
© REUTERS/Shelley Christians
1000 Euro Handgeld für jeden: Deutschland schiebt 28 Straftäter nach Afghanistan ab
Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban sind afghanische Kriminelle ausgewiesen worden. Die Aktion soll seit zwei Monaten vorbereitet worden sein. Ein Charterjet startete aus Leipzig gen Kabul.
Stand:
Die Bundesregierung hat erstmals seit der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban afghanische Straftäter in ihre Heimat abschieben lassen. Das teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitagmorgen mit. „Es handelte sich hierbei um afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen.“ Alle Betroffenen seien Männer, wie die Agentur dpa schrieb.
Dass es der erste Abschiebeflug nach Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban ist, wurde der dpa aus Behördenkreisen bestätigt. Demnach startete ein Charterjet (oben Archivbild) von Qatar Airways kurz vor 7 Uhr von Leipzig aus in Richtung Kabul. Zuvor hatten der „Spiegel“ und die „Zeit“ über die Abschiebungen berichtet.
Es ist ein klares Zeichen: Wer Straftaten begeht, kann nicht darauf rechnen, dass wir ihn nicht abgeschoben kriegen, sondern wir werden versuchen, das zu tun, wie man in diesem Fall sieht.
Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Abschiebungen als Zeichen an alle Straftäter. „Es ist ein klares Zeichen: Wer Straftaten begeht, kann nicht darauf rechnen, dass wir ihn nicht abgeschoben kriegen, sondern wir werden versuchen, das zu tun, wie man in diesem Fall sieht“, sagte der SPD-Politiker bei einem Wahlkampftermin in der Nähe von Leipzig der dpa zufolge.
„Wir haben angekündigt, dass wir auch Straftäter nach Afghanistan wieder abschieben werden. Das haben wir sorgfältig vorbereitet, ohne groß darüber zu reden, weil solches Vorhaben ja nur gelingt, wenn man sich da Mühe gibt, wenn man es sorgfältig und sehr diskret macht. Heute ist das erfolgt“, sagte der Bundeskanzler.
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In der Boeing 787 saßen den Berichten zufolge 28 afghanische Straftäter, die aus verschiedenen Bundesländern nach Leipzig gebracht worden waren.
Fünf weitere hätte abgeschoben werden sollen
Eigentlich hätten noch fünf weitere Menschen dabei sein sollen – also insgesamt 33 Personen. Das berichteten Abgeordnete nach einem Treffen des Bundestagsinnenausschusses in Berlin.
Zwei der zur Abschiebung Vorgesehenen seien am Morgen nicht angetroffen worden, sagte der FDP-Parlamentarier Manuel Höferlin. Drei der fünf Betroffenen seien von den Landesjustizbehörden nicht für die Abschiebung freigegeben worden, weil sie aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keinen ausreichenden Teil ihrer Haft hierzulande abgesessen hätten. Die Bundesregierung hatte in der Vergangenheit immer betont, Straftäter sollten nur abgeschoben werden, wenn sie einen beträchtlichen Teil ihrer in Deutschland verhängten Strafe abgesessen hätten.
Auch Gefährder nach Afghanistan abgeschoben
Organisiert worden sei die Aktion federführend vom Bundesinnenministerium. Beteiligt gewesen seien Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser bestätigte die Abschiebungen auf der Plattform X und dankte den Beteiligten für die Zusammenarbeit.
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Hebestreit sagte der Agentur Reuters zufolge weiter, die Bundesregierung habe in den vergangenen Monaten „große Anstrengungen unternommen, um die Wiederaufnahme von Rückführungen in solchen Fällen zu erreichen und hat die hierfür zuständigen Länder zu diesem Zweck unterstützt“.
Zudem habe Deutschland „regionale Schlüsselpartner um Unterstützung gebeten, um die Rückführung zu ermöglichen“, so Hebestreit. Nach Angaben aus der Grünen-Bundestagsfraktion wurde der Abschiebeflug mithilfe des Emirats Katar organisiert, um nicht direkt mit den Taliban verhandeln zu müssen.
Die Bundesregierung wolle auch künftig in diesem Rahmen Personen nach Afghanistan abschieben, sagte Hebestreit. „Das Sicherheitsinteresse Deutschlands überwiegt klar das Schutzinteresse von Straftätern und Gefährdern.“
Wie die dpa weiter schreibt, sollen unter den Abgeschobenen auch Gefährder sein, also Menschen, denen die Sicherheitsbehörden schwerste politisch motivierte Straftaten bis hin zum Anschlag zutrauen. Es sei denkbar, dass manche der abgeschobenen Straftäter zugleich als Gefährder gelten.
