
© dpa/Kay Nietfeld
Nicht nur „ein bisschen geruckelt“: Die Ampelparteien brauchen einen neuen Umgang miteinander
SPD, Grüne und FDP schaffen was weg, große Vorhaben werden abgeräumt. Doch das begleitende Gezänk ist oft verstörend. Die mangelnde Geschlossenheit der Ampel stärkt auch die AfD.

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Einen Wunsch zu seinem 65. Geburtstag hat Olaf Scholz am Mittwoch nicht geäußert. Der Kanzler aus der SPD hätte bei einem Auftritt mit FDP-Chef Christian Lindner und der grünen Außenministerin Annalena Baerbock ja um mehr arbeitsame Ruhe in seiner Koalition bitten können. Stattdessen erweckte er erneut den Eindruck, als stehe alles zum Besten. In Feierlaune wiederholte er gar noch den Anspruch, „auch noch die nächste Legislaturperiode gemeinsam bestreiten“ zu wollen.
Ist diese Aussage mutig, übermütig oder gar der Realität entrückt? Zuletzt waren laut ARD-Umfrage 79 Prozent der Bürgerinnen und Bürger weniger oder gar nicht zufrieden mit seiner Regierung. Noch sind es gut zwei Jahre bis zur Bundestagswahl, bis dahin kann viel passieren. Scholz setzt wie bei der vergangenen darauf, dass miese Werte im Vorfeld bedeutungslos sind und die Menschen erst kurz vor der Wahl ihre Entscheidung treffen.
Wenn überhaupt wird es die Schwäche einer inhaltlich-personell unsortierten Union sein, die Scholz die Chance auf eine zweite Amtszeit gibt. Die Strahlkraft der selbst ernannten Fortschrittskoalition kann es nicht sein.
Ergebnisse besser als ihr Ruf
Das liegt gar nicht einmal an den Ergebnissen, die die Ampel produziert. Da kann sich vieles sehen lassen – der erhöhte Mindestlohn etwa, das Sondervermögen für die Bundeswehr, das 49-Euro-Ticket oder die Planungsbeschleunigung.
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Auch zuletzt so umstrittene Entscheidungen wie der EU-Asylkompromiss oder die Grundsatzeinigung zum Heizungsgesetz aus dieser Woche sind große Vorhaben, die nun nach jahrelanger Untätigkeit zum Abschluss gebracht werden – unabhängig davon, wie man zu einzelnen Punkten steht. Für drei so unterschiedliche Parteien, wie SPD, Grüne und FDP das sind, ist das nicht wenig.
Verstörend, für viele gar abstoßend ist vor allem das Verhalten mancher Beteiligter auf dem Weg zu diesen Entscheidungen. Noch während gelobt wird, das ständige Gezänk nun wirklich hinter sich lassen zu wollen, wird mit der nächsten verbalen Blutgrätsche wieder ein Koalitionspartner von den Beinen geholt.
Kulturkämpferische Töne ohne jeden Respekt gegenüber der Position des jeweils anderen sind selbstzerstörerisch für ein Bündnis, das angeblich gemeinsam Zukunft gestalten will. Und es stärkt nicht zuletzt die AfD, weil tatsächlich gefundene Problemlösungen zerredet, schlecht gemacht werden oder im Getöse ganz untergehen.
Kein vorzeitiger Bruch
Die Halbwertzeit der Harmoniebekenntnisse zwischendurch wird immer kürzer. Bestes Beispiel dafür ist das Gebäudeenergiegesetz: Nachdem ein dreitägiger Koalitionsgipfel Ende März die bitterböse Auseinandersetzung angeblich beendet hatte, ging sie danach erst wirklich los. Wenn der Kanzler nun so tut, als habe es nur „ein bisschen geruckelt“, fassen sich selbst wohlmeinende Beobachter an den Kopf.
Die Ampel hat bisher – freilich unter schwierigsten Rahmenbedingungen eines Krieges in Europa – keinen Regierungsstil entwickelt, der die nötige Geschlossenheit mit dem Raum zur parteipolitischen Profilbildung kombiniert. Das ist Ausdruck verlorenen Vertrauens und schwacher Führungen. Sie können der jeweiligen Basis nicht schmackhaft machen, dass auch in politischen Beziehungen dem Partner etwas gegönnt werden muss.
Dem steht der Zeitgeist entgegen, der den demokratischen Kompromiss als Verrat der eigenen Position schmäht. Als langjährige Oppositionsparteien, die sich über die Kritik an der Konkurrenz definieren, sind Grüne und FDP dafür besonders anfällig.
Vorzeitig zerbrechen wird die Ampelkoalition mit sehr großer Wahrscheinlichkeit trotzdem nicht – schon deshalb, weil die entscheidenden Akteure um ihre staatspolitische Verantwortung in dieser europäischen Großkrisenlage wissen.
Sollten die Ampelparteien aber wirklich darüber hinaus die Geschicke dieses Landes bestimmen wollen, müssen sie bei aller Unterschiedlichkeit ganz dringend einen neuen Umgang miteinander finden.
- AfD
- Ampelkoalition
- Annalena Baerbock
- ARD
- Bundestagswahl
- Christian Lindner
- Die Grünen
- FDP
- Friedrich Merz
- Mindestlohn
- Olaf Scholz
- SPD
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