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Kultur: Nahaufnahme

Heute beginnt im Berliner Haus der Kulturen der Welt ein Festival arabischer Gegenwartskultur: „DisORIENTation“ gewährt Einblicke in die ferne Gedankenwelt des Nahen und Mittleren Ostens. Eine Filmreihe und eine Ausstellung mit Werken aus Syrien, Palästina, Libanon und Ägypten

Der Nahe Osten ist wie ein Kinderzimmer, in dem man lange wohnt und über die Jahre die Möbelstücke hin- und herschiebt. Soraya sitzt auf einem schmalen Bett in Beirut, als sie das sagt. Die Reiseleiterin in Ghassan Salhabs Film „Terra Incognita“ hat dazu einen ergebenen Ausdruck im Gesicht, und man weiß, sie hat mit wechselnden Geschwistern das Zimmer geteilt. Sie spielten und kämpften mit der Grausamkeit von Kindern. Es wurde nichts schöner über die Jahre. Am Ende wohnen sie immer noch darin, gealtert und trotzdem noch irgendwie unmündig.

Das Festival „DisORIENTation“ im Haus der Kulturen der Welt wird von einer arabischen Filmreihe begleitet, die am Samstag mit „Divine Intervention“ von Elia Suleiman eröffnet wird. Der Film gewann im vergangenen Jahr in Cannes den Preis der Jury; er erzählt von der Liebe eines Mannes aus Jerusalem und einer Frau aus Ramallah, die hauptsächlich an der Grenze stattfinden muss. Suleiman ist vermutlich der einzige palästinensische Regisseur, der hierzulande bekannt ist.

Selbst im arabischen Raum ist das arabische Kino kaum bekannt. Jedenfalls das unabhängige Gegenwartskino. Das ist das Besondere an der Reihe: Sie bindet etwas zusammen, was sich weder als regionale noch als künstlerische Einheit begreift – Filme aus Palästina, Ägypten, dem Libanon und Syrien. Es sind einige Spielfilme und viele Dokumentarfilme. Arrivierten Regisseuren sind dabei ausführliche Porträts gewidmet: Der Dokumentarist Omar Amiralay, zugleich Kurator des Programms, erzählt in vier Filmen vom israelisch-palästinensischen Konflikt und den islamistischen Terroristen. Der Syrer Oussama Mohammad prangert in allegorisch verklausulierten Bildern soziale Missstände an, und beschreibt etwa in „Sacrifices“ staatliche Machtverhältnisse in Form einer Familienstruktur. Auch der Libanese Akram Zaatari bleibt in seinen Kurzfilmen und einem Filmessay gerne „latent“. Den jungen Talenten gilt ein eigenes Film- und Videoprogramm. Ein disparates Bild.

Aber warum, fragt man sich, gibt es aus einer Region mit derart existentiellen Problemen nicht mehr Filme? Zwei Dinge spielen hierbei eine Rolle: einerseits das politische Klima, die Bedingungen, unter denen diese Filme entstehen. Das Misstrauen der dortigen Behörden und Kinobetreiber gegenüber jungen Regisseuren ist groß. Das Kino wird von offizieller Seite als Unterhaltungsinstrument angesehen; in einer Region, in der die Freiheiten der Einzelnen ohnehin eingeschränkt sind, ist es als künstlerisches Ausdrucksmittel suspekt. Kein Wunder, dass sich bislang auch keine eigenständige Filmkritik herausbilden konnte.

Zum anderen reicht die Tradition des Bildes in den arabischen Staaten nicht so weit zurück wie in der westlichen Welt. Die arabische Kultur ist überliefert in Märchen, Erzählungen und Liedern. Während die dortigen Künstler ihre Moscheen, Städte und Hauseingänge mit komplizierten Ornamenten und prachtvollen Dekoren versahen, arbeiteten ihre Kollegen der westlichen Welt an den Prinzipien von Bildlichkeit und Darstellung: Perspektive, Proportionen, Realismus. Der Film ordnet sich hier in eine Geschichte der visuellen Künste ein, die über die Fotografie und die Malerei weit zurückverfolgt werden kann. Die Bildkultur setzt eine Entwicklung voraus, die im Nahen Osten gerade erst beginnt. Eine Pioniersituation.

Das gilt nicht für den Iran, eine Kinematografie, die das Festival bewusst ausspart: Autorenfilmer wie Abbas Kiarostami gehören längst zur globalen Filmfamilie. Die Regisseure, die das Haus der Kulturen der Welt nun präsentiert, haben zum großen Teil in anderen Ländern gelernt. Sie haben in Paris gelebt, in San Francisco gearbeitet oder in Moskau studiert. Sie setzten sich mit der Bildsprache dieser Länder auseinander, vermischen sie mit eigenen Eindrücken und Ansätzen. Häufig erkennt man die Lehrer noch sehr deutlich. Ghassan Salhab tut dies mit „Terra Incognita“ in seinem Film über Beirut auf eine derart französische Art und Weise, dass die langen, bedeutungsschwangeren Blicke der Heldin geradezu pariserisch wirken. Ebenso die träge Selbstbefragung, die leicht laszive Atmosphäre der in Beirut treibenden Menschen, die nicht wissen: gehen oder bleiben? Gleichzeitig begreifen sie sich selbst als vergängliche Generation einer sieben Mal zerstörten Stadt.

Mai Masri dokumentiert das Leben von Kindern im palästinensischen Flüchtlingslager „Shatila“. Man sieht, wie unbefangen die Kinder sein können – aber auch, wie sie ein Bewusstsein für Grenzen und Stacheldraht entwickeln. Eines der Kinder sagt: „Ich wünschte, ich wäre nie geboren worden.“

Das Vokabular der westlichen Filmsprache ist bei der Entzifferung dieser Botschaften wenig hilfreich; an deren Traditionen lassen sich diese Fragmente nicht messen. Unser Wissen über den Nahen Osten speist sich ohnehin zum großen Teil aus den Nachrichten. Die Völker sind uns hauptsächlich durch die Interessen bekannt, die andere an sie formulieren, nicht so sehr durch das, was sie selbst von sich erzählen. Welches sind die Geistesräume, in denen die Menschen sich bewegen, was wollen sie, wo bringen die Libanesen, die Palästinenser ihre Träume und Alpträume zum Ausdruck?

Gehen oder bleiben? Das ist die Grundfrage, die sich die Protagonisten in Salhabs Beirut stellen. Wie findet man die eigene Identität, unter dem Eindruck, ständig Opfer höherer Mächte zu sein? Wie deformiert der Krieg die Menschen? Fragen, die im Nahen Osten nie aus dem Gesichtsfeld verschwanden. Wenn die Fernsehbilder der nächsten Tage wieder Außenansichten der Region zeigen, vermitteln die Filme dieser Reihe eine Alternative: Bilder von innen.

Die Reihe startet am Sonnabend den 22. März, mit „Divine Intervention“ von Elia Suleiman. Bis 11. Mai. Weitere Informationen unter www.hkw.de .

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