
© PR/Peter Rigaud
„Ein Milliardenkonzern ignoriert einfach Gesetze“: Österreichs bekanntester Journalist legt sich mit X an
Es geht um Hasspostings und einen Tech-Giganten, der Gesetze ignoriert. ORF-Anchorman Armin Wolf über seinen zähen Kampf gegen X und wie schwer es ist, im Netz zu seinem Recht zu kommen.
Stand:
Herr Wolf, Sie sind Österreichs bekanntester Journalist, Anchorman der Nachrichtensendung „ZiB 2“ des ORF und hatten mit mehr als 640.000 Follower auf X den größten Account im Land. Sie haben ihn vor einem Jahr stillgelegt. Was haben Sie erlebt?
Ich war 15 Jahre auf X und in den letzten Jahren ist die Plattform immer toxischer geworden: durch Elon Musk, die Abschaffung der Moderation von Beiträgen und die zunehmende Anzahl von Bots und Trollen.
Ganz gelöscht haben Sie den Account aber nicht. Nutzen Sie ihn noch?
Ich habe ihn behalten, weil ich nicht riskieren wollte, dass jemand Posts unter meinem Namen veröffentlicht. Außerdem brauche ich ihn beruflich, weil leider viele Expertinnen und fast alle Politikerinnen noch immer dort sind. Auch in Breaking News-Situationen ist die Plattform noch immer sehr schnell.
Aber, ist X noch eine kompetente Quelle, wenn Hassreden und Falschinformationen zugenommen haben?
Es kommt darauf an, wem Sie folgen. Ich habe mir immer Accounts ausgesucht, die ich interessant fand. Meine Timeline blieb okay, weil ich keinen Trollen folgte – aber, wenn ich etwas Politisches schrieb, antworteten zunehmend aggressive Soziopathen.
Wie hat sich das ausgewirkt?
Es hat schlechte Laune gemacht.
Welche Strategien haben Sie entwickelt, damit umzugehen?
Solange die Leute nicht vor mir stehen und mir eine runterhauen, nehme ich es nicht allzu ernst – sonst wäre ich durchgedreht. Der Vergleich zum echten Leben hilft auch: Ich moderiere seit 23 Jahren im Fernsehen und in dieser Zeit wurde ich drei Mal blöd auf der Straße angesprochen. Online passiert mir das drei Mal am Tag.
Einer dieser Trolle hat Sie unter dem Pseudonym „Edwin Raithoffer“ aufs Übelste beschimpft. Sie erleben solche Anfeindungen öfter – doch jetzt sind Sie vor Gericht gezogen. Warum ist Ihnen der Fall persönlich so wichtig?
Dieser Troll-Account ist mir gar nicht wichtig, sehr wohl aber der Umgang von X mit der Sache. Der Konzern ignoriert nicht nur seine eigenen Regeln, sondern vor allem die österreichischen und europäischen Gesetze, die User vor Hassrede und Verleumdungen schützen sollen.
Was wissen Sie über den Nutzer?
Es ist ein anonymer Account mit einem erfundenen Namen – offenbar ein Soziopath mit viel Tagesfreizeit. Er hat täglich hunderte Postings abgesetzt, in denen er praktisch alles und jeden in der deutschen und österreichischen Politik aufs Tiefste beleidigt hat. Ein völlig Verrückter, den ich eigentlich nicht wahrgenommen hätte…
Wie sind Sie auf ihn gestoßen?
Er – aufgrund des Pseudonyms, vor allem aber der Tonalität der Postings, vermute ich, es ist ein Mann – hat ein Posting über mich kommentiert und ist so in meine Benachrichtigungen gerutscht. Seine absurde Sprache veranlasste mich, den Account zu besuchen, wo ich feststellte, dass er bereits öfter über mich geschrieben hatte.
Er nannte Sie einen „korrupten Lügner“ und das ist noch harmlos zu den anderen Beschimpfungen …
Jedes einzelne Posting war eine Beleidigung, üble Nachrede oder Kreditschädigung – alles in Österreich klagsfähig. Ich habe mal eines der Postings bei X gemeldet, da es ganz eindeutig den offiziellen Richtlinien der Plattform widersprach. Doch X schrieb mir, dass es „nicht gegen unsere Richtlinien verstößt“.
