
© Lars von Törne
„In seiner Existenz als lebendige Kultursparte bedroht“: Comicförderung auf der Kippe
Eine Petition aus der Comicszene, die mehr Unterstützung statt Kürzungen fordert, bekommt Zuspruch aus der Politik. Doch wegen des Bruchs der Ampelkoalition bleibt sie folgenlos – zumindest vorerst
Stand:
Die staatliche Förderung von Comicprojekten in Deutschland ist relativ neu, der finanzielle Umfang im Vergleich zu anderen Kunstformen wie Literatur, Theater oder Bildende Kunst bislang eher gering. Umso größer ist jetzt angesichts der aktuellen Sparpolitik im Bund und bei den Ländern die Angst in der Comicszene, den in den vergangenen rund zehn Jahren erreichten Status wieder zu verlieren.
„Das Medium Comic ist durch die geplanten Einschnitte in der Kulturförderung in seiner Existenz als eine lebendige Kultursparte direkt bedroht“, heißt es in einem offenen Brief an die Mitglieder des Bundestags und die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), der Anfang November von einer Gruppe namhafter deutschen Zeichnerinnen und Zeichner sowie der 2022 gegründeten Comicgewerkschaft und dem seit zehn Jahren aktiven Deutschen Comicverein veröffentlicht wurde.
Inzwischen haben mehr als 1000 Menschen die Petition unterschrieben, darunter zahlreiche weitere Comicschaffende, Verlegerinnen und Verleger sowie mehrere Organisationen, die sich hierzulande mit Comics befassen.
Aktueller Aufhänger des Schreibens, sind die im Sommer bekannt gewordenen Kürzungen bei den Förderprogrammen der mit Geld aus dem Bundeshaushalt finanzierten Bundeskulturfonds. Zu denen gehört der Deutsche Literaturfonds, der seit vergangenem Jahr erstmals auch Comicschaffende mit Stipendien von bis zu 3000 Euro pro Monat fördert, analog zur bisherigen Literaturförderung.

© CSE/Erich Malter
Diese Kürzungen auf die Hälfte der bisherigen Summen stünden „in eklatantem Widerspruch zum Koalitionsvertrag der regierenden Parteien, in dem die Förderung des Comics 2021 explizit verankert wurde“, heißt es in der Petition, deren Erstunterzeichnerinnen Sheree Domingo, Jennifer Daniel, Aisha Franz, Mia Oberländer, Leonie Ott, Elizabeth Pich, Patrick Spät, Barbara Yelin und Olivia Vieweg sind.
Tatsächlich ist die Koalition aus SPD, Grünen und FDP das erste Regierungsbündnis in der deutschen Geschichte, das sich in seinem Vertrag explizit auch für die Unterstützung des Comics ausgesprochen hat – wenngleich es bereits vor drei Jahren unterschiedliche Einschätzungen gab, wie umfangreich diese Förderung aussehen könnte.
„Comics haben in den letzten Jahren eine zunehmende Wertschätzung in der Kulturlandschaft und Sichtbarkeit in den Medien erfahren“, heißt es in der Petition. Die Anzahl der in Deutschland veröffentlichten Comics und Graphic Novels sei gestiegen, ebenso die Zahl freiberuflicher Comickünstlerinnen und -künstler.
„Die Qualität der Arbeiten hat an Profil gewonnen, und hiesige Comicproduktionen werden immer häufiger in andere Sprachen übersetzt und von internationalen Verlagen herausgegeben“, heißt es in dem offenen Brief weiter. „Im Vergleich zu etablierten Comic-Märkten – wie im frankobelgischen Raum, wo das Medium Comic als eigenständige Kunstform längst anerkannt ist – konnte hierzulande eine starke, nachholende Entwicklung beobachtet werden.“
Vor dem Hintergrund dieser gewachsenen Bedeutungdes Comics in Deutschland fordert die Petition nun nicht nur die Rücknahme der Kürzungen, sondern mehr Geld und Aufmerksamkeit für die Kunstform: Zusätzliche Förderprogramme, die Verankerung von Comics im Schulunterricht, die finanzielle Sicherung von Festivals und anderen Szene-Institutionen sowie eine bessere finanzielle Situation von Künstlerinnen und Künstlern.

