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Billig, sauber, verlässlich - gerade Umwelt- und Klimaschützer müssten den Bau von Nord Stream 2 bejahen.

© Jens Büttner/ZB/dpa

Pro & Contra zu Nord Stream 2: An russischem Gas führt kein Weg vorbei – oder doch?

In jedem zweiten Haus in Deutschland steht ein Gaskessel. Ohne Russland könnte es im Winter unangenehm werden. Also Hände weg? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Lesen Sie hier das Pro von Christoph von Marschall Er findet: Russisches Gas ist blutig und schmutzig und die Pipeline überflüssig. Höchste Zeit, das Projekt zu begraben.

Wie ist die Lage? Deutschland steigt aus der Atom- und Kohleenergie aus. Durch den Ausbau Erneuerbarer Energien, Wärmedämmung und Energieeffizienz wird sich der Bedarf in absehbarer Zeit nicht decken lassen. Erdgas ist als Brücke unverzichtbar. Doch Deutschland hat kaum Erdgas. Deshalb ist das Land nach China der weltweit größte Importeur.

Das Gros der Erdgas-Importe kommt aus Russland, gefolgt von den Niederlanden und Norwegen. Allerdings geht die Menge des Erdgases, das in der Nordsee gefördert wird, stetig zurück. Das in den USA durch die Fracking-Methode gewonnene Flüssiggas ist teuer und ökologisch bedenklich. An Russland als einem Hauptexporteur kommen also weder Deutschland noch die Europäische Union vorbei.

Diese Fakten lassen sich wegwünschen. Dafür gibt es gute Gründe. Das Regime von Wladimir Putin steht für Krim-Annexion, Ukrainekrieg, Assad-Unterstützung, Morde, Desinformationskampagnen, Willkürjustiz. Aktuell deutet alles darauf hin, dass seine Schergen versucht haben, den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny zu vergiften. Kein Wunder, dass sich die Stimmen mehren, die einen Ausstieg Deutschlands aus der Ostseepipeline Nord Stream 2 verlangen. Nur: Was wäre dadurch gewonnen?

Putin bleibt Putin. Sanktionen beeindrucken weder ihn noch seine Nomenklatura. Georgien, Ukraine und Syrien haben gezeigt, wie begrenzt der Einfluss westlicher Länder ist. Und ob mit oder ohne Nord Stream 2: Der staatseigene Konzern Gazprom wird sein Produkt durch drei andere Leitungen nach Deutschland bringen – die Yamal-Pipeline, die Transgas-Trasse, Nord Stream 1.

In das Projekt wurden bereits acht Milliarden Euro investiert

Auch Chinas Erdgashunger ließe sich durch vermehrte Importe aus Russland sättigen. Der Glaube, eine Absage an Nord Stream 2 würde Gazprom tief treffen und Verhaltensänderungen Putins bewirken, ist naiv.

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Die Ostseepipeline macht die Importe sicher vor Blockaden und Transitstreitigkeiten. Der Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine hat illustriert, dass die Weiterleitung blockiert werden kann. Weil in jedem zweiten deutschen Haus ein Gaskessel steht, könnte das vor allem im Winter unangenehme Folgen haben.

In das Projekt, das annähernd fertig ist, wurden bereits rund acht Milliarden Euro investiert. Beteiligt sind sechs Unternehmen, darunter fünf aus Westeuropa. Sollte Deutschland aussteigen, drohen Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe.

Trotzreaktionen verringern nicht die Abhängigkeit

Wann immer die Moral mit Wirtschaftsinteressen kollidiert, muss abgewogen werden. Das gilt im Verhältnis zu Saudi-Arabien, das den internationalen Terrorismus befördert hat, und es gilt im Verhältnis zu China, das Hunderttausende Uiguren in Internierungslager sperrt und foltert.

Putin ist niederträchtig. Aber bloße Reflexe auf dessen brutales Gebaren ersetzen nicht die Reflektion über eigene Interessen und Möglichkeiten. Ein Deutschland, das sich durch Atom- und Kohleausstieg energiepolitisch abhängig gemacht hat, kann diese Abhängigkeit nicht durch Trotzreaktionen, die Zweifel an seiner Vertragstreue nähren, aus der Welt schaffen. Politische Reife bedeutet, für die Konsequenzen seiner Entscheidungen einzustehen.

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