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Starpower auf dem Venedig Filmfestival : Anstrahlen gegen die Krisen der Gegenwart
Julia Roberts, George Clooney, Dwayne Johnson, Jude Law, Idris Elba – das Schaulaufen der Stars bei den 82. Filmfestspielen von Venedig ist eindrucksvoll. Aber bürgen die Namen auch für Qualität?
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Man hätte vermuten können, dass die Oscar-Verleihung im März am Selbstverständnis von Venedig-Leiter Alberto Barbera gerüttelt hat. Die Renaissance seines Filmfestivals hatte ja nicht zuletzt damit zu tun, dass es Barbera in den vergangenen zehn Jahren gelungen war, das Schaulaufen am Lido zum offiziellen Startschuss für die Award-Saison zu erklären.
An deren Ende werden traditionell die Goldjungen in Hollywood verteilt, mit besten Empfehlungen aus Venedig. Barbera, der Königsmacher. In diesem Jahr räumte allerdings Sean Bakers Palmen-Gewinner „Anora“ bei den Oscars ab, während Brady Corbets Monumentalwerk „The Brutalist“, in Venedig mit dem Regiepreis ausgezeichnet, mit nur drei Preisen, darunter für Hauptdarsteller Adrien Brody, den Kürzeren zog.
Wenn an diesem Mittwoch die 82. Ausgabe der Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica von Paolo Sorrentinos „La Grazia“ eröffnet wird, kann Alberto Barbera aber schon wieder gelassen auf die Oscar-Schmach im Frühjahr zurückblicken.
Sein diesjähriges Line-up übertrifft – zumindest der Gästeliste nach zu urteilen – noch einmal alle vorherigen Jahrgänge; die Stars geben sich in einer geradezu absurden Taktung die Klinke in die Hand. Gleich an den ersten Tagen, wenn sich wie üblich die Highlights im Programm stauen, wird es eng am Bootsanleger vor dem Hotel Excelsior.
Ein Star-Aufgebot wie bei den Oscars
Emma Stone präsentiert in Venedig ihre vierte Zusammenarbeit mit Giorgos Lanthimos („Bugonia“), George Clooney und Adam Sandler schauen mit Noah Baumbachs „Jay Kelly“ am Lido vorbei, Oscar Isaac, Jacob Elordi und Christoph Waltz mit Guillermo del Toros „Frankenstein“.
Hollywood lässt grüßen, mit Dwayne Johnson und Emily Blunt, die am Lido das Sportlerdrama „The Smashing Machine“ bewerben. Und dann gibt es dieses Jahr noch eine prominente Premiere, auf die Barbera besonders stolz ist: Julia Roberts wird zum ersten Mal überhaupt den Lido mit ihrer Anwesenheit beehren. Sie spielt die Hauptrolle in Luca Guadagninos Campus-Thriller „After the Hunt“.

© AFP/Stefano Rellandini
Die Feststellung, dass Cannes und Venedig die wichtigen Filme des Jahres (mit leichten Ausschlägen ins Populäre) inzwischen fast vollkommen unter sich ausmachen, ist angesichts dieses Star-Aufgebots nicht untertrieben. Mit Roberts hat sich Barbera eine echte Sympathieträgerin gesichert, die auch den Status des Festivals als gesellschaftliches Ereignis unterstreicht.
Die Fans werden für sie vermutlich nicht vor dem Festivalpalast die Zelte aufschlagen wie bei den Auftritten von Harry Styles oder Lady Gaga; diese Bilder gehören zur Ikonografie des Lidos wie der Ausstieg der Stars aus dem Vaporetto.
Aber Roberts ist als Botschafterin einer Hollywood-Ära, in der das Glamour-Versprechen noch nicht mit einem schnellen Social-Media-Post besiegelt wurde, für das Image des Festivals unbezahlbar.
Dazu kommt, dass sie, Adam Sandler und Dwayne Johnson keine Festival-typischen Stars sind. Doch auch in der oberen Hollywood-Liga spürt man inzwischen, dass die interessanten Filmprojekte nicht mehr von den großen Studios finanziert werden.
Barbera hatte diesen Trend in Interviews mit den Branchenmagazinen ebenfalls angemerkt. In diesem Jahr ist kein Traditionsstudio in Venedig vertreten; Paul Thomas Andersons „One Battle after Another“ (Warner Bros.) mit Leonardo DiCaprio wird schmerzlich vermisst.