Die Plattform hat sich geweigert, das Posting zu löschen. Was haben Sie getan?
Ich hätte klagen können. Nur hatte ich wenig Lust auf einen Rechtsstreit mit einem Milliardenkonzern in Irland, der eine riesige Rechtsabteilung hat, und mit ungewissem Ausgang. Mein Anwalt hat stattdessen nach dem angeblichen Namen des Verfassers gesucht und festgestellt, dass er nicht existiert.
Wir erstatteten Anzeige und forderten über das Straflandesgericht Wien die Twitter-Europazentrale in Irland zur Herausgabe der Nutzerdaten auf. Nach sechs Wochen kam die Antwort: Sie tun das nicht und verweisen uns auf ein Rechtshilfeverfahren in Irland oder den USA.
Warum?
Für Social-Media-Plattformen gilt das sogenannte „Plattformprivileg“. Sie sind nicht für die Inhalte verantwortlich. Begründet wird dies mit der Menge von Milliarden Postings. Sie müssen nur handeln, wenn sie auf einen rechtswidrigen Kommentar hingewiesen werden.
Aber genau das haben Sie ja getan.
Genau. Wir haben dann das Rechtshilfeersuchen an die irischen Behörden geschickt, auf das X uns hingewiesen hat. Nach etlichen Wochen hat uns die irische Justiz zurückgeschrieben, dass die Nutzerdaten von X nicht in Irland gespeichert würden. Wir mögen uns bitte an die USA wenden. Diese bizarre Argumentation hebelt natürlich die Datenschutzgesetze der EU völlig aus.
Sie haben dann mit den USA Kontakt aufgenommen?
Das Straflandesgericht Wien hat uns erst davon abgeraten. Die US-Behörden würden solche Anfragen immer mit Verweis auf das First Amendment – das Recht auf Redefreiheit – ablehnen. Wir haben es trotzdem versucht und argumentierten, dass das First Amendment ja die Redefreiheit in den USA schützen soll. Wir gehen aber davon aus, dass es sich um einen Account aus Österreich handelt, für den österreichische und europäische Gesetze gelten.
Und Sie bekamen wieder eine Abfuhr?
Der Antrag wurde abgelehnt, aber nicht wegen der Redefreiheit. Die Begründung lautete: Das US-Justizministerium erhalte so viele Rechtshilfeersuchen aus Europa, dass man sich nur auf die schwersten Delikte wie Terrorismus oder Kindesmissbrauch konzentrieren könne.
Das klingt unheimlich frustrierend.
Für mich war damals der Punkt erreicht, an dem ich es lassen wollte. Die Kapazitäten meines Anwalts waren begrenzt; er hat den Fall aus Interesse pro bono übernommen. Doch ohne die Mithilfe der irischen oder US-amerikanischen Justizbehörden lässt sich der anonyme Account schlicht nicht identifizieren – und damit auch nicht verklagen.
Ich frage mich nur: Wenn ich – als damals bei weitem reichweitenstärkster X-Nutzer in Österreich – trotz juristischer Unterstützung nicht weiterkomme, wie soll es jemand schaffen, der weder die Mittel noch engagierte Anwälte hat?
Alle Tech-Konzerne haben aus Steuergründen ihre Europazentralen in Irland – aber die Behörden dort vollziehen die EU-Gesetze zu den Plattformen einfach nicht. Oder jedenfalls nur selten.
Armin Wolf
Den Account des Raithoffer-Trolls findet man heute nicht mehr. Wurde er von X gelöscht?
Es sieht so aus, ich weiß allerdings nicht, weshalb. Ich habe dazu nie eine Information von X bekommen. Klar ist nur: Mit dem offiziellen Rechtsweg hatte ich keinen Erfolg.
Sie gehen trotzdem weiter juristisch gegen X vor. Warum tun Sie sich das an?
Weil ich es für unakzeptabel halte, dass ein Milliardenkonzern einfach Gesetze ignoriert. Und noch schlimmer: dass die irischen Justizbehörden schlicht die Arbeit verweigern, mit dem absurden Argument, die Daten von X wären ja nicht in Irland.
