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Erfolge der Rechtsradikalen: Wovor ich wirklich Angst habe
Wer in Deutschland vor einer Rückkehr des Faschismus warnt, gilt schnell als hysterisch, ahnungslos oder ideologisch verblendet. Stimmt das?

Stand:
In meiner letzten Kolumne schrieb ich an einer Stelle, dass ich ziemliche Angst habe vor dem, was jetzt kommt. Und dass es doch immer heiße, man solle die Ängste der Bürger endlich ernst nehmen, dies aber offenbar nicht für Bürger gilt, die Angst vor einer Machtbeteiligung der AfD haben.
Daraufhin erreichten mich zahlreiche Zuschriften von Personen, die mir ausführlich erklären wollten, weshalb nun wirklich überhaupt kein Grund bestehe, Angst zu empfinden. Dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Landes nämlich kein bisschen in Gefahr und die Bundesrepublik zum Glück sehr wehrhaft sei. Ein paar Mal fiel das Wort „Hysterie“.
Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll.

© dpa/Fabrizio Bensch
An diesem Sonntag konnte sich die AfD über eine Verdoppelung ihres Stimmenanteils freuen. Der vergangene Wahlkampf hat die Normalisierung der AfD vorangetrieben: durch den erst begangenen und dann geleugneten Tabubruch von Friedrich Merz, aber auch durch die Präsenz Alice Weidels in diversen Wahlduellen, in denen sie weitestgehend ungestört Fake News verbreiten konnte.
Weiterhin durch publizistische Stimmen und einzelne CDU-Politiker, die immer lauter eine Machtbeteiligung der AfD fordern. Ich denke, es gibt wirklich allen Grund dazu, Angst zu haben.
Nach dieser Wahl bleiben der Bundesrepublik vier Jahre, die rechtsextreme Partei zu verbieten. Denn dass bei der Bundestagswahl 2029 noch eine Brandmauer existiert, glaube ich nicht.
In meinem Freundes- und Bekanntenkreis wird inzwischen häufiger die F-Frage diskutiert: Droht Deutschland die Wiederkehr des Faschismus? Manche sagen, man solle jetzt bloß nicht auf die Idee kommen, Parallelen zwischen der Weimarer Republik in den 1920er Jahren und der Bundesrepublik in den 2020er Jahren zu ziehen. Das sei doch geschichtsvergessen. Kein vernünftiger Mensch könne ernsthaft Sorge haben, dass der Faschismus zurückkehrt. Oder?
Niemand macht sich gern Sorgen
Ich möchte den Beschwichtigern sehr gern glauben. Das Leben ist schließlich anstrengend genug, da ist es doch angenehmer, die Welt nicht ganz so düster zu sehen. Kein Mensch macht sich gern Sorgen.
Wäre da nicht die Sache mit Annika Brockschmidt. Die Historikerin und Journalistin veröffentlichte vor vier Jahren das Buch „Amerikas Gotteskrieger“, in dem sie ausführlich vor einem Vormarsch der religiösen Rechten in den USA warnte – und vor deren demokratiegefährdenden Plänen.
Ihre Argumentation war präzise, detail- und kenntnisreich. Vieles von dem, was Brockschmidt in Aussicht stellte, ist mittlerweile eingetroffen. Aber damals fielen gestandene Autorenstimmen über sie her: In aggressivem, teils vulgären Tonfall zweifelten sie an Brockschmidts Kompetenz und suggerierten, man könne diese junge Frau nicht ernst nehmen.
Jan Fleischhauer unterstellte ihr „wilde Thesen“ und rückte Annika Brockschmidt in die Nähe von Karl May. Sein US-Kollege Matthew Karnitschnig verglich Brockschmidt gar mit Claas Relotius, verhöhnte sie später als „Scharlatan“. Patrick Bahners griff Brockschmidt für ihre Feststellung an, der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten sei von der Religiösen Rechten gekapert worden.
Drei Jahre später räumte Bahners kleinlaut ein, Brockschmidt habe wohl den „richtigen Instinkt“ gehabt. Dass dieser Mann nicht einmal eingestehen konnte, dass Brockschmidts Recherche fundiert und ihre Argumentation stichhaltig war, sondern ihr lediglich einen funktionierenden „Instinkt“ attestierte, spricht für sich.
Ich glaube, wir vergessen leider zu oft, vorwurfsvoll zu sein. Und zwar gegenüber allen Demokraten, die gerade mit Rechtsextremen kuscheln oder wegschauen.
Sebastian Leber
Selbst heute wollen manche nicht wahrhaben, welchen Schaden die zweite Trump-Regierung in den USA und weltweit anrichtet. Mit Logik lässt sich das nicht erklären. Diese Woche klickte ich zum ersten Mal seit Trumps Amtseinführung auf die offizielle Instagram-Seite des Weißen Hauses und war geschockt.
Die Seite sieht aus, als sei sie von rechten Trollen übernommen worden. Zum Beispiel empfiehlt das Weiße Haus ein angebliches „ASMR“-Video, worunter man üblicherweise eine Abfolge von wohltuenden, entspannenden Klängen versteht. Bei den Klängen, die das Weiße Haus in seinem Video präsentiert, handelt es sich aber um Geräusche der Metallketten, mit denen Migranten vor ihrer Abschiebung gefesselt werden.
Angesichts der vielen, vielen Fehleinschätzungen derer, die Trumps Pläne nicht vorhersehen konnten oder wollten und stattdessen kluge Köpfe wie Annika Brockschmidt diffamierten, fällt es mir sehr schwer, heutige AfD-Verharmloser in irgendeiner Form ernst zu nehmen. Im Gegenteil: Woher nehmen sie die Dreistigkeit, Menschen zu verlachen, die vor einem weiteren Rechtsruck in Deutschland warnen?
Manche lassen jetzt ihre Masken fallen
Am meisten Angst machen mir der Vormarsch der rechtsextremen AfD und das Drängen einiger Christdemokraten, die Brandmauer endgültig niederzureißen. Viele, die die AfD bislang angeblich aus Gründen der Meinungsfreiheit in Schutz nahmen, haben jetzt immerhin ihre Masken fallen lassen. Die „Berliner Zeitung“ etwa veröffentlichte diese Woche einen Wahlaufruf für die AfD.
Beängstigend finde ich zudem, wie klar sich führende BSW-Politiker gegen die Brandmauer aussprechen und auch künftig an der Seite der AfD abstimmen wollen (Text hier), dazu auch noch Verschwörungsglauben verbreiten (Text dort).
Die Bundesrepublik sei doch wehrhaft, behaupten die Beschwichtiger gern. Das halte ich für eine grobe Verallgemeinerung. Wehrhaft ist ganz sicher die Zivilgesellschaft, die in den vergangenen Wochen Hunderttausende Demonstranten im ganzen Land auf die Straße gebracht hat. Doch ausgerechnet diese Wehrhaftigkeit wird attackiert. Zum Beispiel von der CDU und der Bild-Zeitung, die sich alle Mühe geben, die Demokraten auf der Straße als Chaoten oder Extremisten zu denunzieren – oder gar als Befehlsempfänger der Bundesregierung.

