
© Nikolaus Bernau
Die Spuren von Berlins wechselhafter Vergangenheit: Hinter herumliegenden Granitsteinen lauert Geschichte
Misstraut dem Grün! Nikolaus Bernau hat einen Tipp für den Neujahrsspaziergang: sich die Beete und Baureste am Wegesrand einmal genauer anzuschauen

Stand:
Einer der besten der vielen guten Sätze über Berlin lautet: „Misstraut den Grünanlagen”. Damit beginnt Heinz Knoblochs brillantes Buch „Herr Moses in Berlin”, erschienen 1979. Er – Knobloch, nicht Moses Mendelssohn – war in der DDR dank seiner vielen Glossen in der unvergessenen Wochenpost so berühmt, dass er in Maßen sogar Kritik an der Zensur vorbeischmuggeln konnte.
Schon im Satz „Misstraut den Grünanlagen” versteckt sie sich. Ließ die DDR doch ungeliebte Teile der Geschichte gerne mit Grün überwachsen. Etwa die Berliner Altstadt mit ihren Erinnerungen an bürgerliche, kirchliche, hohenzollerische, jüdische Geschichte, an die Nazizeit, die die DDR-Planungen erst möglich machte. Diese Grünzonen im Stadtgewebe gibt es immer noch.
Die Bundesrepublik war in dieser Hinsicht auch nicht besser, wie sich am begrünten Parkplatz neben dem Martin-Gropius-Bau erweist. Ihn gibt es seit den späten 1980ern. Unter den hohen Büschen am Bürgersteig der Kreuzung von Niederkirchnerstraße und Stresemannstraße liegen einige breite, gerundete Steinblöcke. Es dürfte sich dabei um die letzten baulichen Reste des einstigen Völkerkundemuseums handeln, das 1886 eingeweiht wurde. Ein kleines Schild klärt darüber auf.
Allerdings fehlt die Information, dass die klaren Neurenaissance-Fassaden des Museums - entworfen vom heute weitgehend vergessenen Büro Ende & Böckmann - eine Revolution im Berliner Bauwesen waren. Statt erstarrtem Schinkelschüler-Klassizismus bewiesen sie Lust an der Form, am Material, am Raum. Berlins prachtvoller Hochhistorismus, der bis zum Dom führte, begann hier.
Doch 1961 wurde der Bau auf Betreiben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gesprengt. Nicht etwa, um sich zu entschulden für das Mittun der Ethnologie am Kolonial-Unrecht. Nein, hier wirkten der blanke Hass der Nachkriegszeit auf den Historismus und die Sehnsucht, am West-Berliner Kulturforum die Museumsgeschichte ganz neu beginnen zu lassen.
Dieses Denken setzt sich am Kulturforum bis heute fort: Als die Baugrube für das nun berlin modern genannte Museum ausgehoben wurde, verschwanden mit den alten Kellern und Fundamenten ohne jede Dokumentation oder gar Rettung die letzten baulichen Reste des einstigen Tiergartenviertels. Nur der Baum, die dort stehende Platane, sollte gerettet werden.
Aber die Zeiten bessern sich. Kürzlich sah ich Riesencontainer vor einem seit dem Krieg brach liegenden, dicht bewachsenen Grundstück. Ziegel, Fliesen, Kacheln, Hausrat der einst hier stehenden Häuser wurden zwar hineingeworfen. Die zur Seite gelegten Balken und Dielen enden dagegen nach Aussage des Poliers als Vintage-Möbel im Stil „Armes Landhaus” für sehr reiche Leute.
Doch die gewaltigen Granitblöcke, die einstige Schwelle zur Durchfahrt und zum Treppenhaus, sollen später an gleicher Stelle dem Neubau wieder dienen. Auf diese Weise eröffnen sie erneut die Frage: Wer wohnte hier? Wie war das Leben einst? Und: War es wirklich besser als heute? Gutes Neues Jahr!
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