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Spiegel der Bilder: Sheila Atim in Isaac Juliens  „Metamorphosis“

© Courtesy the artist, Victoria Miro and Jessica Silverman. © The artist. Photo: Andrea Rossetti / Palazzo Te

Italiens schönster Palast feiert 500. Geburtstag: Klassik als Utopie

Macht und Spiele: Mantua war in der Renaissancezeit eine kulturelle Metropole. Zum Jubiläum zeigt der berühmte Palazzo Te eine neue Version der mythischen Metamorphosen.

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Mit den italienischen Städten verhält es sich ähnlich wie mit den Inseln Griechenlands. Das Leben ist nicht lang genug, um all die fabelhaften Orte zu besuchen, wo sich europäische Kultur offenbart und wo man sich auf kaum zu erklärende Art heimisch fühlt. Sehnsuchtsorte im Berliner Grau: Mantua gehört ganz sicher dazu. Die kleine Stadt in der Lombardei war einmal eine europäische Kulturmetropole, darauf gründet bis heute ihr Charme.

Und das geht weit zurück. Der römische Dichter Vergil wurde bei Mantua geboren, ihm ist hier ein im vergangenen Jahr eröffnetes Museum gewidmet. Das Alte war da immer wieder das Neue. Der Hof der Gonzaga-Herzöge entwickelte sich zu einem idealen Anziehungspunkt der Renaissance. Sie sammelten antike Skulpturen, bauten an einem neuen Rom, die Klassik galt als Utopie.

Geburt der Oper

Mantegna, Leonardo, Tizian, sie alle hatten in der Stadt zu tun, wohin Shakespeares Romeo aus dem fünfzig Kilometer entfernten Verona verbannt wurde. Leon Battista Alberti, Architekt und Vordenker der Renaissance, entwarf für Mantua die Basilika Sant’ Andrea. Und mit Claudio Monteverdis „Orfeo“ beginnt 1607 hier die Aufführungsgeschichte der Oper, mit dem antiken Mythos des Sängers, dessen Gesang selbst Tiere und Götter ins Herz traf.

Bei diesen Reichtümern und Innovationen des Humanismus vergisst man leicht, dass die Renaissance auch eine schlimme Zeit war. Kriege überzogen das Land, man lebte nicht sicher. Besonders spürbar wird diese Spannung im Palazzo Te, dem außergewöhnlichsten Bauwerk Mantuas und dem vielleicht schönsten Palast Italiens. Lustschloss, Gesamtkunstwerk, geniale Event Location, so würde man jetzt sagen. 500 Jahre ist der Palazzo alt. Und das wird gefeiert.

Atem der Renaissance: Der Eingang zum Palazzo Te.

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Giulio Romano, ein Schüler Raphaels, hat das Wunderwerk entworfen, eine quadratische Anlage mit Innenhof, umgeben von Wasser und Garten. Der Gang durch die magisch dekorierten Räume gleicht einer Reise in die Welt der Helden und Götter und Mythen, geprägt von den Metamorphosen des Ovid, die überall hier angespielt werden.

Zum Jubiläum wurde der britische Filmemacher und Künstler Isaac Julien in den Palazzo Te eingeladen. „All That Changes You. Metamorphosis“ nennt er seine Vision des Planeten und des Universums, der Wandlungen und Verwandlungen unserer Zeit.

Das größte Schaustück im Palast ist der Kampf der Giganten gegen Zeus. Hier kippt die Renaissance-Wandmalerei, wild verzerrte Körper stürzen herab, scheinen in der Luft zu hängen. Zeus erschlägt die Feinde mit riesigen Felsbrocken. Kunsthistorisch zeigt sich der Manierismus: Die Harmonie zerspringt, die Zeit ist aus den Fugen. Ankunft in der Moderne.

Diese jahrhundertealte, spektakuläre Malerei sei wie Kino, sagte der 1960 in London geborene Julien, als er den Saal der Riesen zum ersten Mal sah. Isaac Julien malt und spekuliert mit filmischen Mitteln. Er hat die Barnes Foundation in Philadelphia bespielt, ebenso wie die Tate Britain und das Centre Pompidou. Er war vertreten auf der Documenta in Kassel und auf der Biennale in Venedig. In Berlin waren seine Filmarbeiten im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

Ewige Verwandlung

Ein magischer Ort wie der Palazzo Te ist aber noch einmal etwas anderes als ein Museum oder eine internationale Kunstschau. Isaac Julien hat für Mantua eine gigantische Installation geschaffen, mit zehn großen Videowänden und einer verspiegelten Halle. „All That Changes You. Metamorphosis“ spielt sich nicht unmittelbar in den Sälen des Palazzo ab, da zeigt der zeitgenössische Künstler seinen Respekt. Seine Fantasien füllen nebenan die ehemaligen Stallungen der Herzöge von Mantua (zu sehen bis 1. Februar 2026).

Befragung der Zukunft: Gwendoline Christie in Isaac Juliens „Metamorphosis“

© Courtesy the artist, Victoria Miro and Jessica Silverman. © The artist. Photo: Andrea Rossetti / Palazzo Te

Man fühlt sich ein wenig wie Alice im Wunderland, wenn man die Immersionslandschaften Juliens betritt. Die Bilder der Natur, Wälder, Tiere, sind von bestechender Brillanz und Schönheit. Es ist eine bedrohte Welt, Feuerstürme fressen sich durch Flora und Fauna. Eine Raumkapsel kommt ins Bild. Und man hört den Gesprächen von zwei noblen Frauen zu, die Göttinnen gleich über das Schicksal des Kosmos reflektieren, dargestellt von den Schauspielerinnen Gwendoline Christie and Sheila Atim. Sie schweben durch futuristische Architektur und wirken so fern und unerreichbar, wie vor einem halben Jahrtausend die frischen Wandbilder im Palazzo Te auf die Betrachter geschaut haben.

Alles ist im Fluss und im ständigen Umbruch. Isaac Julien will mit seiner Science-Fiction-Séance vermitteln zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Transformation sei so unausweichlich wie Koexistenz und Diversität, ist da zu hören. Wenn es nur so einfach wäre.

Isaac Julien ist ein kalkulierter Träumer. Das waren die Erbauer und Erfinder des Palazzo Te auch. Sie verehrten die Antike, aber sie wussten ebenso, dass es kein Paradies war. Die Geschichte Europas entspringt einem Verbrechen. Im Palazzo Te wird die Darstellung des Zeus, der die phönizische Prinzessin verschleppt, jetzt auch klar als „rape“ bezeichnet, Vergewaltigung.

1525 begannen die Bauarbeiten am Palazzo Te. Im gleichen Jahr kam es bei Pavia, in der Lombardei, zu einer verheerenden Schlacht, in der Karl V., der Habsburger, die Franzosen schlug. Europa ist an Kultur so reich wie an Krieg und Katastrophen. Auch das zeigt eindrücklich dieser unwahrscheinliche Palast von Mantua, den der Kaiser zweimal besuchte, wo er sich pompös feiern ließ. Im Kampf der Olympier mit den rebellischen Giganten wird Karl V. als Gottvater Zeus dargestellt, als strahlender Sieger.

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