
© Gestaltung: Tagesspiegel / Fotos: Phil Dera, freepik
Thank God It’s International Friday 47: „Man kann kein Happy End herbeireden“, sagt Karl Schlögel
Die Themen der Woche: Friedenspreis für den Historiker Karl Schlögel | Das problematische Signal der Wehrpflicht-Debatte | Wie sieht die Welt in zehn Jahren aus? | Buchtipps für kühle Herbsttage

Stand:
It’s International Friday! Willkommen zur heutigen Ausgabe des TGIIF, dem internationalen Newsletter des Tagesspiegels bei LinkedIn. Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren.
Wenn an diesem Sonntag der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen wird, geht er zum dritten Mal seit der russischen Vollinvasion 2022 an einen Preisträger, der sich für eine umfassende militärische Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor ausspricht.
Nach dem ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan 2022 und der amerikanischen Publizistin Anne Applebaum 2024 erhält dieses Jahr der Historiker Karl Schlögel die Auszeichnung. Den Kritikern zum Trotz macht der Börsenverein damit klar: Man muss kein Pazifist sein, also militärische Mittel grundsätzlich ablehnen, um einen Friedenspreis zu verdienen.
Gerade in Zeiten, in denen zwar die Aufmerksamkeit und Unterstützungsbereitschaft für die Ukraine im Westen weiter zu ermüden drohen, nicht jedoch Putins Expansionsdrang, sendet der Börsenverein damit eine wichtige Botschaft. Als einer der Ersten hat Schlögel vor vielen Jahren vor den gefährlichen Zielen Putins gewarnt.
Man müsse darüber sprechen, dass Frieden und Sicherheit etwas kosten – „ganz nüchtern und ohne Pathos“, sagt der Historiker im Gespräch mit meinem Kollegen Gerrit Bartels. Letzteres gelingt in Deutschland gerade nicht wirklich, finde ich. Das zeigt sich etwa an der teils höchst unsachlichen und emotionalen Debatte um die Wehrpflicht. Dazu später mehr.
Schlögel ist kein Historiker, der vom Schreibtisch aus forscht. Seine Arbeiten zeichnen sich auch dadurch aus, dass er in sie persönliche Eindrücke von vor Ort einfließen lässt, die er in den vergangenen Jahrzehnten auf seinen umfangreichen Reisen durch den Osten Europas gesammelt hat. Mit dem Friedenspreis wird Karl Schlögel nun für sein beachtliches Gesamtwerk ausgezeichnet. Seine Rede, die er an diesem Sonntag um 11 Uhr in der Frankfurter Paulskirche halten wird, wird live im ZDF übertragen.
Rückkehr zur Wehrpflicht
Karl Schlögel warnt davor, dass man sich in einer Welt, die aus den Fugen geraten sei, nicht einfach einrichten könne, nicht so tun könne, als habe man selbst damit nichts zu tun. „Man kann kein Happy End herbeireden“, sagt er. Doch genau dieser Wunsch spiegelt sich für mich in der aktuellen Wehrpflicht-Debatte in Deutschland wider. Sie erweckt in mir den Eindruck, als dächten viele, irgendwann würden sie morgens aufwachen und alles wäre wieder gut. Einfach wie früher.
Gerade jetzt braucht es eine klare Ansage der Koalitionsregierung: Freiheit und Wohlstand in Deutschland und Europa sind in Gefahr. Um sie zu verteidigen, müssen alle ihren Beitrag leisten. Dazu gehört ein Wehrdienst für Männer und – perspektivisch – auch für Frauen. Der Wehrdienst kann bei weitem nicht nur an der Waffe geleistet werden. Das ist bereits im Grundgesetz mit den Einrichtungen des Zivilschutzes so angelegt und muss heute noch umfassender gedacht werden.
Julia Weigelt und ich haben für die aktuelle Ausgabe von „Das Parlament“ ein Pro und Contra zur Wiedereinführung der Wehrpflicht geschrieben. Hier können Sie es lesen.
Wie sieht die Welt in zehn Jahren aus?
Vor zehn Jahren hat das Aspen Institute Germany im Tagesspiegel ein umfassendes Foresight-Projekt veröffentlicht. Wie könnte die Welt 2025 aussehen? Dazu hat sich damals eine Gruppe prominenter Expertinnen und Experten Gedanken gemacht. Ob sie mit ihrer damaligen Analyse richtig lagen, können Sie hier nachlesen.
Am kommenden Mittwoch werden wir an dieses Projekt anknüpfen und darüber diskutieren, was die nächsten zehn Jahre bringen könnten – und ob Deutschland dafür gewappnet ist. Ich freue mich auf eine mit Sicherheit lebhafte Diskussion mit Benedikt Franke, Oliver Gnad und Joseph Verbovszky moderiert von Stormy-Annika Mildner. Hier können Sie sich für das Online-Event anmelden.