© Erich Malter / CSE
Aus den Reihen der mit dem offenen Brief angesprochenen Bundestagsabgeordneten gibt es durchaus zustimmende Reaktionen, wenngleich der Appell durch das Aus der Ampel-Koalition unerwartet in ein politisches Vakuum hineingeraten ist: Wenige Tage nach der Veröffentlichung des offenen Briefs gaben die Noch-Regierungsparteien den Bruch ihres bisherigen Bündnisses bekannt.
Daher ist seitens einiger Kulturpolitiker zu hören, dass man zwar Verständnis für die Förderungen aus der Comicszene habe. Aber der Koalitionsvertrag, in dem auch der Comic eine Rolle spielte, sei ja nun Makulatur. Und wer künftig die bundesdeutsche Kulturpolitik bestimmt, werde sich erst nach der Bundestagswahl am 23. Februar zeigen.

© Comicgewerkschaft
Ungeachtet dessen schließen sich einige Politikerinnen und Politiker dem Appell an und wollen dessen Forderungen auch in der kommenden Legislaturperiode unterstützen - wenn sie denn erneut in den Bundestag gewählt werden sollten.
Die Forderungen der Petition sind berechtigt und reflektieren die Herausforderungen, vor denen die Comicszene in Deutschland steht.
SPD-Kulturpolitiker Helge Lindh
„Die Forderungen nach einer stärkeren Unterstützung der Comicszene halte ich für ein wichtiges Anliegen, da sie sowohl die Anerkennung dieser Kunstform als auch die Förderung der Kreativwirtschaft voranbringen würden“, erklärt zum Beispiel der kulturpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Helge Lindh.
„Besonders in Deutschland, wo die Comicszene oft im Schatten anderer Kunstformen steht, müssen wir aktiv werden, um ihr eine stärkere Plattform zu bieten“, sagt Lindh. Vor diesem Hintergrund habe die SPD-Bundestagsfraktion sich bemüht, die Kürzungen im Bereich der Bundeskulturfonds wieder zurückzunehmen. „Umso mehr bedauere ich den Bruch der Koalition durch die FDP, da wir hier bereits auf einem guten Weg waren.“

© Fionn Grosse
Lindh verspricht, sich auch künftig dafür einzusetzen, den Comic in Deutschland stärker zu fördern. So wolle er sich in der kommenden Wahlperiode für ein Programm zur Förderung von kleinen und mittleren Verlagen einsetzen, um ein breites Themenspektrum und vielfältige Verlagsprogramme zu gewährleisten. „Damit soll die Verlagslandschaft in Deutschland divers bleiben und Comics als wichtiger Bestandteil eingeschlossen werden.“
„Die Forderungen der Petition sind berechtigt und reflektieren die Herausforderungen, vor denen die Comicszene in Deutschland steht“, erklärt er. „Von der finanziellen Unterstützung bis zur schulischen Einbindung – all diese Punkte sind notwendig, um das Medium langfristig zu stärken.“
Comics leisten nach Einschätzung des SPD-Kulturpolitikers „einen wertvollen Beitrag zur kulturellen Vielfalt und haben ein großes Potenzial, gesellschaftlich relevante Themen zugänglich und kreativ zu vermitteln.“ Die Forderung nach sozialer Absicherung für Künstlerinnen und Künstler sowie gezielten Förderprogrammen spiegele zudem den allgemeinen Bedarf an einer gerechteren Förderung der freien Kulturszene wider.
Ich kann den Aufruhr der Comicszene absolut verstehen.
FDP-Kulturpolitkerin Anikó Glogowski-Merten
Die FDP-Kulturpolitikerin Anikó Glogowski-Merten will sich ebenfalls in der nächsten Legislaturperiode für eine stärkere Förderung der deutschen Comic-Kultur einsetzen. „Als Kulturpolitikerin, die selbst auch Kunstwissenschaftlerin ist, kann ich den Aufruhr der Comicszene absolut verstehen“, erklärt sie.

