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Das Sinema Transtopia residiert seit 2023 in einem Hinterhof in Wedding.

© Marvin Girbig

„Diese Arbeit ist wichtig für die Demokratie“: Das Sinema Transtopia macht trotz Budgetkürzungen weiter

Das in der migrantischen Szene bestens vernetzte Berliner Kinoprojekt Sinema Transtopia bewundern Filmschaffende weltweit. Das Kollektiv fühlt sich aber auch der Stadt verpflichtet.

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Versteckt in einem Hinterhof forscht das Sinema Transtopia seit Frühjahr 2023 an einer Zukunft, in der Kino als Entertainment, als Kunst, als Bildungsstätte und als Raum für Empowerment zusammenfließen. Mit zwei neuen Projekten befasst sich der Kulturort noch eingehender mit den Intersektionen zwischen Kunst, Unterhaltung und Bildung – und möchte die Grundlagen für viele Sinema Transtopias schaffen.

Auf der Terrassenfläche des Sinema Transtopia fühlen sich sogar graue Tage im Mai ein bisschen wie Hochsommer an: in mobilen Beeten wachsen Erdbeeren und Kräuter, es summen Insekten und ein Mitarbeiter des Kinos baut die Open-Air-Leinwand auf.

Nach zwei Jahren als Zwischennutzung im Haus der Statistik ist Berlins neuestes Kino mittlerweile in dem alten Industriekomplex unweit des Silent Green heimisch geworden. Es zeigt gegenwärtige Filme, beherbergt Veranstaltungen wie etwa das „Xposed Queer Film Festival“ oder das Filmprogramm der Berlin Biennale.

Aufgeben kommt nicht in Frage

Von dem Kahlschlag in der Berliner Kulturwelt existenziell bedroht, haben sich die Dinge vorerst etwas entspannt. Zwar ist das Kinoprojekt mit einer Kürzung von rund einem Drittel der eigentlich angesetzten Förderung immer noch überdurchschnittlich betroffen, aber aufgeben steht für das Sinema Transtopia nicht zur Debatte.

„Wir empfinden unsere Arbeit auch als Verantwortung, die wir gegenüber der Stadt haben“, erklärt Malve Lippmann, eine Hälfte des Leitungsduos. „Einen Raum für Begegnung und Austausch zu schaffen, ist wichtig für unsere Gesellschaft und auch für unsere Demokratie.“

Malve Lippmann und Can Sungu leiten das Sinema Transtopia.

© Marvin Girbig

Und so macht das Team des Kinos nicht nur mit viel persönlichem Einsatz und individuellen Opfern weiter, sondern baut das Angebot sogar noch aus. Soeben sind zwei Langzeitprojekte des Hauses gestartet: das Bildungsangebot „Sinema Plural“ und eine Kollaboration mit dem Deutschen Filminstitut und Filmmuseum in Frankfurt unter dem Titel „The Past is Not Another Country“.

So unterschiedlich die Vorhaben sind, so sehr zeigen sie beide den Status, den das Sinema Transtopia mittlerweile in der Filmwelt hat: „Viele kennen unsere Arbeit hier“, erzählen Lippmann und ihr Kollege Can Sungu, ob sie nun das Filmfestival in Burkina Faso besuchen oder eine Kinokonferenz in Brüssel, der Diskursraum im Wedding ist vielen ein Begriff.

International bekannt

Damit das weiter so bleibt und es in näherer Zukunft nicht nur ein Sinema Transtopia gibt, sondern viele, dafür steht das Projekt „Sinema Plural“: ein Fellowship-Programm für Filmvermittlung, das sich explizit an rassifizierte Menschen und Menschen mit Migrationsbiografie richtet. Mit Unterstützung der Schweizer Drosos-Stiftung, die sich auf Kompetenzentwicklung, wirtschaftliche Eigenständigkeit und soziale Inklusion fokussiert, sollen in den nächsten drei Jahren jährlich fünfzehn Stipendiaten über ein halbes Jahr in Sachen diversitätsorientierte und innovative Filmvermittlung ausgebildet werden.

