
© Hannes Schulze
Filmfestival Achtung Berlin: No Future, Digga!
Die 21. Ausgabe des Achtung Berlin Filmfestivals gewährt wieder verblüffende Einblicke in das Filmschaffen der Hauptstadt. Der Blick reicht von Kreuzberg bis Fuerteventura.
Stand:
Berlin im Sommer, das ist inzwischen ja fast schon ein eigenes Genre im deutschen Coming-of-Age-Film. Die Hitze staut sich zwischen den Betonfassaden, das jugendliche Ennui ist weichgekocht, Rumhängen, dumm Rumlabern, Austesten, was im kurzen Zeitfenster zwischen Schule und dem, was die Eltern mit leicht drohendem Unterton „Leben“ nennen, vielleicht so möglich ist.
Besondere Prachtexemplare sind die 18-jährigen Ramona (Bella Lochmann) und Nico (Pola Geiger) in Sorina Gajewskis Dffb-Abschlussfilm „Nulpen“. Die Teenager – schnelle Brille, loses Mundwerk – haben gerade Abitur gemacht, sind aber noch nicht dazu bereit, „Verantwortung“ zu übernehmen. Noch so ein Wort, das ihnen permanent um die Ohren gehauen wird – selbst von Monis elfjährigem Bruder Noah (Rio Kirchner), der die Mädchen auf eine Fridays-for-Future-Demo mitschleppt.
Das Wort Nulpe (bedeutet in etwa „Lappen“, wie Ramona einmal die Peiniger Noahs nennt) ist eigentlich älter als der Sprachschatz der Generation Z, den Lochmann und Geiger in einer Art frei assoziierender Street Poetry performen: „Ich find Spinnen übergriffig, Digga. Die sollen ihren Space einhalten und meinen Space nicht invaden. Das ist disrepectful!“ Ihre Energie ist ansteckend, mitreißend: Selten genug, dass ein Film über diese Generation nicht peinlich oder gar unfreiwillig herablassend klingt.
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Gajewskis Langfilmdebüt ist genau der Grund, warum das Achtung Berlin Filmfestival in den vergangenen Jahren so wichtig geworden ist für die hiesige Filmszene, die mit der Dffb, der Filmuniversität Konrad Wolf und der Universität der Künste immerhin über drei Programme für die Nachwuchspflege verfügt. „Nulpen“ hatte seine Premiere auf dem Max Ophüls in Saarbrücken, bei Achtung Berlin hat Gajewski nun gewissermaßen ein Heimspiel – und ihr Film bespielt den ganzen Hometurf, von Kreuzberg bis Lichtenberg. Auch wenn in „Nulpen“ wenig passiert, selbst für die Verhältnisse von 18-Jährigen, langweilig wird es mit Moni und Nico nicht.
Begehren in der Wüstenhitze
Ein anderer Film, der bei Achtung Berlin nach Hause zurückkehrt, ist „All We Ever Wanted“, die UdK-Abschlussarbeit des ehemaligen Filmkritikers Frédéric Jaeger. Ein Fuerteventura-Urlaub entwickelt sich für Désirée (Charity Collin), ihren Boyfriend Elias (Mehmet Sözer) und Sal (Michael Ifeandu) zu einer Odyssee, als Désirées Mutter die drei aus dem Ferienhaus schmeißt und Elias die Reisekasse gestohlen wird. Statt tagsüber am Pool zu chillen, müssen die drei im Auto übernachten, aus dem Wellnesstrip wird ein Abenteuerurlaub. Langsam verschiebt sich die ohnehin schon angespannte Dynamik zwischen den dreien, die attraktiven Körper wecken in der Wüstenhitze unbewusste Begehren, die auf verbaler Ebene allerdings unformuliert bleiben – obwohl eigentlich ständig geredet wird.
Und so bleibt in „All We Ever Wanted“ vieles im Fluss. Dass Désirée und der schwule Sal qua Herkunft eigentlich das bessere Paar abgeben würden (oder Elias und Sal qua Begehren), steht vielleicht etwas überdeutlich im Raum. Aber Jaegers Film verfolgt keine große These oder steuert auf einen dramatischen Klimax zu, er nimmt erzählerisch lediglich die Bewegungen der Figuren auf. Für ein deutsches Debüt zeugt dieser Minimalismus schon von bemerkenswertem Selbstvertrauen.
Das Programm von Achtung Berlin hält noch weitere Entdeckungen parat, etwa in der Dokumentarfilmreihe Sabine Herpichs Porträt der Berliner Musikerin Barbara Morgenstern. Oder in der Sektion Berlin Spotlight „Flieg Steil“ von den „Queens of Mumblecore“ Martina Schöne-Radunski und Lana Cooper beziehungsweise das feministische Drama „Oben Ohne“ mit Bären-Gewinnerin Thea Ehre („Bis ans Ende der Nacht“).
Mit zwanzig Filmen allein in den beiden Wettbewerben Spielfilm und Dokumentarfilm ist der Festival-Doppelspitze Regina Kräh und Sebastian Brose ein vielseitiger und immer wieder überraschender Querschnitt durch das lokale Filmschaffen der vergangenen zwölf Monate gelungen. In Berlin wird ja viel über den Wirtschaftsstandort Film geredet, aber diese Form des Lokalpatriotismus steht der Stadt auch gut zu Gesicht.
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