Wie vereint sind Ost und West?
Mit der Konferenz „Der Osten“ bringt der Tagesspiegel am 4. November Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um im 35. Jahr nach der Wiedervereinigung darüber zu diskutieren, wie es um die deutsche Einheit steht.
Besonders freue ich mich dabei auf das Panel zur europäischen Perspektive. Wie sehr sind Ost- und Westeuropa seit dem Fall des Eisernen Vorhangs zusammengewachsen? Drohen sie derzeit wieder auseinanderzudriften?
Bundeskanzler Friedrich Merz will eine Führungsrolle in Europa spielen. Kann Deutschland unter seiner Führung Europa einen? Darüber werde ich mit Karl Schlögel, Armin Laschet und Monika Sus diskutieren, moderieren wird die wunderbare Mirjam Meinhardt-Krug. Um die Diskussion live im Stream zu verfolgen, können Sie sich hier anmelden. Alternativ können Sie sich das Gespräch im Nachgang im Inforadio des RBB anhören.
Schon ein Jahr alt? Trump 2 und der „High Noon“
Vor einem Jahr, am Tag nach der US-Wahl 2024, hat der Tagesspiegel zum ersten Mal zum Expertentalk „High Noon“ geladen. Zum ersten Jubiläum werden wir am 5. November wieder einen Blick auf die USA werfen. Wie hat sich das Land in den ersten zwölf Monaten der zweiten Trump-Administration verändert?
Dabei werden wir natürlich auch auf die aktuellen Wahlen schauen, die in den USA am Vortag stattfinden: etwa die Gouverneurswahlen in Virginia und in New Jersey und die Bürgermeisterwahl in New York City. Sie gelten als wichtige Gradmesser. Welche Trends lassen sich aus ihnen ablesen?
Seien Sie mit dabei, wenn ich über diese Fragen mit Cathryn Clüver Ashbrook, Julius van de Laar und der neuen US-Korrespondentin des Tagesspiegels Helena Wittlich diskutiere. Hier geht’s zur Anmeldung.
📚 Auf der Suche nach Lektüre?
Der TGIIF macht ab heute zwei Wochen Herbstferien und erscheint am 7. November wieder. Bei den herbstlichen Temperaturen draußen freue ich mich darauf, mich in den kommenden Tagen drinnen mit ein paar Büchern einzuigeln. Ganz oben auf dem Stapel liegt Karl Schlögels neues Buch „Auf der Sandbank der Zeit“, das seine wichtigsten Texte zu Russland und dem Krieg in der Ukraine aus den vergangenen Jahren versammelt.
Dass sich die deutsche Politik kritisch mit den bisherigen Fehlern im Umgang mit Russland auseinandersetzt, wird entscheidend dafür sein, ob es gelingt, in Europa dauerhaft für Sicherheit und Frieden zu sorgen. In das Buch „Das Versagen. Eine investigative Geschichte der deutschen Russlandpolitik“ von Georg Mascolo und Katja Gloger habe ich bereits reingelesen und bin gespannt auf den Rest.
Der Völkerrechtler Christoph Safferling zählt zu den renommiertesten Vertretern seiner Disziplin und hat gerade die „Ohnmacht des Völkerrechts. Die Rückkehr des Kriegs und der Menschheitsverbrechen“ veröffentlicht. Ich bin neugierig zu sehen, wie er darin für eine deutsche Führungsrolle bei der weltweiten Wahrung völkerrechtlicher Standards argumentiert.
Zur Pflichtlektüre zählen für mich natürlich auch die Neuerscheinungen meiner Kollegen aus der DvH-Familie. Julian Heissler (WirtschaftsWoche) analysiert in „Amerikas Oligarchen“ die wachsende Macht von Elon Musk, Jeff Bezos & Co. Annett Meiritz (Handelsblatt) und Juliane Schäuble (ZEIT) schreiben in „Die Allianz der Neuen Rechten“ über die zunehmenden Verbindungen zwischen Trumps MAGA-Bewegung und ihren europäischen Partnern.
Das war’s von mir für heute. Vielen Dank, ein schönes Wochenende und bis bald!
Herzlich
Ihre Anja Wehler-Schöck
- Armin Laschet
- Deutsche Einheit
- Donald Trump
- Elon Musk
- Friedrich Merz
- Krieg in der Ukraine
- Newsletter International Friday
- RBB
- Russland
- Ukraine
- US-Wahl
- USA
- Wladimir Putin
- ZDF
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: