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Angehörige und Unterstützer von israelischen Geiseln, die von der Hamas im Gazastreifen festgehalten werden, halten Fotos ihrer Angehörigen während einer Demonstration für ihre Rückkehr.

© dpa/Ariel Schalit

Update

Wegen „Komplexität des Abkommens“: Gaza-Verhandlungen in Katar gehen am Freitag weiter

Bei den Gaza-Gesprächen in Doha soll es um die Umsetzung des von Joe Biden vorgestellten Friedensplans gehen. Eine Ausweitung des Gaza-Krieges soll unbedingt verhindert werden.

Stand:

Die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazakrieg werden dem Vermittler Katar zufolge am Freitag fortgesetzt. Die Bemühungen um eine Einigung hielten an, heißt es in einer Erklärung des katarischen Außenministeriums. Stellungnahmen der anderen Parteien liegen zunächst nicht vor.

Auch die US-Regierung rechnete damit, dass die Verhandlungen bis Freitag andauern. „Angesichts der Komplexität des Abkommens gehen wir nicht davon aus, dass wir heute mit einer Einigung aus diesen Gesprächen hervorgehen. Ich gehe sogar davon aus, dass die Gespräche bis morgen andauern werden“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, am Donnerstag vor Journalisten.

Die israelischen Unterhändler würden über Nacht in Katar bleiben, wie eine mit den Gesprächen vertraute Person der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

An den Gesprächen in Doha sollte unter anderen der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, teilnehmen. Israel schickte nach Angaben des Büros von Netanjahu die Chefs seines Auslandsgeheimdienstes Mossad und des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, David Barnea und Ronen Bar, in die katarische Hauptstadt. Kurz vor Beginn der Gespräche hatte US-Außenminister Antony Blinken zusammen mit dem katarischen Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman al-Thani gewarnt, „keine Partei in der Region sollte Maßnahmen ergreifen, welche die Bemühungen um eine Einigung untergraben“ würden.

Die islamistische Hamas hatte klargestellt, über keine neuen Bedingungen für eine Waffenruhe oder die Freilassung von Geiseln verhandeln zu wollen. Bei den Gaza-Gesprächen in Katar dürfe es nur um die Umsetzung des von US-Präsident Joe Biden bereits vorgestellten Friedensplans gehen, nicht aber um dessen Details, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Gruppe. Man werde „kein Taktieren mehr hinnehmen“, das habe sie den Vermittlern auch klargemacht. Man werde sich von den Vermittlern über die Gespräche in Doha nur informieren lassen, wenn hier „ernste Absichten“ Israels zu erkennen seien.

Israel fordert Freilassung von Geiseln

Israel fordert nach Medienberichten bei den Gaza-Gesprächen in Doha die Freilassung von 33 lebenden Geiseln aus der Gewalt der Hamas in einer ersten Phase. Israelische Vertreter hätten eine Namensliste als Bedingung für eine Einigung genannt, berichtete die israelische Zeitung „Jediot Achronot“ unter Berufung auf israelische Beamte, die an den Verhandlungen beteiligt sind. Israel wolle sich nicht in einer Situation wiederfinden, „in der die Hamas vor allem Leichen übergibt“.

Bei den 33 Geiseln soll es sich nach Medienberichten um humanitäre Fälle handeln, darunter Frauen und Kinder sowie ältere und kranke Menschen. Auch Soldatinnen seien darunter.

Der morgige Tag wird ein wichtiger Tag sein. Wir wollen einen Waffenstillstand erreichen

Karine Jean-Pierre, die Sprecherin des Weißen Hauses

Die Hamas hat nach israelischer Zählung noch 115 Geiseln in ihrer Gewalt, von denen Israel 41 für tot erklärt hat. Überdies dürften weitere Geiseln, deren Schicksal unbekannt ist, nicht mehr leben. Die „New York Times“ hatte vor gut drei Monaten berichtet, die islamistische Terrororganisation Hamas habe Unterhändler informiert, dass unter 33 Geiseln, die in einem ersten Schritt freigelassen werden könnten, auch Tote seien.

Vorschlag zur Beendigung des Gaza-Kriegs

US-Präsident Joe Biden hatte im Mai einen Vorschlag zur Beendigung des Gaza-Kriegs in drei Phasen vorgestellt. Er sieht zunächst eine vollständige und uneingeschränkte Waffenruhe von sechs Wochen vor. In diesem Zeitraum würde eine bestimmte Gruppe von Geiseln freigelassen. Im Gegenzug würden Palästinenser freikommen, die in Israel inhaftiert sind. Danach würden die Kämpfe dauerhaft eingestellt und die verbliebenen Geiseln freigelassen. In einer letzten Phase soll demnach der Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies Vorwürfe zurück, nach Vorstellung des Plans noch neue Bedingungen gestellt zu haben.

Ein Vertreter der radikalislamischen Palästinenserorganisation, der anonym bleiben wollte, sagte der AFP, dass die Hamas wolle, „dass der Biden-Plan umgesetzt wird und nicht nur verhandeln um des Verhandelns willen“.

Ein Durchbruch bei den heutigen Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt Doha könnte einen Vergeltungsschlag des Irans und seiner Partner gegen Israel verhindern - und damit eine Ausweitung des Krieges deutlich über den Gazastreifen hinaus.

„Der morgige Tag wird ein wichtiger Tag sein. Wir wollen einen Waffenstillstand erreichen“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, am Vorabend der Gespräche. „Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird. Wir wollen, dass die Geiseln nach Hause kommen, auch die amerikanischen Geiseln. Wir wollen, dass mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen fließt. Und wir glauben, dass dieses Abkommen der Weg ist, um die Spannungen im Nahen Osten zu deeskalieren.“ Da Israel und die Hamas nicht direkt miteinander reden, fungieren die USA, Katar und Ägypten als Vermittler.

Einigung könnte eine Eskalation mit dem Iran verhindern

Die Gespräche in Doha gelten als entscheidend für das Bemühen, nach mehr als zehn Monaten Krieg eine Waffenruhe und einen Austausch von Geiseln in der Gewalt der Hamas gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu erwirken.

Netanjahus Büro wies Medienberichte zurück, wonach der Ministerpräsident am Vortag mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump telefoniert habe. Das US-Nachrichtenportal „Axios“ hatte dies unter Berufung auf zwei informierte US-Quellen berichtet.

Israelischen Medienberichten zufolge telefonierten auch Beamte der Regierung von US-Präsident Joe Biden am Vorabend mit mehreren Vertretern Israels, darunter Verteidigungsminister Joav Galant. Sie hätten dabei betont, wie wichtig es sei, dass es zu einem Deal kommt. Eine Einigung könne auch eine Eskalation des Konflikts mit dem Iran und der verbündeten Hisbollah verhindern.

Seit der Tötung eines wichtigen Vertreters der Hisbollah-Miliz im Libanon und des Auslandschefs der Hamas in der iranischen Hauptstadt Teheran vor gut zwei Wochen wird ein Angriff des Irans und seiner Verbündeten gegen Israel befürchtet.

Beschuss zwischen Israel und der Hisbollah

Unterdessen geht der gegenseitige Beschuss zwischen Israel und der Hisbollah im Grenzgebiet beider Länder weiter. Das libanesische Gesundheitsministerium teilte mit, dass bei israelischen Angriffen auf Orte nahe der Grenze drei Menschen getötet worden seien.

Die israelische Armee erklärte, sie habe nach Angriffen der Hisbollah Militärstrukturen der Miliz im Süden des Libanons attackiert. Zwei Hisbollah-Terroristen seien „eliminiert“ worden. Keine der Angaben konnte unabhängig überprüft werden. Auch Stunden vor Beginn der Gaza-Verhandlungen heulten im Norden Israels an der Grenze zum Libanon wieder die Sirenen, wie die israelische Armee in der Nacht mitteilte.

Eine Flagge mit dem Porträt eines Hisbollah-Soldaten und -Führers mit dem Rufzeichen «Dschihad» ist in einem Viertel in Beirut zu sehen.

© dpa/Vasily Krestyaninov

Die Hisbollah-Miliz handelt nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der Hamas in Gaza. Beide sind Verbündete des Irans.

US-Präsident Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris ließen sich unterdessen von ihrem nationalen Sicherheitsteam über die Entwicklungen in Nahost unterrichtet. Sie seien über die militärischen Maßnahmen der USA zur Unterstützung der Verteidigung Israels sowie über die diplomatischen Bemühungen unterrichtet worden, die Situation zu deeskalieren und einen Deal im Gaza-Krieg zum Abschluss zu bringen, teilte das Weiße Haus mit.

Während Israels Armee seit Tagen in höchster Alarmbereitschaft ist, haben die verbündeten USA ihre Militärpräsenz in der Region stark ausgebaut. Im Iran gelten die USA wie Israel als Erzfeinde.

Blinken telefonierte nach Angaben des US-Außenministeriums derweil auch mit seinem ägyptischen Kollegen Badr Abdelatty und dankte dem Land für die „entscheidenden Bemühungen“, ein Gaza-Abkommen zu erzielen. Die Hamas will an der neuen Gesprächsrunde nicht teilnehmen und sich nach eigenen Angaben danach über die besprochenen Punkte informieren lassen.

Hamas-Vertreter wären ohnehin nicht im selben Raum mit der israelischen Delegation gewesen, sagte ein arabischer Beamter der „Times of Israel“. Das Format sei „im Grunde dasselbe“ wie bei früheren Verhandlungsrunden, wurde der Beamte weiter zitiert.

Nach dpa-Informationen werden CIA-Chef William Burns, Katars Ministerpräsident Al Thani und Ägyptens Geheimdienstchef Abbas Kamel in Doha erwartet. Israels Delegation dürfte wieder vom Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, und vom Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, geleitet werden.

Ministerpräsident Netanjahu habe die Abreise der israelischen Delegation nach Doha sowie das Mandat für die Verhandlungsführung genehmigt, teilte sein Büro ohne Nennung weiterer Details mit.

Hoffnung auf einen Deal

Was die Gespräche in Doha bringen werden, ist völlig ungewiss. In den vergangenen Monaten kamen schon mehrmals Hoffnungen auf einen Durchbruch auf, die sich nicht erfüllten. Zuletzt brachten die Gespräche kaum noch Fortschritte. Netanjahu wies den Vorwurf zurück, neue Bedingungen gestellt und einen Deal so blockiert zu haben.

Umgekehrt beschuldigte er die Hamas, neue Forderungen erhoben zu haben. Netanjahu will die Hamas im Gazastreifen militärisch zerschlagen und sicherstellen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, das seit vielen Jahren von Israel abgeriegelte Küstengebiet zu regieren.

Bei dem israelischen Angriff in Chan Junis kamen nach palästinensischen Angaben, die nicht überprüft werden können, 90 Menschen ums Leben.

© dpa/Jehad Alshrafi

Die Hamas und andere Gruppen aus dem Gazastreifen hatten am 7. Oktober vergangenen Jahres den Süden Israels überfallen, mehr als 1.200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln verschleppt. Das Massaker war Auslöser des Krieges. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive in Gaza.

Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seither fast 40.000 Menschen getötet. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern und lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen Lage im Gazastreifen steht Israel international immer stärker in der Kritik.

Während einer kurzen Waffenruhe kamen mehr als 100 der israelischen Geiseln frei, unter ihnen vor allem Frauen und ältere Menschen. Derzeit hat die Hamas nach israelischer Zählung noch 115 Geiseln in ihrer Gewalt. Viele der Entführten dürften allerdings nicht mehr am Leben sein. (dpa)

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