malte Lehming fürs Feedback.

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