Jeder Abgeschobene habe vor dem Flug nach Angaben aus Behördenkreisen 1000 Euro Handgeld erhalten, berichtet der „Spiegel“. Die erste Abschiebung nach Afghanistan wurde dem Bericht seit gut zwei Monaten vorbereitet.
Über das Handgeld war im Internet eine Debatte entbrannt, nachdem der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß der Ampel in einem Post bei X vorgeworfen hatte, Schwerkriminellen auch noch Geld in die Hand zu geben. Der Eintrag führte zu einer Debatte. Nutzer verwiesen auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2022, die darauf abstellt, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer nach seiner Rückkehr „gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen“.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerte sich in Berlin auf Nachfrage nicht konkret dazu und verwies auf die Zuständigkeit der Bundesländer bei Abschiebungen. Die SPD-Politikerin sprach aber von einem üblichen Verfahren, um Rechtssicherheit herzustellen, damit Gerichte die Abschiebung nicht stoppen.
Neue Debatte über Abschiebungen nach Solingen
Faeser hatte bereits am Donnerstag angekündigt, dass Deutschland „sehr bald“ Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan umsetzen werde. Ein „großes Rückführungs- und Abschiebepaket“ sei schon vor dem tödlichen Anschlag von Solingen „auf den Weg gesetzt“ worden. Abschiebungen in die beiden Länder sind wegen der dortigen Sicherheitslage umstritten.
Die Taliban hatten im Sommer 2021 nach fast zwei Jahrzehnten internationaler Bemühungen um Demokratie und Entwicklung in Afghanistan die Macht im Land zurückerobert und ein sogenanntes islamisches Emirat ausgerufen. Deutschland unterhält zu den Taliban-Machthabern in Kabul keine diplomatischen Beziehungen.
Seit der Machtübernahme setzen die Taliban ihre strenge Auslegung des Islams mit drakonischen Gesetzen durch und beschneiden insbesondere Frauenrechte. International bleiben die Taliban auch weiterhin isoliert, bislang hat kein Staat die islamistischen Machthaber als formale Regierung Afghanistans anerkannt.
Kritik von Menschenrechtlern
Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig befürchtet, dass die Abschiebungen künftig auch auf Afghanen ausgeweitet werden könnten, die nicht zu schweren Straftätern und Gefährdern zählen. Unklar sei auch, wie die in Afghanistan regierenden Taliban mit den abgeschobenen Männer verfahren, und ob sie etwa in Haft gelangen.
„Manche abgelehnte Afghanen könnten abgeschoben werden, bevor sie auch nur die Chance hatten, dagegen zu klagen“, sagte Ruttig. Die ungewisse Zukunft des Bundesaufnahmeprogramms, das besonders gefährdeten Afghanen Schutz in Deutschland bieten soll, passe „in die politische Atmosphäre der Abwicklung des deutschen Afghanistan-Engagements“, kritisierte der Experte weiter.
Scholz hatte Abschiebungen nach Afghanistan angekündigt
Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, zeigte sich alarmiert: „Menschenrechte haben wir alle – und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht“, teilte Duchrow mit. Außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Folter seien unter den Taliban an der Tagesordnung. Die Regierung riskiere, „sich zur Komplizin der Taliban zu machen“.
Nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim Ende Mai hatte Scholz angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und auch Syrien wieder zu ermöglichen.
Die Debatte über Abschiebungen war in Deutschland dann neu entfacht, nachdem bei einem Messerangriff auf einem Stadtfest in Solingen vor einer Woche drei Menschen getötet und acht weitere teils schwer verletzt worden waren. Der mutmaßliche Täter, ein 26-jähriger Syrer, wurde am Samstag festgenommen. Die Bundesanwaltschaft geht von einer Tat mit islamistischem Hintergrund aus.
Als Konsequenz aus den tödlichen Messerangriffen von Solingen hatte die Bundesregierung am Donnerstag ein Paket zur Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik auf den Weg gebracht.
Vorgesehen sind darin Leistungskürzungen für bestimmte Migranten, mehr Möglichkeiten der Sicherheitskräfte im Kampf gegen den radikalen Islamismus und eine Verschärfung des Waffenrechts, vor allem mit Blick auf Messer.
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