Die Streamer laufen den Studios den Rang ab
Filmfestivals sind immer auch verlässliche Seismografen für den Zustand der Branche. Und da lässt sich schon seit einer Weile beobachten, dass kleine Boutique-Studios wie A24 und Neon inzwischen den gehobenen Arthouse-Markt abdecken, während die Studios sich zunehmend auf das Geschäft mit Franchises konzentrieren. Und dann sind da natürlich noch die Streamer, die von Barbera mehr umhegt werden als in Cannes von Thierry Frémaux.
Netflix, nach einer Auszeit im vergangenen Jahr wieder mit drei Titeln am Lido vertreten (neben „Frankenstein“ und „Jay Kelly“ noch Kathryn Bigelows Terror-Thriller „A House of Dynamite“ mit Idris Elba), und Amazon („After the Hunt“) sind es auch, die einen Gros der Stars nach Venedig bringen. Die Krise der amerikanischen Filmbranche lässt sich hier sozusagen in Echtzeit beobachten.
Natürlich ist Hollywood nicht der Nabel der Filmwelt – wobei die Muskelspiele von Alberto Barbera nur mit freundlicher Unterstützung der Global Player gelingen. Am diesjährigen Programm gehen aber auch die Krisen der Welt nicht spurlos vorüber. Nicht mal auf dem Lido also, wo das Flanieren entlang der Promenade gelegentlich einer Wirklichkeitssimulation ähnelt.
Jude Law in einem Biopic über Putin
Zum einen ist der Dokumentarfilm politischer als in den Vorjahren. Die Löwen-Gewinnerin Laura Poitras („All the Beauty and the Bloodshed“) porträtiert in „Cover-up“ den Investigativ-Journalisten Seymour Hersh, Lucrecia Martel in „Nuestra Tierra“ den indigenen Menschenrechtsaktivisten Javier Chocobar, der 2009 ermordet wurde. Werner Herzog reist – als einziger deutscher Regisseur – mit „Ghost Elephants“ an und wird im Rahmen des Festivals von Francis Ford Coppola den Ehren-Löwen für sein Lebenswerk überreicht bekommen.

© Ken Woroner / Netflix
Aber auch die Fiktionen sind politisch aufgeladener als üblich, im Fall von Kaouther Ben Hanias „The Voice of Hind Rajab“ sogar mit dokumentarischen Quellen. Der Film der tunesischen Regisseurin („Olfas Töchter“) basiert auf den Telefonaten der fünfjährigen Hind Rajab, die im Januar 2024 bei Angriffen der israelischen Armee auf Gaza-Stadt stundenlang im Auto ihres Onkels festsaß und später tot aus den Trümmern geborgen wurde.
Die humanitäre Katastrophe in Gaza lenkt die Aufmerksamkeit in der Bubble von Venedig auch auf die bescheidenen Mittel des Kinos. Der Schweizer Regisseur Nicolas Wadimoff macht das Beste draus und gibt in seinem Dokumentarfilm „Who Is Still Alive“ neun geflüchteten Palästinensern aus Gaza den Raum, ihre Geschichten zu erzählen.
Den Schwachen eine Stimme geben, ist in kritischen Zeiten wie diesen vielleicht die einzig sinnvolle Möglichkeit zu zeigen, warum das Kino weiterhin unverzichtbar ist. Alberto Barbera hat für diese Ausgabe schon die Rückkehr des „Kinos der Wirklichkeit“ ausgerufen. Natürlich ist der Anspruch, die Gegenwart erklären zu wollen, vermessen. Eher schon erinnert er an die Ohnmacht der Bilder.
Mehr als eine kuriose Randnotiz, möglicherweise dem Ernst der Lage nicht ganz angemessen, ist auch der Auftritt von Jude Law als Wladimir Putin im Biopic „The Wizard of the Kremlin“ vom französischen Autorenfilmer Olivier Assayas. Die Programmierung im Wettbewerb kann man natürlich schon, wie Barbera nicht müde wird zu betonen, als politisches Statement verstehen.
Aber in einer Branche, in der die Stellungnahmen vom roten Teppich gewissen Routinen unterliegen, lässt eine solche Polit-Travestie tief blicken. Die Vorfreude auf Kontroversen – und Jude Law – gehört eben zum Geschäftsmodell. Schließlich machen heute nicht nur die Streamer, sondern macht vor allem die Wirklichkeit dem Kino Konkurrenz.
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