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Zu wenig, zu teuer: Neubauten in Berlin-Schöneberg

© dpa

Doch keine 400.000 Wohnungen?: Ampel zweifelt am eigenen Wohnbauziel

Inflation, Fachkräftemangel, fehlendes Baumaterial: Das Ziel, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, dürfte sich vorerst kaum erreichen lassen.

Im Regierungslager wachsen offenbar die Zweifel dran, dass es gelingt, in diesem Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen. „Es ist keine Frage, dass es im Augenblick sehr schwer werden dürfte, es zu erreichen. Den Fachkräftemangel gibt es schon länger, jetzt kommen die Inflation und der dramatische Zusammenbruch von Lieferketten hinzu“, sagte Bernhard Daldrup, Obmann der SPD im Bauausschuss des Bundestags, dem Tagesspiegel. „In Mariupol wurde eine Menge an Baustahl produziert.“ Mehrere Fachpolitiker:innen der Ampel-Koalition dementierten eine Meldung vom Sonnabend, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Herbst einen Wohnungsgipfel plane – das Thema also an Bauministerin Klara Geywitz vorbei zur Chefsache mache. Geywitz’ „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ habe von Anfang an den Termin mit Scholz vorgesehen, er stehe in allen Papieren dazu. Neu sei nur das Datum 12. Oktober.

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Davon werde die Botschaft ausgehen, dass das Thema „hohe Priorität und Wertschätzung in der Regierung“ habe, sagte Daldrup. Er warnte davor, den „Zauber der Zahl“ von 400.000 Wohnungen zu überschätzen.

Im Koalitionsvertrag stehe dies als Ziel, „nicht, dass es schon in diesem Jahr erreicht wird“. Es dürfe aber auch nicht aufgegeben werden: „Die Bauwirtschaft braucht das Signal, dass die Förderung des Wohnbaus kontinuierlich auf hohem Niveau weitergehen wird.“ Die Vorsitzende des Bauausschusses, FDP-Politikerin Sandra Weeser sagte, mehr Wohnungen seien nur durch vereinfachtes Bauen zu schaffen, „vereinfachte Planungsverfahren, Ausbildungsoffensive und Fachkräfte-Zuwanderung – und nicht zuletzt der breite Einsatz von neuen, innovativen Baumaterialien“.

Angefangen beim Bund müsse bis in die Kommunen gelten: „Mehr Mut zum Experiment!“ Die in Deutschland gerne ritualisiert geführten Debatten um Mietrecht und Enteignung „schaffen keine einzige Wohnung mehr. Wir brauchen eine neue gesamtgesellschaftliche Kultur für das Bauen“.

Nur 1212 neue Sozialwohnungen in Berlin

Beispielhaft für das Scheitern beim Hochfahren der Wohnungsproduktion steht Berlin. Seit Jahren steigen die Mieten und die von der SPD geführten Koalitionen in der nunmehr vierten Legislaturperiode hintereinander versprachen eine Entspannung der Lage durch Regulierungen sowie vor allem verstärkten Neubau von Wohnungen zu günstigen Mieten.

Doch das scheiterte sogar im Bereich des geförderten Wohnungsbaus an den wenig attraktiven Konditionen. Im vergangenen Jahr entstanden nur 1212 Sozialwohnungen, in den vergangen acht Jahren nur 7611. Private Bauträger verzichten durchgängig auf die staatlichen Subventionen und errichten Sozialwohnungen nur, wo sie dafür im Gegenzug Grundtücke für den Bau von Eigentumswohnungen oder bindungsfreie teure Mietwohnungen erhalten.

Einzig die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften errichteten Sozialwohnungen, weil der Senat sie seit 2017 dazu verpflichtete, mindestens die Hälfte ihrer Neubauwohnungen zu den subventionierten Mieten anzubieten. Deshalb verschärft sich die Wohnungsnot massiv.

Zumal der Bestand an älteren Sozialwohnungen schrumpft. Denn die Förderungen laufen nach vielfach 30 Jahren aus und damit entfallen auch die Bindungen. So fallen ab 2022 und den kommenden zwei Jahren mehr als 19.000 Sozialwohnungen aus der Bindung und können dann zu teuren Mieten an Menschen mit höheren Einkünften vergeben werden.