© dpa/Jacob Schröter
Diese Woche ist bekannt geworden, dass aktuell mehrere Tausend Bots zugunsten der AfD in den Wahlkampf eingreifen. Dann stellte sich heraus, dass diese Bots bereits vergangenes Jahr zur Manipulation der Brandenburg-Wahl eingesetzt wurden und seitdem munter Hass und Hetze verbreiten. Das Rostocker Unternehmen Somtxt hatte die Bot-Armee im Frühsommer 2024 entdeckt, der NDR hatte groß darüber berichtet.
Doch weder die deutschen Geheimdienste noch die Polizei, weder die Bundesnetzagentur noch die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg kamen auf die Idee, wenigstens einmal bei Somtxt anzufragen, ob sie nicht die Liste mit den Namen der 2500 Bots erhalten könnten. Das ist nicht wehrhaft, sondern erschütternd.
„Sie sagen nie wieder, doch es passiert wieder“
In Berlin gibt es eine beeindruckende Künstlerin, die eigentlich sowieso jeder kennen sollte (allein schon wegen dieses Songs). Die Künstlerin heißt Ebow und veröffentlichte kürzlich ein Lied über den Rechtsruck. Darin rappt sie, sie habe in ihrem Leben „noch nie so fucking Angst gehabt“. Später singt Ebow: „Sie sagen nie wieder, doch es passiert wieder.“
Ich habe mir diese Passage einige Male angehört und darüber nachgedacht, warum mich dieser eine Satz so anspricht. Vermutlich liegt es daran, dass Ebows Stimme zwar sanft klingt, aber auch sehr vorwurfsvoll.
Ich glaube, wir vergessen leider zu oft, vorwurfsvoll zu sein. Und zwar gegenüber allen Demokraten, die gerade mit Rechtsextremen kuscheln oder wegschauen. Schließlich ist es auch deren Grundgesetz, das gerade angegriffen wird. Daher sollten auch sie auf die Straße gehen und für ihre Demokratie kämpfen. Selbst wenn sie dann kurz einmal mit Menschen zusammen stünden, die andere Ansichten übers Gendern haben oder Robert Habeck nicht ganz so hassen wie sie selbst.
Und wenn das für sie unter keinen Umständen vorstellbar ist, sollen sie bitte ihre eigene Demonstration gegen den Vormarsch der Rechtsextremen organisieren.
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