„Wir haben über die Jahre gemerkt, dass so etwas fehlt“, meint Sungu, „wie schafft man es, ein lebendiges Dreieck aus Film, Diskurs und Publikum entstehen zu lassen?“ Ihr Verständnis von Filmen als Mittel, um bestimmte Themen auf die Agenda setzen zu können, soll sich multiplizieren. Dafür sind Expertinnen und Experten aus der Filmvermittlung, aber auch aus migrantischen Selbstorganisationen und anderen Gruppen für Workshops an Bord, als Schirmherrin fungiert die Wissenschaftlerin Naika Foroutan vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin.

Am Ende des Programms sollen die Fellows ihre Praxisprojekte auch vor Ort umsetzen und damit dem Publikum zugänglich machen können. Die Ausschreibung dafür läuft noch bis zum Ende des Monats, danach geht es an die Auswahl der fünfzehn Stipendiaten der ersten Runde.

Update für die Filmarchive

Im Gegensatz zum Fortbildungsprogramm ist „The Past is Not Another Country“ für die Kinogänger direkt erlebbar. Dessen Untertitel „Archive anders machen“ gibt die Stoßrichtung vor: Hier geht es darum, aktiv in das Konzept des Filmarchivs einzugreifen. „Absichtlich sagen wir hier ,machen’“, betont Sungu, „nicht nur anders denken – das Handeln steht für uns im Fokus.“ In diesem und im nächsten Jahr arbeiten sie gemeinsam mit verschiedenen Gastkuratoren in Berlin und Frankfurt an Veranstaltungen, die, so das Ziel, „das Konzept eines nationalen Filmerbes herausfordern“.

Das bedeutet, sich mit Archivfilmen verschiedener Art auseinanderzusetzen – Unterrichtsfilme für Schulen und Wissenschaft, Filmmaterial von Landes- und Kreisbildstellen, das sich etwa mit Migration, mit Konflikten oder mit dem Ausland befasst. „Teil des Projekts ist es auch, uns mit diesen aus heutiger Sicht problematischen oder toxischen Filmen auseinanderzusetzen“, so Sungu. „Wie können wir heute einen neuen Umgang mit diesen Filmen finden?“

Es gehören aber auch Selbstdarstellungen migrantischer Filmemacher in Deutschland dazu, verschollene Arbeiten, Filme, die nicht in die Archive aufgenommen worden sind. Vielleicht, weil sie den Selbstdarstellungen der Mehrheitsgesellschaft zuwiderliefen, weil sie an den Rändern der Gesellschaft entstanden sind.

So soll mit Filmscreenings und Workshops ein Archiv entstehen, dessen Daseinsberechtigung nicht auf Bewahrung und Kanonisierung basiert, sondern darauf, verhandelt zu werden, gesehen zu werden, das sich konkret an seine Zuschauerschaft richtet, statt sich darauf zu konzentrieren, den Staub auf alten Filmrollen wegzuputzen.

Es ist der Wille, ins Handeln zu kommen, der einen kleinen, von viel Selbstaufopferung getragenen Ort wie Sinema Transtopia als Partnerin interessant macht, gerade auch für ehrwürdige Institutionen wie das Frankfurter Filmmuseum oder die Deutsche Kinemathek. „Wir sind als kleine Organisation sehr flexibel und können schnell neue Ideen umsetzen“, sagt Lippmann.

Es ist ihr offener Blick und diese Schnelligkeit im Denken und im Handeln, die das Sinema Transtopia zu einem interessanten Modell für viele aus der Filmszene gemacht hat, auch weltweit. Dem Berliner Senat wäre es zu wünschen, dass er diese internationale Strahlkraft ebenfalls wahrnimmt.

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