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Berliner Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht anlässlich des 105. Jahrestages ihrer Ermordung im Januar 2025.

© dpa/Jörg Carstensen

Gute Planung ist alles: Eine Ökonomin rehabilitiert den Sozialismus

Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Grace Blakeley versucht zu erklären, wie sich die Zerstörung der Demokratie durch das Kapital aufhalten lässt.

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Nicht weniger als ein „sozialdemokratisches Jahrzehnt“ wollte man gestalten. Das rief Lars Klingbeil seiner Partei auf dem Weg ins Kanzleramt hinterher. Doch die Welt und die FDP hatten anderes im Sinn: Statt eines sozialdemokratischen Jahrzehnts wurden es schlecht moderierte Krisenjahre, und nun sitzt die SPD mit deutlich weniger Abgeordneten im neuen Bundestag als die rechtsextreme AfD. 

Auch andernorts sieht es nicht besser aus: Die Labour-Regierung von Keir Starmer hatte ihren Anfangszauber bereits verloren, noch bevor sie überhaupt gestartet war. In Frankreich ist man zwischen Macron und Le Pen eingekeilt, in Dänemark sucht man sein Unglück in restriktiver Migrationspolitik, und in Polen konnte man zusammen mit dem wenig linksradikalen Donald Tusk gerade so die PiS-Regierung ablösen.

Kurzum: Der politischen Linken, daran ändert auch Heidi Reichinnek nichts, geht’s nicht gut. Doch sie sucht nach Wegen der Wiederbelebung. Eine, die zur Reanimation herbeieilt, ist Grace Blakeley, Ökonomin aus England.

In ihrem neuen Buch versucht sie sich an einer Herleitung, warum wahre Freiheit nur aus dem „Geist des Sozialismus“ entstehen kann. Um die Flamme der Freiheit in die Obhut des Sozialismus zu geben, reißt Blakeley sie jedoch erst dem Kapitalismus aus den Händen. Der, so die Autorin, geriert sich zwar als Hüter der Freiheit und schmäht seine Gegner als planwirtschaftliche Gefängniswärter, doch im Kapitalismus steckt weniger Freiheit als seine ideologische Werbetafel suggeriert.

Ein Erbe des Kalten Kriegs ist die Gegenüberstellung von kapitalistischer Marktwirtschaft und sozialistischer Planwirtschaft. Blakeley wendet ein: Geplant, kontrolliert und gesteuert wird überall. Die Frage ist nur „wo diese Planung stattfindet, wie sie durchgeführt wird und wessen Interessen sie dient.“

Um die Verfechter des Kapitalismus nicht direkt am Anfang zu verschrecken, macht die Autorin ihnen ein Angebot: Sie möchte ausgerechnet Friedrich August von Hayek ernst nehmen. Der hat zeitlebens den staatlichen Eingriff in die Wirtschaft als eine Abkürzung in den Totalitarismus gegeißelt, nun konfrontiert Blakeley ihn posthum mit seinen blinden Flecken.

Was unterscheidet eigentlich staatliche Eingriffe von der Kontroll- und Kartellmacht riesiger Unternehmen? Machen sie uns nicht ebenso unfrei? Was die historischen Beispiele für staatssozialistische Planwirtschaft und die kapitalistische Plansysteme voneinander unterscheidet, ist, dass Letztere stets Mischformen der institutionellen Verwebung sind.

Nirgendwo lässt sich das gerade paradigmatischer erkennen als in den USA, wo der reichste Mann der Welt einem US-Präsidenten geholfen hat, gewählt zu werden und dann die Kettensäge an den Staat anlegte, der seiner Firma SpaceX großzügige Aufträge beschert.

Die meisten Formen dieser institutionellen Interdependenzen sind jedoch diskreter und verstecken sich in Outsourcing von Aufgaben, Expertengremien, Aufsichtsbehörden mit zu viel Nähe zu den Beaufsichtigten.

Dazu kommen die großen Monopole der Internetgiganten, Pharma- und Energie-Konzerne und es drängt sich die Frage auf: Wer hindert eigentlich den Kapitalismus an der Abschaffung des freien Marktes?

In Blakeleys Lesart hat der Kapitalismus eine genauso intensive Liebesbeziehung zum Staat wie der Sozialismus, er liebt ihn nur aus anderen Gründen: Für ihn ist er das Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen und zu schützen. Er ist die Mauer, die man um die eigenen Besitzverhältnisse errichtet.

Man muss der Autorin nicht in ihrer vom Marxismus grundierten Analyse unseres Wirtschaftssystems folgen, um zu sehen, dass sich der Einfluss des Kapitals gerade rasend radikalisiert. Sie setzt bei dem Comeback linker Politik ihre Hoffnung auf Formen demokratischer Planung und stellt am Ende ihres Buches alternative Konzepte für kollektive Formen des Wirtschaftens vor: Vom Lucas-Plan in den Siebzigern bis zur „People’s Plan Campaign“ im indischen Bundesstaat Kerala.

In letzter Konsequenz sagt Blakeley nichts anderes als: Wenn überall geplant und kontrolliert wird, dann sollte diese Planung so demokratisch wie möglich gestaltet werden.

Die Gegenwart gibt ihren Argumenten Schützenhilfe: Der Kapitalismus tritt in ein autoritäres Zeitalter ein. Die Frage wird sein, welcher Einspruch laut genug formuliert wird, damit er nicht im Kettensägengeheul untergeht. Blakeleys Buch ist weder besonders laut, noch sind die Grundzüge ihrer Argumentation neu. Aber selbst für Konservative und Liberale ist es eine gute Erinnerung, sich keinen marktwirtschaftlichen Bären aufbinden zu lassen.

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