Alle Tech-Konzerne haben aus Steuergründen ihre Europazentralen in Irland – aber die Behörden dort vollziehen die EU-Gesetze zu den Plattformen einfach nicht. Oder jedenfalls nur selten.
Ich habe von X unter Musk nicht viel erwartet. Ich erwarte auch von einem Bankräuber nicht sonderlich viel. Aber von Polizei und Justiz erwarte ich, dass sie ihn verfolgen.
Armin Wolf
So ein Prozess hat etwas von David gegen Goliath.
Das ist ein hübsches Bild, sehe ich aber nicht so. David hätte sterben können. Diese Auseinandersetzung wird weder mein Leben noch meine Gesundheit gefährden, sie kostet nur unnötig Lebenszeit.
Welchen Hebel haben Sie entdeckt, mit dem Sie jetzt vor Gericht Erfolg zu haben hoffen?
Die renommierte Wiener Medienanwältin Maria Windhager, die in Sachen Hasspostings mehrfach erfolgreich war, hatte folgende Idee: Wir klagen nicht den anonymen User oder X, sondern wir zeigen unbekannte Mitarbeiter von X wegen „Begünstigung“ an. Da sie den Inhaber des anonymen Accounts durch ihr Verhalten vor der Strafverfolgung schützen. Das ist nach dem Strafgesetz ein Offizialdelikt, dem die Staatsanwaltschaft nachgehen muss. Ich habe mich dem Verfahren als Privatbeteiligter angeschlossen.
Einen ähnlichen Fall wie Ihren gibt es auch in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt nach Anzeige eines Nutzers wegen Strafvereitelung gegen Manager von X. Wie das ausgeht, ist noch unklar. Was kann man aus Ihrer Sicht aber jetzt schon daraus lernen?
Gegen mich standen mehrere öffentliche, grob rufschädigende Postings online, doch den Urheber zu identifizieren, ist praktisch unmöglich – das zeigt, wie wenig die im „Digital Services Act“ der EU vorgesehenen Gesetze greifen.
Ich habe von X unter Musk nicht viel erwartet. Ich erwarte auch von einem Bankräuber nicht sonderlich viel. Aber von Polizei und Justiz erwarte ich, dass sie ihn verfolgen. Umso unverständlicher ist es, dass das irische Justizministerium die Herausgabe der Daten verweigert.
Angenommen, X rückt doch noch die Identität von User „Edwin Raithoffer“ raus, würden Sie ihn treffen wollen?
Nein, warum sollte ich das tun? Ich würde ihn verklagen. Für derartige Soziopathen gibt es Gesetze und Geldstrafen – und deren Zweck ist vor allem, abschreckend zu wirken. Vielleicht hat er längst einen neuen Account oder ist auf anderen Plattformen aktiv. Das Geld, das ich zugesprochen bekäme, würde ich an eine karitative Organisation spenden. Die würden sich freuen, dem Troll würde es weh tun, so sollte es sein.
Sie sind als Journalist eines öffentlich-rechtlichen Senders abseits dieses Trolls Hass und Kritik ausgesetzt. Die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali hat sich schon von manchen Nutzern die Telefonnummer geben lassen und sich mit ihnen zu einem Gespräch getroffen.
Getroffen habe ich noch niemanden, aber ich habe schon Leute angerufen oder auf sehr grobe Mails geantwortet. Oft entstehen daraus überraschend positive Erfahrungen.
Was haben Sie erlebt?
Eine ältere Dame hat mir einmal eine sehr empörte Postkarte geschrieben, in der sie mich auch heftig beschimpft hat. Als ich sie anrief, wurde daraus ein 20-minütiges, feines Gespräch. Noch zehn Minuten länger und sie hätte mich adoptiert. (lacht) Viele Menschen sind oft überrascht, wenn man ihnen antwortet, und werden schnell sehr freundlich.
Aber das mache ich nicht mit jemandem, der abertausende Hasspostings schreibt, der gehört in eine Institution, in der sich kompetente Menschen in weißen Mänteln um ihn kümmern.
