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Schulbus in Berlin.

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Wenn „Zuhause“ undefinierbar ist: Auf Durchreise

Mit dem jüdischen Schulbus durch Berlin. Unsere Schlamasseltov-Kolumnistin erinnert sich an lange Fahrten durch ein melancholisches Berlin.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

Als ich zum vorerst letzten und 16. Mal umgezogen bin, war ich 28. Elf dieser Umzüge fanden vor meinem 18. Lebensjahr statt. Ich war in mindestens zwei verschiedenen Kitas, drei verschiedenen Grundschulen und vier (oder fünf?!) verschiedenen Klassen an zwei unterschiedlichen Oberschulen.

Ankommen wird gewissermaßen relativ. Beständigkeit ein Konzept. „Zuhause“ irgendwie unklar. Erfahrungen – jüdische Erfahrungen noch verworrener als sowieso schon.

Um die unterschiedlichen Erfahrungen als jüdisches Kind in unterschiedlichen Grundschulen in unterschiedlichen Bundesländern deutlich zu machen, erzähle ich vor allem von meinem Schulwechsel in der dritten Klasse: von einer Karlsruher Grundschule in Baden-Württemberg auf eine Grundschule in Berlin-Kreuzberg. Vermutlich auch, weil das die Grundschulen sind, an die ich mich am besten erinnere. Aber eingeschult wurde ich tatsächlich mit sieben in Berlin. Und zwar auf der jüdischen Grundschule Heinz Galinski. Oktober ’96 bis Februar ’97.

Warum ich nicht wieder an der jüdischen Grundschule eingeschrieben wurde, als es nach dem Tod meiner Mutter zurück nach Berlin ging, entzieht sich meinem Verständnis. Und bis auf ein, zwei Fetzen habe ich heute keine Erinnerung mehr an den Schulalltag dort. Aber der Schulweg hat sich eingebrannt. Das Besondere daran war der Schulbus. 40 Minuten von der Donaustraße in Neukölln in die Waldschulallee in Charlottenburg. Sonnenaufgang, Dämmerung, Regen der an die Scheiben prasselt …

Berlin schien von Schulbus aus besonders melancholisch zu sein, während Neukölln, Tempelhof, Schöneberg und Wilmersdorf an uns vorbeizogen. Morgens müde, weil ich früh aufgestanden bin, um um 7 Uhr im Bus zu sitzen. Abends müde, weil ein ganzer Schultag hinter mir liegt. Die Augen immer wieder am Zufallen. Im Bus wird spekuliert, wer wirklich schläft und wer nur so tut.

Jeden Tag eine Reise. Eine Weltreise von einer Welt dieser Stadt in eine andere. Die Welten dazwischen durch die Bullaugen eines jüdischen Schulbusses. Ich auf der Durchreise. Quasi wie immer.

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