
© Helmut Newton Foundation
Polaroids in der Helmut-Newton-Stiftung: Jedes Bild ein Unikat
Früher war die Sofortbildkamera ein Muss für Fotografen. Heute entdecken bildende Künstler sie wieder. Die Newton-Stiftung zeigt 250 Werke - natürlich auch vom genialen Hausherrn.
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Ein Klick, ein Surren und schon wirft die Kamera die Aufnahme selbsttätig aus. Innerhalb von Sekunden entwickelt sich das Bild geheimnisvoll vor den Augen derer, die auf den Auslöser drückten: Was für eine Idee!
Als der US-Physiker Edwin Land das Polaroid 1947 erfand, war Fotografie eigentlich ein langwieriger Prozess. Dunkelkammer, chemische Flüssigkeiten, reichlich Geduld und Fingerspitzengefühl brauchte es, bis das Lichtbild als Abzug endlich betrachtet werden konnte. Polaroid packte all das in ein komplex aufgebautes Schichtenmodell, mitsamt Entwicklerlösung fest verschweißt: einfach genial.
Jedes Bild ein Unikat. Heute ist ein Handyfoto sowieso im selben Moment da, nichts Aufregendes mehr. Aber in den 1960ern und 1970ern war eine Polaroid-Kamera ein Must-have, am besten faltbar und immer dabei. 2008 drohte das Aus. Das Unternehmen gab bekannt, die Produktion einzustellen. Eine Firma namens „The Impossible Project“ rettete die Sofortbildfotografie. And the story goes on.

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Was alles sich im Medium Polaroid anstellen lässt und welche Spannbreite technisch wie künstlerisch möglich ist, umreißt die Helmut-Newton-Stiftung anhand von 250 Exponaten, die meisten natürlich von Hausherr Newton selbst.
Marike Schuurman aus den Niederlanden wirft ihre Polaroid-Landschaftsaufnahmen ins trübe Wasser von Tagebaukratern in der Lausitz. Was da entsteht, ist abstrakte Malerei mit den Mitteln der Chemie und des Zufalls. Die ins Großformat aufgeblasenen Schlieren sind Schönheit, sind Dreck, sind Gift. „Toxic“ nennt die Künstlerin ihre Serie von 2022. Gescannt und meterhoch vergrößert streifen die Inkjet-Prints allerdings den rauen Charme der kleinformatigen SX-70 Polaroid-Originale ab. Zum Ausstellen sind die handlichen Unikate natürlich nicht optimal.

© Helmut Newton Foundation
Maurizio Galimberti reiht statt einer Aufnahme gleich dreißig oder sechzig Stück zum Tableau. So setzt er multiple Fotoporträts aus Fragmenten eines Gesichts zusammen. Johnny Depp etwa posiert vervielfältigt, wie im Gruppenporträt mit sich selbst. Die weltgrößte Polaroid-Kamera nutzte dagegen der Hamburger Thorsten Brinkmann für seine Selbstinszenierungen als tragikomischer König mit Gardinenstangen-Zepter.
Die Riesenabzüge zeigen auch die Tücken eines nicht immer perfekten Entwicklungsprozesses. Weltweit sind nur noch wenige Exemplare dieser 100 Kilogramm schweren und mannshohen Balgenkamera im Einsatz. Die Firma Polaroid selbst startete mit dem Riesentrumm einst in den 1970ern eine clevere Kampagne. Sie lud namhafte Fotoschaffende ein, mit der Ausnahmekamera zu arbeiten. Bedingung: jeweils eine Aufnahme landete im Firmenarchiv.
Selbst Andy Warhol stand Modell
Aus diesem Schatz, der mittlerweile der Sammlung OstLicht in Wien gehört, durfte Kurator Matthias Harder schöpfen. Neben den spektakulären Großformaten wählte er auch kleinere Polaroids aus, jeweils eine Arbeit pro Fotograf. Stillleben sind dabei, Körperbilder, abstrakte Kompositionen. Auch William Wegman mit seinen bekannten Weimaraner-Hunden gehört dazu. Nur wirken viele dieser perfekten Studioaufnahmen gar nicht wie Polaroids. Das Spontane, Improvisierte geht ihnen ab. Der wohl berühmteste Polaroid-Fan, Andy Warhol, ist zumindest als Porträtierter zugegen: festgehalten mit seiner Polaroidkamera im Anschlag.
Helmut Newton bekam erstmals in den 1960ern eine Polaroid-Kamera in die Hand. Wie er und seine Frau June sich damit gegenseitig in Südfrankreich ablichteten, ist als Mini-Serie ausgestellt: Helmut auf dem Sofa, June im Garten, Helmut und June splitternackt beim Blick in den Spiegel. Ungestellte Alltags-Schnappschüsse sind das, schön unbefangen.
Newton bewahrte sie auf. Für ihn erwies sich das Polaroid als ideales Skizzenbuch. Bei jedem Mode-Shooting, ob für die Vogue oder Yves Saint Laurent, testete er per Sofortbild vorab Lichtsetting und Bildkomposition, hielt blitzschnell Einfälle fest. Und davon hatte er viele. Hunderte Aufnahmen landeten im Berliner Stiftungsarchiv. Die ausgewählten 75 Original-Polaroids, die einen nahen Blick erfordern, ergänzt eine Auswahl posthum gefertigter Vergrößerungen. Sie entstanden, besucherfreundlich, auf Wunsch seiner Witwe June für eine erste Ausstellung 2011.
Auch seine großen Frauenakte der 1980er Jahre bereitete Newton mit Polaroids vor. Seine Obsession für Beine geht, so meint Kurator Harder, auf seine Berliner Lehrmeisterin Yva zurück. Im Atelier der Fotografin nahe dem Kurfürstendamm lernte der in Berlin Geborene ab 1936, bevor beide aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ins Exil flüchten mussten. Yvas Serie von Frauenbeinen in Seidenstrümpfen bis knapp unter den knielangen Rocksaum war legendär.
Newton schmuggelte später oft Fakekörper, etwa Schaufensterpuppen, falsche Beine oder Brüste in seine Aufnahmen von objekthaft inszenierten und hypersexualisierten Topmodells. Cindy Crawford, Claudia Schiffer, Grace Jones: Im Polaroid hielt er sie zuerst fest. Diese ganze überbordende, hoch inszenierte Newton-Welt aus langbeinigen Frauen, nackter Haut, surrealen Situationen, überraschenden Begegnungen, Glamour, Dynamik, Situationskomik, unheimlichen Momenten und angedeuteten Dramen ist in den Polaroids schon komplett da. Nur in klein, noch nicht ganz perfekt. Und eben als Unikat.
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