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Klingbeil und Merz.

© Gestaltung: Tagesspiegel, Fotos: dpa/Hannes Albert, dpa/Christoph Soeder

Koalitionsverhandlungen – schwer für die Union: Die SPD ist weit stärker als ihre Prozente

Scheitern? Bloß nicht! Aber sicher ist das nicht. Die CDU hat einige Heißsporne in ihren Reihen und Friedrich Merz Akzeptanzprobleme. Deshalb müssen Partei und Kandidat alles tun, um Neuwahlen zu vermeiden.

Stephan-Andreas Casdorff
Eine Kolumne von Stephan-Andreas Casdorff

Stand:

Jetzt beginnen die Koalitionsverhandlungen. Die haben ihre Bedingungen, je eigene für die Beteiligten. Wie wäre es mit ein paar Hypothesen?

Also, beginnen wir mit den vermeintlich Schwächeren, der SPD.

Die große, alte Sozialdemokratie hat den Boden erreicht. Oder besser: die Bodenbildung. Niedriger wird sie nicht mehr abschneiden, zumindest nicht auf der Bundesebene und nicht für die voraussehbare Zukunft.

Dennoch ist die SPD in einer strategisch besseren Position, als es aktuell nach außen den Anschein hat. In einer viel besseren. Warum? Das hat mehrerlei Gründe, innere wie äußere.

Die SPD kann sich nach ihrem katastrophalen Wahlergebnis nur verbessern. Das gilt gerade auch angesichts des schwachen Wahlergebnisses der Union, ihres zweitschlechtesten in der Geschichte. Spitzenkandidat Friedrich Merz hat Akzeptanzprobleme.

Merz hat sich vor der Wahl stark positioniert: Politikwechsel, Richtungswechsel. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte dafür die Inhalte seiner Partei stark fokussiert, genauer: eingeengt.

Ob Verschuldung, Einsparpotenziale im Haushalt, Subventionen, verbesserte Infrastruktur – die Töne waren bis vor den Sondierungen sehr laut, geradezu großsprecherisch. Doch die roten Linien halten nicht.

Neuwahlen brächten relativ sicher eine linke Mehrheit

Kommen nun in der Union Heißsporne zum Zug, etwa in der Migrationsfrage, etwa in Fragen der Sozialpolitik, könnte das der SPD in die Hände spielen. Denn damit liefert die Union allen, von der AfD bis zum linken Flügel der SPD, selbst Argumente gegen sich.

Es ist kein Wunder, dass in manchen Zirkeln der Parteien sogar das Wort von Neuwahlen die Runde macht. Als Schrecken – aber auch als Möglichkeit, als letzter Ausweg. Die Debatte läuft.

Nach allem, wie die Lage jetzt von den Auguren beurteilt wird: Eine kurzfristige Neuwahl bringt relativ sicher eine linke Mehrheit im Bundestag. Bei einer Neuwahl ohne Olaf Scholz und mit Boris Pistorius als Spitzenkandidat kommt die SPD auf mindestens 20 Prozent, eher in Richtung 25 Prozent. Mit Pistorius könnte und würde sie auch einen völlig anderen Wahlkampf führen.

Die SPD könnte mit Pistorius punkten

Ein Argument gegen die Union aus sozialdemokratischer Sicht wäre, sie habe aus staatlicher Verantwortung solide Lösungen mit ihr erreichen wollen, aber deren Hardliner seien in Richtung AfD unterwegs, einerlei, was Merz gesagt habe. Und das sei ja der Merz, dem man angesichts der gebrochenen Wahlversprechen sowieso kein Wort mehr glauben könne. Deshalb war dann eine Kompromisslinie in zentralen Fragen, über Migration hinaus, nicht möglich.

Wegen der internationalen Verlässlichkeit Deutschlands könnte die SPD im Blick auf Pistorius unterstreichen, wie sehr sie in Person und Handeln zu einer erheblichen Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit stehe. Für diese Position gibt es nach der dramatischen Änderung der Politik in den USA bei Grünen und auch bei einer möglicherweise zurückkehrenden FDP Unterstützung.

Vor allem aber werden große Teile der Unionsparteien sich dem nicht glaubwürdig verweigern können. Eine Mehrheit im Bundestag für einen solchen Kurs wäre also gesichert und könnte glaubwürdig argumentiert werden – von der SPD.

Der Union droht ein noch schlechteres Wahlergebnis

Wer sich dann in Unionsreihen aus Frust noch über eine Zusammenarbeit mit der AfD – in welcher Form auch immer – laut verbreiten würde, der würde ihr eine möglicherweise noch drastischere Wahlniederlage als die von 2021 bescheren.

Die Heißsporne in CDU und CSU hätten bei Neuwahlen dann eines erreicht: Sie hätten die Union aus der Regierung katapultiert. Wie auch immer die Verteilung der Mandate im Bundestag für eine Mehrheit links der Mitte wäre.

Soweit die Hypothesen. Alles nicht wahrscheinlich?

Es wäre nicht die erste konservative Partei, die aufgrund innerer extremer Positionen und mangelnder Disziplin von der europäischen Landkarte verschwindet oder in die Bedeutungslosigkeit sinkt. Siehe Italien, siehe Frankreich.

Da wird spannend sein, zu beobachten, ob sich die Verantwortlichen in CDU/CSU durchsetzen. Nicht allein in den Koalitionsverhandlungen. Wo doch die SPD stärker ist als ihre Prozentpunkte.

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