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Kultur: Handelt Ihr Buch vom Klassenkampf, Sir Peter?

Sir Peter Ustinov, WeltkünstlerPeter Ustinov, 1921 geboren in London, hat die halbe Welt in den Adern.Seine Familie stammt aus Rußland, Deutschland, Frankreich, Italien und Äthiopien.

Sir Peter Ustinov, WeltkünstlerPeter Ustinov, 1921 geboren in London, hat die halbe Welt in den Adern.Seine Familie stammt aus Rußland, Deutschland, Frankreich, Italien und Äthiopien.Ebenso universell ist sein künstlerisches Genius.Ustinov, den die britische Queen zum Ritter schlug, debütierte 1939 als Schauspieler, schrieb Romane und Bühnenstücke, führte Regie, malte, fotografierte und zeichnete Karikaturen.Als Filmstar brillierte er in seinen Rollen als Nero ("Quo Vadis"), als Lentulus Battiatus ("Spartacus") und Hercule Poirot ("Tod am Nil").Als "praktizierender Europäer" engagierte sich der polyglotte Künstler auch für die Vereinten Nationen als UNICEF-Botschafter.1997 eroberte Ustinov das Bolschoi-Ballett in Moskau mit seiner Inszenierung von Sergej Prokofjews"Die Liebe zu den drei Orangen".Sir Peter Ustinov liest heute abend um 19 Uhr 30 im Haus der Kulturen der Welt aus seinem eben erschienenen Roman "Monsieur Rene" (Kartenverkauf: Lützowstraße 105 beim Verband der Verlage und Buchhandlungen und an der Abendkasse).Mit Peter Ustinov sprach Caroline Fetscher. TAGESSPIEGEL: Sir Peter, an Ihrem 77.Geburtstag, dem 16.April, ist Ihr vierter Roman erschienen, "Monsieur René".Er handelt von den Portiers und Kellnern der Weltklassehotels, die ihr einmaliges Machtpotential als Geheimnisträger von Reichen und Berühmten nutzen, und sich konspirativ organisieren.Steckt darin eine Art Rachephantasie für die lower classes? USTINOV: Oh no, ich bin überhaupt nicht klassenbewußt.Monsieur René ist einfach ein Mann in der Krise, der erst im Alter von siebzig erkennt, daß er immer die falschen Kriterien gehabt hat.Er ist in seiner Branche sozusagen zum Oberfeldwebel aufgestiegen, aber er hat das Gefühl, den falschen Zielen nachgejagt zu sein.Und jetzt nutzt er sein Wissen und seine Erkenntnisse aus. TAGESSPIEGEL: Kein latent sozialistischer Roman? USTINOV: Überhaupt nicht.Aber Bedienstete in Hotels, Hotels wie dem Adlon hier und auch in anderen Städten, interessieren mich.Ich kann mit ihnen mitempfinden. TAGESSPIEGEL: Sprechen Sie mit ihnen? USTINOV: Sicher! Heute sind sie übrigens fast überall Nichteuropäer, Kroaten, Thailänder ...Neulich habe ich mich in Wien lange mit einem burmesischen Zimmermädchen unterhalten.Sie sprach deutsch mit einem Wienerischen Einschlag und dem touch eines burmesischen Akzents, wunderbar.Sie war froh, daß sie wenigstens in Österreich Asyl bekommen hatte, da andere Länder Europas Burmesen kein Asyl gewähren.Und dann war sie erstaunt zu hören, daß ich Burma kenne.Ob es dort jetzt besser sei, fragte sie mich.Ich konnte ihr erzählen, daß zwar alle genug zu essen haben, aber keine Freiheit herrscht.Man darf nicht lesen und schreiben, was man will. TAGESSPIEGEL: Das ist essentiell, darauf will der "Welttag des Buches" aufmerksam machen. USTINOV: In der Tat, es ist eins der Ingredienzen von Demokratie, und Diktaturen können damit nicht leben.Sie finden dort die meisten Analphabeten, das schätzen totalitäre Systeme.Aber da Sie mich nach Sozialismus fragen: Eine der großen Errungenschaften der Kommunisten in Rußland ist sicher, daß sie eine so große Bevölkerung so rasch alphabetisiert haben.Die Bolschewiken wollten, daß die Leute das Kommunistische Manifest lesen können und Marxens Kapital.Aber wer das lesen kann, der kann auch Shakespeare lesen, er kann absolut alles lesen! Unter den Zaren hätte der Prozeß der Alphabetisierung viel länger gedauert, da bin ich sicher, da wären inzwischen vielleicht sechzig Prozent der Menschen lesefähig, aber nicht nahezu hundert Prozent. TAGESSPIEGEL: Umfassende Alphabetisierung fehlt noch in vielen Ländern.Wie lassen sich Bildungssysteme verbessern? USTINOV: Demokratie ist sicher das Wichtigste, und bei der Demokratisierung spielen Organisationen, die unabhängig von der Regierung sind eine immer wesentlichere Rolle, sogenannte NGOs (Nongovernmental Organisations, d.Red.), das Rote Kreuz, amnesty international, Medeciens sans Frontiers - die leisten erstaunliche Arbeit.Wir können allerdings nicht erwarten, daß Demokratien über Nacht enstehen.Eines der Probleme der Welt ist doch, daß es überall verschieden fortgeschrittene Regierungssysteme gleichzeitig gibt.Wenn Leute jahrzehntelang irgendeinem Idi Amin angehangen haben, dann können sie nicht auf einen Knopf drücken und eine Sekunde später freie Wahlen verlangen.Wir müssen uns da etwas von der westlichen Ungeduld befreien. TAGESSPIEGEL: Und Bildungsprogramme unterstützen ... USTINOV: Über Bildung möchte ich vor allem eins sagen: sie muß Spaß machen.Alle reden immer so ernst von Bildung, als sei sie eine Pflicht.Das ist ganz bedauerlich.Es gibt keinen Grund, Bildung nicht unterhaltsam zu gestalten.Zum Beispiel gibt es da jetzt in einem Ort in England, in Bath, ein kleines Theater, das nach mir benannt wurde, und das mir sehr ans Herz gewachsen ist.Ein Kindertheater.Die Kinder schreiben ihre eigenen Stücke und sind ihr eigenes Publikum, mit enormer Spielfreude.Es begeistert mich, denen zuzusehen.In dem Ort hat das außerdem einen anderen starken Effekt: die Jugendkriminlaität der Acht- bis Sechzehnjährigen ist sehr zurückgegangen. TAGESSPIEGEL: Wie haben Sie Bildung erlebt? USTINOV: Also neulich war ich auf einem Podium mit zwei Professoren aus Oxford und Cambridge, ich war ganz still, und wurde dann irgendwann gefragt, warum ich eigentlich nichts sage.Ich sagte, ich denke daran, wie ich während des naturwissenschaftlichen Unterrichts immer aus dem Fenster gesehen und vor mich hingeträumt habe - es war ein miserabler Lehrer.Und ich denke daran, daß ich viel, viel Zeit verschwendet habe, später, als ich irgendwo zugehört habe, wo es sich nicht wirklich lohnte, statt meinen eigenen Gedanken und Fantasien nachzuhängen.Bildung muß faszinieren! TAGESSPIEGEL: Ihre Lehrer haben Sie nicht fasziniert? USTINOV: Kein Stück.Ich habe auch weder einen Schulabschluß noch jemals ein Examen abgelegt.Trotzdem bin ich heute Kanzler der englischen University of Durham.Als ich in meiner Antrittsrede erzählte, daß ich keinen wissenschaftlichen Grad und keinen Abschluß habe, gab es viel Geraune und Geflüster im halbdunklen Saal.Ich fühlte, wie sie alarmiert waren! TAGESSPIEGEL: Wenn die Lehrer nichts taugen muß man sich eben selbst etwas beibringen? USTINOV: Ja, und man braucht Ruhe, wie beim Schreiben.Die besten Gedanken und Bücher wurden von Menschen im Kloster gefaßt und verfaßt, oder von Menschen im Gefängnis.Ich komme gerade aus Südafrika zurück, wo ich mit Nelson Mandela gesprochen habe.Er sagte, er sei dankbar für die Zeit seiner Inhaftierung, da habe er in Ruhe nachdenken können, wozu er jetzt kaum noch kommt. TAGESSPIEGEL: Sie mögen Ruhe? USTINOV: Deshalb schreibe ich so gern.Man ist für sich.Von Einstein erzählt man sich in der Schweiz diese schöne Geschichte, daß er am Zürichsee zum Segeln ging, wenn es fast windstill war.Was will der Kerl denn jetzt Segeln gehen? fragten die Leute, die im Yacht Club saßen, es ist doch gar nicht das richtige Wetter dazu! Ihm ging es aber gerade um die Windstille, um die Zeit, in der man in aller Ruhe seine Beobachtungen machen kann. TAGESSPIEGEL: Was ist mit Buch und Bildung im Fernsehzeitalter? Sind Sie da pessimistisch? USTINOV: Eigenartigerweise nein! Ich finde es zum Beispiel erstaunlich, wie in Deutschland, trotz "Derrick" und "Der Alte" und alledem, die Menschen enorm viel lesen.Das Wort Kultur hat hier wirklich eine Bedeutung, in England bekommt man es um die Ohren gehauen.Als ich den "Deutschen Kulturpreis" verliehen bekam, raunzte mich in England jemand an und sagte: Warum bekommen Sie denn den Preis? Sie sind doch ein Entertainer! TAGESSPIEGEL: Sie sind Schauspieler, Schriftsteller, Maler, Regisseur, Bühnenbildner und Unikanzler, und Sie waren UNICEF-Botschafter.Vor allem sind ein polyglotter Mensch, ein Reisender, ein Europäer.Ist das etwas zerreißendes oder eine Chance? USTINOV: Es ist ein großer Vorteil, ein Glück, mehrere Sprachen zu sprechen.Ich habe sie meistens einfach aufgepickt, Deutsch zum Beispiel, als mein Vater als Presseattaché an der Deutschen Botschaft arbeitete.Er war ganz aufgebracht, wenn ich anfing Deutsch zu sprechen."Das kannst Du doch gar nicht!" rief er.Er hielt mich für faul, und er würde sich heute sicher wundern, daß ich Kanzler einer Universität bin! TAGESSPIEGEL: Würden Sie es richtig finden, wenn alle Kinder in Europa ab der Grundschule eine Fremdsprache lernen? USTINOV: Ach, ich hasse es, Regeln aufzustellen! Andere Sprachen zu können macht Spaß! Ganz gleich, wie man sie lernt.Es ist auch lustig, wenn man eine Sprache nicht ganz perfekt beherrscht.Die Italiener sind so höflich, sie sprechen sofort ein ganz simples, beinah falsches Italienisch mit einem.Und die Deutschen sind so didaktisch, sie überschlagen sich, wenn es darum geht einem auszuhelfen, wenn man nach einem Wort sucht.Sie treten in eine Art Wettbewerb - das ist unglaublich komisch!

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