© Promo
„Ich habe aktiv mitverfolgt, wie viel Wertschätzung Comics in den letzten Jahren erfahren haben und dass auch die Veröffentlichungen eklatant gestiegen sind“, teilt die Politikerin mit. Sie habe sich daher zusammen mit anderen FDP-Abgeordneten schon länger „für Comics als eine lebendige Kultursparte eingesetzt.“
Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Deren Kulturpolitik „wirkte bereits vor dem Koalitionsbruch zunehmend unberechenbar, was in der Kulturbranche für erhebliche Planungsunsicherheit sorgte.“ Die Entscheidung, die Mittel für die Bundeskulturfonds nach einem starken Anstieg im Jahr 2024 nun wieder zu halbieren, stelle Kulturschaffende vor große Herausforderungen.
„Dieses unstete Vorgehen von Claudia Roth hat bei vielen Kulturschaffenden Hoffnungen geweckt, die nun nicht mehr zu erfüllen sind“, bilanziert Glogowski-Merten. Daher sei die Petition aus den Reihen der Comicbranche „absolut richtig“. Die FDP-Politikerin kündigt an, sich auch im nächsten Bundestag „weiterhin intensiv dafür einzusetzen, dass die Belange der Kulturschaffenden im parlamentarischen Prozess Gehör finden.“
Nach Angaben der Initiatorinnen und Initiatoren der Petition hat sich auch Jan Korte, Kulturpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, solidarisch mit den Forderungen erklärt. Er habe unter anderem auf einen Änderungsantrag der Gruppe Die Linke zur Erhöhung der Bundeskulturfonds verwiesen, der von allen anderen Fraktionen abgelehnt wurde. Die CDU/CSU-Kulturbeauftragte Dorothee Bär erklärte sich nach Angaben der Initiatorinnen bereit zu einem Gespräch.
In der Comicszene stieß die Petition allerdings neben Zustimmung auch auf einzelne Kritik. „In seiner Existenz bedroht? Ohne Förderung keine Comics mehr? Das scheint mir doch sehr übertrieben“, schreibt der Berliner Comicautor Nettmann auf der Facebook-Seite der Comic-Rubrik des Tagesspiegels. „Ging vorher auch. Und Comic hatte und hat eine lebendige Subkultur, die schon immer ohne Förderung überlebte.“ Auch die Manga-Szene gedeihe ohne öffentliche Finanzierung. „Wir sind doch keine Oper.“
Kürzungen auch bei der Berliner Comicförderung
Neben den Sparmaßnahmen auf Bundesebene muss sich die Comicszene aktuell auch auf Kürzungen in den Ländern einstellen. In Berlin zum Beispiel, das mit einem Senats-Comicstipendium und der Unterstützung des Festivals Comic Invasion in den vergangenen Jahren viel für die Kunstform Comic getan hat, stehen Haushaltskürzungen in Milliarden-Höhe bevor.
Wieweit die Sparzwänge auch das bisherige Comicförderprogramm betreffen, kann bislang nur spekuliert werden. Es zeichnet sich aber ab, dass auch Stipendienprogramme betroffen sind, aus denen unter anderem Comicprojekte finanziert werden. Das legen zumindest in den vergangenen Tagen veröffentlichte Sparlisten nahe, die in der schwarz-roten Koalition Berlins kursieren.
Aus dem Büro des Kultursenators Joe Chialo (CDU) heißt es dazu: „Die Zahlen und die Listen sind noch nicht final und sind im parlamentarischen beziehungsweise politischen Raum entstanden.“ Sie entsprächen nicht den kulturfachlichen Entscheidungen der zuständigen Verwaltung. Zudem wird betont, dass das parlamentarische Verfahren dazu noch nicht abgeschlossen ist. Es könne sich also noch einiges ändern.
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