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Die Tagesspiegel-Leserjury 2025 vergibt ihren Preis, den Ko-Produzent Marc-Daniel Dinand (M)  engegennimmt. (v.l.: Christian Riegel, ebenfalls Ko-Produzent, Amari Barash, Manuela Ziegler, Akito Ruhl, Max Simbolon, Katja Horstmann, Julian Gabrysch.

© Christiane Peitz

Update

Tagesspiegel-Leserjury auf der Berlinale: „The Swan Song of Fedor Ozerov“ gewinnt den Preis unserer Leserjury

Als besten Forum-Film kürt die Tagesspiegel-Leserjury das humorvolle Regiedebüt des Belarussen Yuri Semashko. Er hat ihn in Polen mit anderen Exilanten gedreht – und freut sich, dass seine Eltern jetzt endlich stolz auf ihn sind.

Stand:

Die Leserjury des Tagesspiegels diskutierte zwei Stunden – dann stand der Gewinnerfilm fest, nach längerem Hin und Her über die am Ende drei Favoriten. 24 Beiträge der Forum-Sektion auf der Berlinale haben die sieben Jurorinnen und Juroren gesehen, 42 Stunden Kino in acht Tagen, und sich für „The Swan Song of Fedor Ozerov“ von Yuri Semashko entschieden.

Darin begegnet der 25-jährige Gitarrist und Songwriter Fedor (Viachaslau Kmit) den Gerüchten eines drohenden Atomkriegs mit dem Vorhaben, unbedingt eine Band zu gründen. Einen guten Song schreiben möchte er auch noch.

Dafür braucht er allerdings seinen Glückspullover, einen dicken bunten Wollpulli mit aufgestickten Gänseblümchen. Von dem Kleidungsstück erhofft er sich magische Kräfte für den notwendigen kreativen Schub. Dummerweise ist der Pulli verschwunden. Also begibt sich Fedor auf eine Odyssee, bleibt entgegen der allgemeinen Panik vor dem zum Jahreswechsel prophezeiten Dritten Weltkrieg bei seiner teils grotesken Detektivarbeit allerdings gelassen.

Kunst hilft, das Unerträgliche zu ertragen

Der mit 78 Minuten ebenso kurze wie kurzweilige Film macht auch Anleihen beim Orpheus-und-Eurydike-Mythos, bei Orks- und Elfengeschichten. Er zeige „auf einfühlsame Weise den (un)möglichen Umgang mit einer gegenwärtigen Perspektivlosigkeit“, heißt es in der Begründung der Jury. „Dabei überzeugt er durch seine originelle Gestaltung und humorvolle Dialoge.“ „The Swan Song“ sei das „berauschende Spielfilmdebüt eines belarussischen Regisseurs und eines Ensembles von Immigrant*innen im polnischen Exil“, so das Fazit der sieben.

Was kann die Kunst der Realität entgegensetzen? Dass der junge Filmemacher und studierte Ingenieur Yuri Semashko, Jahrgang 1993, die Frage mit besonderer Dringlichkeit stellt, hat gewiss auch damit zu tun, dass er wie viele andere Künstler und Intellektuelle aus Belarus emigrieren musste.

„Was tun wir, wenn die Welt aus den Fugen gerät, Kriege toben, Diktatoren an der Macht sind und wir tagtäglich von schlechten Nachrichten überschwemmt werden? Richtig – wir machen Kunst“, schreibt er in seinem Statement zum Film.

Der Musiker Fedor (Viachaslau Kmit) fahndet nach seinem Lieblingspulli, denn nur mit ihm kann er gute Songs schreiben. Szene aus dem Forumsfilm „The Swan Song of Fedor Ozerov“ von Yuri Semashko.

© Yuri Semashko

Semashko lebt heute in Warschau. Dort realisierte er sein Langfilmdebüt, eine litauisch-deutsche Super-Lowbudget-Produktion, gemeinsam mit anderen jungen Emigrant:innen aus Belarus. Bei der Verleihung am Samstag im Hyatt-Konferenzsaal nahmen die Berliner Ko-Produzenten Marc-Daniel Dichant und Christian Riegel die Auszeichnung entgegen – Semashko war schon vor einigen Tagen abgereist. Dinand bedankte sich in dessen Namen und erinnerte daran, dass alle, die dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko die Stirn bieten, Ermutigung und Unterstützung brauchen.

Die Jury hat jeden Film „breit diskutiert“, erzählt Juror Julian Gabrysch, der als Arzt in der Charité arbeitet, wenn nicht gerade Berlinale ist. Sie achteten auf Bildsprache und Plot, die visuelle Komposition, Ton, Soundtrack und Tempo. Am Ende entschieden sie sich auch deshalb für den ohne Förderung entstandenen Film eines Autodidakten, weil er es schwerer hat als andere, Aufmerksamkeit zu erzielen.

„Filme mit einer größeren Förderung, die auch ein breiteres Publikum ansprechen, haben Preise vielleicht weniger nötig“, sagt Jurorin Katja Horstmann. Als sie vorab den Programmtext zu „The Swan Song...“ las, dachte sie zwar zunächst, der werde es sicher nicht. Aber dann gefiel ihr Semashkos Potpourri aus witzigen und melancholischen Szenen.

Ein wenig fühlte sie sich auch an ihre berufliche Vergangenheit als Touristikerin auf Kreuzfahrtschiffen erinnert. Beim Landgang in russische Provinzstädte tanzte Horstmann manchmal zu eigenen Songs in kleinen Diskotheken.

Theresa Wiesweg, die letzten Sommer ihr Film- und Literaturwissenschaftstudium abschloss, fürchtet die Zeit nach der Berlinale beinahe ein wenig. „Mal sehen, wie es wird, nicht mehr dauernd in den Berlinale-Kosmos abzutauchen.“ Den Kino-Marathon empfand sie als sehr bereichernd, auch wegen des Einblicks hinter die Kulissen der Programmkinos.

PS: Am Sonntag, den 23. Februar, schickte der Regisseur zur Vorführung des Gewinner-Films im Arsenal-Kino Dankesworte aus Warschau an die Leserjury: „Es ist eine große Ehre für mich, einen Preis von Lesern zu erhalten. Denn sie wählen einen Film eher mit dem Herzen aus als aus Vernunftgründen (wie professionelle Filmkritiker). Ich bin froh, dass mein Film sein Publikum auf einem großen europäischen Filmfestival gefunden hat, trotz aller Probleme bei der Finanzierung einer belarussischen Produktion im Exil. Meine Eltern verstehen immer noch nicht, was die Berlinale ist, aber wenn ich ihnen die Urkunde zeige, werden sie stolz auf mich sein.“

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