KONTRA Punkt: Und ewig grüßt das Murmeltier
Christian Wulff in der ARD: Sonst noch Sorgen?
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Es war nur ein Traum. Und der ging so: Es ist Sonntagabend, ein mittelmäßiger „Tatort“ geht zu Ende und Günther Jauch auf Sendung. Der teure Talker überrascht mit einem sperrigen Thema. Originell, relevant, human, aufklärerisch, aktuell. Fernsehen vom Feinsten. Dafür lohnt die Zwangsabgabe, die den Öffentlich-Rechtlichen pro Jahr mehr als sieben Milliarden Euro in die Kassen bringt.
Es geht um „Christenverfolgung in der muslimischen Welt“. Ein schwieriger Stoff, aber für Jauch wie geschaffen. Schicksale, Hintergründe, Problematisierung: Das kann er. Mit in der Runde sitzt Jürgen Klimke. Der CDU-Bundestagsabgeordnete hat in der vergangenen Woche eine Patenschaft für den inhaftierten iranischen Pastor Mehdi Foroutan übernommen. Foroutan wird vorgeworfen, mit Muslimen über das Christentum gesprochen zu haben. Noch übler ergeht es dem Pastor Youcef Nadarkhani, der im Iran zum Tode verurteilt wurde. „Die Unterdrückung des Christentums im Iran wird immer unerträglicher", sagt Klimke.
Zu Wort kommt auch Katrin Bornmöller, die Vorsitzende der deutschen Sektion der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ (IGfM). Sie berichtet über Nigeria, wo die islamistische Terrorgruppe „Boko Haram“ (wörtlich übersetzt: „Westliche Bildung ist Sünde“) wütet. Sie ist für einen Teil jener Anschläge von vor zwei Wochen verantwortlich, bei denen im Norden des Landes mindestens 180 Menschen, überwiegend Christen, ermordet wurden. Mehr als die Hälfte der 155 Millionen Nigerianer bekennt sich zum Islam, der Anteil der Christen beträgt rund 45 Prozent. Laut IGfM fielen seit dem Jahr 2000 mehr als 10 000 Christen der religiös geprägten Gewalt in den zwölf islamisch geprägten Bundesstaaten Nigerias zum Opfer.
Neben Frau Bornmöller sitzt Kipshidze Vakhtang, der sich im Auftrag der OSZE mit Religionsfreiheit und religiöser Intoleranz befasst. Er beschreibt die „Christianophobie“ als Phänomen einer postchristlichen Welt und weist auf eine Disparität hin: „Während die arabischen Staaten auf allen zugänglichen politischen Plattformen gegen islamfeindliche Äußerungen in den westlichen Ländern kämpfen, und während Israel und die jüdischen Gemeinden der Welt wegen des Antisemitismus besorgt sind, setzt sich für die christlichen Gemeinden, besonders im Nahen Osten, kaum eine politische Kraft ein.“
Das sieht der ehemalige Reporter der „New York Times“, Clifford D. May, ähnlich. „Die Verfolgung von Christen in vielen muslimischen Ländern ist die wichtigste internationale Geschichte, die allerdings von den großen Medienanstalten ignoriert wird.“ Dabei sind die Zahlen erschreckend eindeutig. Etwa 80 Prozent aller Menschen, die weltweit wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. In islamischen Ländern ist die Lage dramatisch. In Saudi-Arabien ist es lebensgefährlich, in der Bibel zu lesen. Nicht nur im Iran werden Konversionen mit dem Tode bestraft. Und durch die Arabellion, den „Arabischen Frühling“, gefolgt von den Wahlerfolgen zum Teil radikaler Islamistenorganisationen, hat sich die Lage eher noch verschlechtert.
Da hatte Außenminister Guido Westerwelle, der ebenfalls bei Jauch saß, zunächst einen schweren Stand. Westerwelle hatte unlängst in Tunis gesagt: „Die islamische Ausrichtung von politischen Ansichten ist ebenso wenig ein Problem wie eine christliche Ausrichtung von politischen Ansichten.“ Doch in der Talkshow verurteilte er dann die Verfolgung von Christen aufs Schärfste.
Es war nur ein Traum. Stattdessen trat die dröge B-Klasse der Wulff-Debattierer auf: Hiltrud Schwetje, Peter Hintze, Heide Simonis, Gertrud Höhler, Hans Rudolf Wöhrl. Und ewig grüßt das Murmeltier. Am Montagabend ging’s dann zum selben Thema bei Frank Plasberg weiter. Angesichts solch geballten Banalitätsbombardements schwört man, nie wieder von einem Verteidiger der Öffentlich-Rechtlichen die Begriffe „originell, relevant, human, aufklärerisch, aktuell“ hören zu wollen. Dann schon lieber „Dschungelcamp“, das ist ehrlicher.
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