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CDU-Vorsitzender Friedrich Merz CDU beim kleinen CSU-Parteitag bzw. Parteiausschuss in Nürnberg.

© IMAGO/Panama Pictures/IMAGO/Dwi Anoraganingrum

Wir sind keine „Spinner“!: Warum die Sprache von Friedrich Merz so gefährlich ist

In einer Rede kurz vor der Bundestagswahl diffamiert Merz Demonstrierende als „Spinner“, die „nicht mehr alle Tassen im Schrank haben“. Dabei bedient er sich aus dem Werkzeugkasten des Populismus.

Miriam Rathje
Ein Kommentar von Miriam Rathje

Stand:

Hätte man mich ganz konkret gefragt: Ich hätte mich selbst nicht als „links“ oder „grün“ bezeichnet. In erster Linie sehe ich mich als Demokratin, die gerne von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch macht.

Ich hatte das Glück, in einem politischen Haushalt aufwachsen zu dürfen. Meine Mutter gehört seit Dekaden einer Partei an, mein Vater wählt seit Jahrzehnten eine andere. Mein Bruder wiederum ist Mitglied einer weiteren Partei. Meine Schwester hingegen ist Wissenschaftlerin und Fakten-Freundin, weshalb sie Wahlentscheidungen ausnahmslos logisch trifft. Bei uns wurde Demokratie am Küchentisch gelebt, die Meinungsfreiheit über dampfenden Spaghetti mit Gabel und Löffel ausgefochten.

Merz bezeichnet Demonstrierende als „Spinner“

Politische Teilhabe ist meiner Meinung nach ein Privileg, das ausgelebt werden will – mit hitzigen Kneipen-Diskussionen, Regenbogen-Buttons und Demonstrationen. Als die Kampagnen-Organisation „Campact!“ als Reaktion auf die gemeinsame Asyl-Abstimmung von Union und AfD im Bundestag Anfang Februar schließlich in Berlin zum „Aufstand der Anständigen“ rief, demonstrierte ich an der Seite von Menschenrechtsorganisationen und Tausenden Demokratiefreunden gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt.

Was etliche Familien mit kleinen Kindern, Queer-Gruppen, Friedensinitiativen und sogar Mitglieder von Sportvereinen in Trikots am 2. Februar auf die Straße trieb, war die gemeinsame Angst vor einem Rechtsruck. Nach Angaben der Veranstalter zeigten an diesem kalten Sonntag rund 250.000 Menschen, was Demokratie und politische Teilhabe bedeutet. Geht es allerdings nach den jüngsten Worten des CDU-Chefs Friedrich Merz, dann haben ebenjene Demonstrierenden „gar nichts mit der Mehrheit dieser Bevölkerung zu tun“.

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Einen Tag vor der Bundestagswahl skandierte der mutmaßlich nächste Bundeskanzler in einem Münchener Bierkeller vor versammelten Unionsanhängern, dass man künftig „wieder Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen“ wolle und ganz explizit „nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner […], die da draußen rumlaufen.“ Die Chance, sich als Kanzler für alle zu präsentieren, lässt Merz verstreichen und marginalisiert die „Gegen-rechts“-Demonstrierenden.

Zu ebenjenen „Spinnern“ zählt Merz nicht nur „Antifa und gegen rechts“, sondern auch Demonstrierende des „Aufstands der Anständigen“. Unter tosendem Beifall und „Pfui“-Rufen aus dem Publikum fragt der als künftiger Kanzler quasi gesetzte CDU-Politiker, wo letztere denn gewesen seien, als „Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen“.


Warum die Sprache von Merz so gefährlich ist

In seiner Rede nutzt der CDU-Chef eine Sprache, die mehr spaltet, als dass sie verbindet. Dabei bedient er sich verschiedener Werkzeuge, Mechanismen und sogar Diffamierungen.

1. Opferrolle und Feindbild

Merz kritisiert in seiner Münchner Rede, dass Gegen-rechts-Demonstranten nicht aktiv geworden sind, als es wirklich darauf ankam. Mit seinem Verweis auf CDU-Veranstaltungen, die jüngst nur noch unter „massivem Polizeischutz“ veranstaltet werden konnten, impliziert er allerdings, dass sich die Protestler durchaus zusammenschließen können – wenn es denn gegen die Union geht. Seinem Bierkeller-Publikum suggeriert Merz damit, dass „die da draußen“ eine Bedrohung für all jene hier drinnen im Saal sind. Die wiederholten Fragen „Wo waren die denn, als …“ werden von den Unionsanhängern mit lauten Pfiffen bekräftigt.

2. Generalisierung

Während seiner Rede schafft es der CDU-Politiker, unterschiedliche politische Gruppierungen miteinander zu vermengen und gleichzusetzen. So werden autonome Gruppen des linken bis linksradikalen Spektrums unter dem Akronym „Antifa“ (auch: „Antifaschistische Aktion“) sowie auch „grüne und linke Spinner“ und sämtliche Demonstrierende „gegen rechts“ generalisierend als „diese ganzen Typen da“ in einen Topf geworfen.

3. Othering

Merz betont in seiner Rede, dass er nun wieder „Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen“ wolle – konkret für „die Mehrheit, die noch gerade denken [kann] und alle Tassen im Schrank“ hat. Für „irgendwelche grünen und linken Spinner“ wolle der CDU-Politiker hingegen keine Politik mehr machen.

Abgesehen von den denunzierenden „Tassen“- und „Spinner“-Beleidigungen bedient sich der CDU-Politiker hier einer Sprache, die offenkundig Mechanismen des sogenannten „Otherings“ folgt. Bei diesem Konzept, das unter anderem in den „Critical Whiteness Studies“ (Kritische Weißseinsforschung), den „Postcolonial Studies“ und in der Soziologie untersucht wird, werden zunächst die Unterschiede zwischen Personen oder Gruppierungen hervorgehoben, der Fokus wird auf die Andersartigkeit des Gegenübers gelegt.

Indem man nun das Positive beim Selbst betont und gleichzeitig das Negative (oft in Form von Stereotypen) beim Anderen anprangert, können hierarchische Strukturen geschaffen werden. Die Herabwürdigung des Anderen legitimiert schließlich eine Ungleichbehandlung und dient als Türöffner für Diskriminierungen.

Merz schließt seine Wahlkampfrede mit einem bemerkenswerten Satz: „Die sollen da draußen rumlaufen. Aber sie haben mit der Mehrheit dieser Bevölkerung gar nichts zu tun, gar nichts zu tun! Das ist die Wahrheit in Deutschland.“

Der CDU-Politiker will künftig für diese „Spinner“ und „Gegen-rechts“-Demonstranten da draußen keine Politik mehr machen. Laut Merz gehören zu dieser Gruppe „Grüne und Linke“, die „Antifa“, aber auch die aufständischen „Anständigen“ – also all jene besorgten Eltern, Kinder, Rentner, Klimaschützer, DGBler, LGBTIQ-Aktivisten und Demokratieverfechter, die bei der Demo am 2. Februar Kritik an der Migrationspolitik der Union geäußert haben.

Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass Sprache spalten kann. Sprache kann aber auch vereinen. Welches Narrativ Friedrich Merz als möglicherweise nächster Bundeskanzler bedienen wird, bleibt abzuwarten.

In Rage geredet: Friedrich Merz nach seiner Rede beim Wahlkampfabschluss der Union in München.

© dpa/Sven Hoppe

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