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Der Neubau reicht nicht einmal dazu aus, diese Lücke zu füllen. Dabei ist ein Großteil der Neu-Berliner, mehr als 60.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine mit dauerhaften Aufenthaltsstatus, auf diese Wohnungen zu günstigen Mieten angewiesen. Nicht nur das Angebot subventionierter günstiger Sozialwohnungen schrumpft.

Abwärts geht es auch mit der Zahl neu fertig gestellter Wohnungen in der Stadt insgesamt. Ende Mai meldete das Amt für Statistik, das im ganzen Jahr 2021 nur 15.870 neue Wohnungen entstanden. Das waren knapp drei Prozent weniger als im Vorjahr fertiggestellt wurden. Dabei waren auch im Jahr 2020 schon wiederum weniger Wohnungen neu gebaut worden als im Jahr zuvor.

Der Abwärtstrend verfestigt sich. Das liegt auch daran, dass immer weniger Bauanträge für neue Wohnungen genehmigt werden. Seit Jahren. Zuletzt meldete im März das Amt für Statistik, dass die Berliner Bauaufsichtsbehörden Bauanträge für18.716 Wohnungen im ganzen Jahr 2021 genehmigt hatten. Das waren 8,5 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.

Mehr als ein Viertel der neu genehmigten Wohnungen werde als Eigentumsobjekte errichtet, wenn sie fertiggestellt sind werden sie also verkauft. Dabei fehlt es in der Stadt weniger an teuren Eigentumswohnungen als an günstigen Mietwohnungen. Zumal sich in Berlin viele Menschen kein Eigentum leisten können: 82,6 Prozent der Berliner wohnen zur Miete.

Giffey hofft auf Hilfe vom Bund

Auf der Suche nach Erklärungen für den lahmenden Neubau nennen die Experten politische und wirtschaftliche Entwicklungen. In der vergangenen Legislaturperiode hatte die Linke das Ressort für Stadtentwicklung geführt und vor allem die Regulierung der Mieten im Bestand im Auge, etwa durch den Erlass des „Mietendeckels“, der wenig später vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt und gekippt wurde.

Die Baubranche dagegen beklagte sich über ein „baufeindliches Klima“ in der Stadt, lahmende Genehmigungsbehörden und einem Mangel an Grundstücken für den Wohnungsneubau.

Auch Corona traf die Branche: Lieferketten brachen ab und die Preise stiegen. Drastisch verschärfte sich die Lage in diesem Jahr durch den russischen Angriffskrieg. Holz sowie andere Baustoffe und Baufachkräfte aus der Ukraine und Russland wurden noch knapper und teuer. Teils können Baufirmen nicht mal mehr feste Preise für die Baustoffe nennen bei der Kalkulation von Bauleistungen, weil diese so rasant steigen, dass erst bei deren Lieferung der Endpreis genannt werden kann.

Auch einen massiven Mangel an Fachkräften beklagt die Branche. Weil zugleich die Zinsen für Baukredite kräftig steigen, müssen die Preise für Wohnungen und andere Neubauten neu berechnet werden – Abbruch oder Aufschieben von Bauvorhaben sind an der Tagesordnung.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franzisky Giffey (SPD) hatte kürzlich vorgeschlagen, das Mietenthema zu entschärfen, indem man Mieten ans Einkommen der Bewohner:innen kopple. Damit war sie selbst in der eigenen Partei auf Verwunderung gestoßen. Jetzt zeigte sie sich froh über den hohen Rang des Themas in der Bundesregierung.

"Wir werden uns mit unserem Wohnungsbündnis und den Aktivitäten in Berlin gut mit dem Bund abstimmen, damit wir unsere Neubauziele trotz der angespannten Lage im Baugewerbe und erhöhter Kosten erreichen", sagte sie dem Tagesspiegel. "Dabei geht es um den Dreiklang aus Wohnungsneubau, Mieterschutz und städtebaulicher Qualität für die lebenswerten Stadtquartiere der Zukunft. Wir werden die Unterstützung des Bundes für Berlin nutzen.“

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