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Der türkische Katastrophenschutz Afad organisiert auch die ausländische Hilfe vor Ort.

© AFP / OZAN KOSE

Wie Hilfe in der Not funktioniert: „Das Ausmaß dieser Katastrophe überrollt auch die Rettungskräfte“

23 Millionen Menschen brauchen nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien Versorgung. Hilfe kommt aus aller Welt – aber sie muss koordiniert werden.

72 Stunden. So lange suchen Bergungs- und Rettungsteams nach einer Katastrophe wie dem Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze normalerweise, erklärt Volker Strotmann. Er leitet beim Technischen Hilfswerk (THW) die Abteilung Einsatz. „Um länger unter den Trümmern zu überleben, braucht es verdammt gute Bedingungen. Zugang zu Trinkwasser zum Beispiel.“ Trotzdem, sagt Strotmann, suchen viele Rettungskräfte länger.

Seit Dienstagmorgen ist auch das THW im türkischen Krisengebiet. Ein 50-köpfiges Team mit vier Rettungshunden birgt Überlebende im Süden der Stadt Kirikhan, in der Provinz Hatay. Diesen Einsatzbereich haben sie vom türkischen Katastrophenschutz Afad zugewiesen bekommen. Afad koordiniert die zahlreichen Hilfsorganisationen, die gerade in die Erdbebenregion reisen. Ohne Koordination würde so ein riesiger Rettungseinsatz gar nicht funktionieren, sagt Strotmann.

23 Millionen Menschen sind es laut WHO, die in Syrien und Türkei nach dem starken Erdbeben am Montagmorgen versorgt werden müssen. Aus 36 Ländern sind Rettungskräfte im Einsatz. Vom THW ist eine sogenannte Schnelleinsatzeinheit Bergung Ausland (SEEBA) mit insgesamt 16 Tonnen Material eingeflogen, darunter akustische Ortungsgeräte und Bergungsgeräte.

UN-Datenplattform hilft beim Organisieren

Genau so wurde es von der Türkei angefordert. Als staatliche Behörde kommt das THW erst auf Gesuch der ausländischen Regierungen. Deshalb sind aktuell keine Einheiten in Syrien, sondern nur in der Türkei im Einsatz. Am Dienstagnachmittag, berichtet Strotmann, gab es dann auch ein Hilfeersuchen des Regimes von Baschad al Assad.

Verzweiflung eines Vaters: Mesut Hancer hält die Hand seiner 15-jährigen Tochter Irmak, die durch das Erdbeben in Kahramanmaras zu Tode kam.
Verzweiflung eines Vaters: Mesut Hancer hält die Hand seiner 15-jährigen Tochter Irmak, die durch das Erdbeben in Kahramanmaras zu Tode kam.

© Adem Altan / AFP

Einmal angekommen, bekommen alle Hilfseinheiten nicht nur einen Einsatzort, sondern auch eine für sie zuständige Ansprechperson der türkischen Behörden zugewiesen. „Für alle Katastropheneinsätze ist es immer wieder der gleiche Ablauf, alle arbeiten nach den gleichen Leitfäden“, sagt Strotmann. Er weiß aber auch: „Egal, wie erfahren die Einsatzkräfte sind: Das Ausmaß dieser Katastrophe überrollt sie.“

Von Deutschland aus bekommen das THW und andere Organisationen über die Webseite der OCHA einen Überblick über die Katastrophenlage – ein Informationsmarktplatz, wie Strotmann es nennt. Das OCHA ist das vor gut dreißig Jahren gegründete Büro der UN zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten. Es ist schon seit Jahren in der Türkei und in Syrien aktiv.

Wenn die ersten 72 Stunden vorbei sind und immer weniger Menschen lebend geborgen werden, fängt Phase zwei der Arbeit an. „Zum einen geht es dann an die Bergung der Toten und die weitere medizinische Versorgung der Verletzten“, sagt Strotmann. „Aber auch an Aufräumarbeiten und den Wiederaufbau der Infrastruktur: Wasser- und Stromversorgung.“ Der Einsatz des THW ist zunächst auf zehn Tage angelegt. Ob sie noch länger bleiben, legt die türkische Regierung fest.

Nicht alle schicken eigene Leute

Weil nur ein Teil der Türkei von den Erdbeben betroffen ist, funktionieren die Absprachen vor Ort gut. Anders sei das in Syrien. „Das ist der politischen Lage geschuldet: Ein Teil des Krisengebiets wird vom Assad-Regime verwaltet, das andere von Rebellen“, so Strotmann. „Dort gibt es keine so gute Organisation wie in der Türkei, und ohne Einladung können wir sowieso nicht rein.“

72
Stunden sind die Zeit, die Rettungskräfte für die Suche nach Überlebenden üblicherweise kalkulieren. Danach schwindet die Hoffnung, noch Leben in den Trümmern zu finden. Oft wird dennoch länger gesucht.

Andere Hilfsorganisationen arbeiten nicht, wie das THW, auf Abruf, sondern sind schon seit Jahren vor Ort tätig. So etwa das Deutsche Rote Kreuz, das mit den Schwesterorganisationen des türkischen und syrisch-arabischen Halbmondes kooperiert. „Wir stehen mit den Einsatzkräften vor Ort in Kontakt und bekommen Bedarfsanforderungen: Decken, Zelte, Feldbetten“, erklärt Christof Johlen, der die internationale Zusammenarbeit des DRK leitet. Am Freitagmorgen wird das erste große Frachtflugzeug nach Gaziantep starten. „Eigene Rettungskräfte des DRK schicken wir vorerst nicht.“

Hilfsorganisationen stimmen sich untereinander ab

Auch für die die in den USA gegründete, international tätige evangelische Hilfsorganisation World Vision ist es wesentlich, in den betroffenen Regionen bereits vorher verankert zu sein – das ist sie im türkisch-syrischen Erdbebengebiet. Das erste dann: Zunächst einmal klären, „wie es den eigenen Mitarbeitenden dort geht“, sagt Caroline Klein, Abteilungsleiterin Humanitäre Hilfe und Projektentwicklung bei WV. Als nächstes werden Informationen gesammelt, was gebraucht wird. „Das machen wir mit einem Team vor Ort, aber auch in Koordination mit UN-Organisationen, zum Beispiel OCHA“ und mit allen weiteren NGOs, die helfen.

Ein ständiger Prozess während einer Krise, sagt Klein, denn die Bedarfe änderten sich oft rasch mit der Lage. Ist dies klar, werde geschaut, was lokal beschafft werden kann, „weil wir vor allem immer den lokalen Markt unterstützen wollen.“ Danach schaue man, „was wir schon in unseren Lagern haben“ – ein größeres Lager unterhält die Organisation in Dubai. Sind mehr helfende Hände vor Ort nötig, steht bei WV ein Team bereit, das binnen 24 Stunden entsendet werden kann.

Erst wenn klar sei, was gebraucht wird, und das Nötige beisammen ist, „gehen wir in die aktuelle Implementierung, also führen unsere Hilfsmaßnahmen aus, und dies in Abstimmung mit den Betroffenen“, sagt Klein. Aber, im Sinne einer vernünftigen Arbeitsteilung, auch mit den anderen Hilfsorganisationen.

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