Können Sie sich erklären, was diese Menschen antreibt, Ihnen so zu schreiben?
Ich kann es nicht, aber die Wissenschaft: Man nennt es „Online Disinhibition Effect“. Ohne Gegenüber, das unmittelbar reagiert – durch Äußerungen, Mimik oder Gestik –, werden Menschen enthemmter. Erstaunlicherweise verhalten sich online ja auch viele unter ihrem echten Namen hemmungslos.
Dann würde eine Klarnamenpflicht nicht viel helfen.
Ich war früher skeptisch, bin aber heute für eine Klarnamenpflicht. Sie ermöglicht zumindest, Menschen rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Wer Hasspostings veröffentlichen will, soll dafür wenigstens bezahlen.
Ich publiziere auch nicht auf Russia Today – warum soll ich es auf der Plattform eines offenen Faschisten tun, der den Hitlergruß zeigt, die EU vernichten will, massenhaft Fake News verbreitet und X zu einer politischen Propaganda-Orgel umbauen möchte?
Armin Wolf
Ist es Ihnen eigentlich schwergefallen, sich von X zu verabschieden?
Ja, ich hatte eine enorme Reichweite und lange großen Spaß. Ich mache weder Fotos noch Videos, Instagram oder TikTok sind nichts für mich – aber dieses Textmedium hat perfekt für mich gepasst. Ich habe auf Twitter auch unfassbar viel gelernt. Man konnte sich mit den klügsten und interessantesten Menschen aus aller Welt völlig unkompliziert unterhalten, vom Politologen Yascha Mounk in den USA über die Extremismus-Expertin Julia Ebner in Oxford bis zum Werbe-Guru Amir Kassaei auf Ibiza.
Und dennoch haben Sie dann Schluss gemacht. Gab‘s einen konkreten Moment?
Nein, es war ein monatelanger Prozess, in dem ich den Veränderungen auf X und der Radikalisierung von Elon Musk zugesehen habe. Irgendwann dachte ich mir: Ich publiziere auch nicht auf Russia Today – warum soll ich es auf der Plattform eines offenen Faschisten tun, der den Hitlergruß zeigt, die EU vernichten will, massenhaft Fake News verbreitet und X zu einer politischen Propaganda-Orgel umbauen möchte?
Was müssten Plattformen tun, um langfristig eine gesündere Diskurskultur zu fördern?
Man muss ihnen das „Plattformprivileg“ entziehen. Meta, X oder TikTok sind gigantische, reichweitenstarke Medien. Warum sollten für sie andere Regeln gelten als für eine Zeitung, die Leserbriefe veröffentlicht? Das Argument, man könne die Postings wegen der Menge nicht kontrollieren, finde ich absurd. Diese Konzerne machen Milliardengewinne und sollen Personal oder technische Lösungen dafür einsetzen.
Wünschen Sie sich manchmal, aufzuwachen und plötzlich wären alle Social-Media-Kanäle abgestellt?
Natürlich sind durch soziale Medien großartige Dinge entstanden – wichtige Bewegungen wie #MeToo oder Black Lives Matter zum Beispiel. Unterm Strich richten sie mittlerweile aber sehr viel mehr Schaden an, als sie Nutzen stiften, glaube ich.
Soziale Medien, die mit ihren Algorithmen vor allem extreme, empörende und emotionalisierende Postings verstärken, um Menschen möglichst lange auf ihren Plattformen zu halten, sind zu einer Art diskursiven Massenvernichtungswaffe geworden.
Sie sind jetzt auf Bluesky, der netteren Variante von X – ist das nicht auch ein wenig langweilig?
Ich hatte mir viel erhofft von Bluesky, weil es an die frühen Twitter-Jahre erinnert. Doch die Plattform wächst derzeit kaum. Ich würde es spannender finden, wenn mehr vernünftige, bürgerliche, konservative Accounts und mehr Expertinnen und Experten auf Bluesky übersiedelt wären – doch das ist bisher nicht passiert. Auch die Politik bleibt auf X, obwohl die Plattform jeden Tag zig Gesetze bricht. Warum man sie weiter bespielt, verstehe ich nicht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false