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Innenminister Horst Seehofer

© AFP/Tobias SCHWARZ

Update

Asylpolitik: Seehofer bedauert Suizid von abgeschobenem Afghanen

Innenminister Seehofer irritierte zuletzt mit einem Witz zu Abschiebungen. Einer der Afghanen nahm sich nun das Leben. Rücktrittsforderungen lehnt Seehofer ab.

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Nach dem Suizid eines aus Deutschland abgeschobenen Asylbewerbers in Kabul haben Politiker aus SPD und Opposition den Rücktritt von Innenminister Horst Seehofer gefordert. Der CSU-Politiker hatte am Dienstag bei der Vorstellung seines „Masterplans Migration“ verkündet, dass am 4. Juli – dem Tag seines 69. Geburtstages – 69 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben worden seien. Das sei von ihm so nicht bestellt worden, liege aber „weit über dem, was bisher üblich war“. In einem Sturm der Entrüstung war dem Minister über die sozialen Netzwerke daraufhin menschenverachtender Zynismus vorgeworfen worden.

Juso-Chef Kevin Kühnert schrieb auf Twitter, Seehofer sei ein „erbärmlicher Zyniker und dem Amt charakterlich nicht gewachsen.“ Sein Rücktritt sei überfällig. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), sagte dem Tagesspiegel, „wer 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag feiert, ist offensichtlich falsch im Amt“. Gleichzeitig fragte sie, „wie viele weitere Entgleisungen“ es noch brauche, damit der Innenminister endlich entlassen werde. „Meiner Meinung nach ist die Grenze längst erreicht.“

Seehofer: „Zutiefst bedauerlich“

Seehofer bedauerte später den Selbstmord des aus Deutschland abgeschobenen Flüchtlings aus Afghanistan. „Das ist zutiefst bedauerlich, und wir sollten damit auch sachlich und rücksichtsvoll umgehen“, sagte der CSU-Chef am Mittwochabend in Innsbruck. Der Flüchtling sei dem Innenministerium von der Stadt Hamburg für die Abschiebung gemeldet worden. „Die Bundesländer führen uns diese Personen zu, und wir unterstützen die Bundesländer bei diesen Abschiebungen.“ Man müsse die Hamburger Behörden fragen, „warum sie diese Person vorgeschlagen haben“. Seinen Tonfall bedauerte Seehofer am Mittwoch nicht: „Das wusste ich gestern nicht. Das ist heute in der Früh bekannt geworden“, sagte er über den Selbstmord des Asylbewerbers. Er, Seehofer, habe am Dienstag gesagt: „Wie das Leben oft so spielt. Hab sogar noch dazu gesagt: Nicht organisiert. Und dann wird da etwas draus gemacht.“

Suizid in Kabul

Der aus Hamburg abgeschobene Mann sei in einer Zwischenunterkunft in der afghanischen Hauptstadt tot aufgefunden worden, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Mittwoch mit. Nach Angaben der Behörden vor Ort deute alles auf Suizid hin.

Eine Quelle aus dem Kabuler Büro der Internationale Organisation für Migration (IOM) bestätigte die Darstellung. Man untersuche den Vorfall noch. Der Mann sei im Spinsar-Hotel gefunden worden, wo die IOM rückkehrenden Flüchtlingen, die nicht wissen wohin, für einige Tage Unterkunft gewährt.

Der 23-Jährige sei ledig, kinderlos und rechtskräftig verurteilt gewesen, berichtete die Hamburger Ausländerbehörde – wegen Diebstahls, Besitzes von Betäubungsmitteln, Widerstands gegen Vollzugsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Er sei im Jahr 2011 eingereist, sein Asylantrag sei 2012 abgelehnt worden, dagegen sei dann Klage erhoben worden.

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Der Fall werfe „auch ein Schlaglicht auf die Brutalität der aktuellen Abschiebungspraxis“, erklärte die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Insbesondere aus Bayern würden keineswegs nur Straftäter oder Gefährder nach Kabul abgeschoben. Es sei „zu befürchten, dass der aktuelle Suizid kein Einzelfall bleiben wird“. Durch die Abschiebung sei der 23-Jährige offenbar in eine Lage getrieben worden, „in der er keinen Ausweg mehr sah“.

Mit dem jüngsten Abschiebeflug aus Deutschland hatten Bund und Länder mit 69 Passagieren ungewöhnlich viele abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. Allein Bayern hatte 51 Menschen zurückgeschickt.

Flüchtlingsaktivisten von Pro Asyl und Bayerischem Flüchtlingsrat hatten kritisiert, dass die seit einem schweren Anschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul geltende Selbstverpflichtung, nur Straftäter, terroristische Gefährder und sogenannte Identitätstäuscher abzuschieben, weggefallen sei. Selbst „gut integrierte Personen“ würden nun abgeschoben.

Die Berliner SPD-Politikerin Cansel Kiziltepe forderte ebenfalls Seehofers Entlassung. Der CSU-Politiker habe Menschenleben auf dem Gewissen und sei als Minister "nicht tragbar", sagte die Bundestagsabgeordnete aus Kreuzberg.

"Blut an Seehofers Händen"

Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Migration in der SPD, Aziz Bozkurt, sagte dem Tagesspiegel, er finde kaum Worte, um seinen Wut und seinen Ärger auszudrücken. Erst bringe Seehofer Menschenleben im Mittelmeer in Gefahr, indem er Druck auf die Retter ausübe. „Nun rühmt er sich damit, an seinem 69. Geburtstag 69 Menschen abzuschieben – und wenig später ist einer von ihnen tot.“ Das sei „mehr als menschenverachtend“. Es stelle sich „die Frage, wieviel Blut an Seehofers Händen klebt“.

Rücktrittsforderungen kamen auch aus der Linkspartei. „Ein Innenminister, der sich öffentlich darüber freut, dass Menschen in ein Kriegsland zurückgeschickt werden, hat offensichtlich nicht nur ein eklatantes Defizit an Mitmenschlichkeit, sondern auch an Qualifikation für sein Amt“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. „Aus meiner Sicht gehört Seehofer entlassen." Linken-Fraktionsvize Jan Korte sagte, das Lachen bleibe Seehofer hoffentlich im Halse stecken.

Der Innenminister äußerte sich am Mittwoch zu den Rücktrittsforderungen nur knapp: „Da sag' ich gar nix dazu, weil ich sie einfach nicht verstehe.“

Grüne: Abschiebungen nach Afghanistan sind nicht zu verantworten

Die Grünen verlangten, die Abschiebungen nach Afghanistan einzustellen. Es sei "verantwortungslos, dass immer mehr Menschen nach Afghanistan in eine ungewisse Zukunft geschickt werden", sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Zudem eigneten sich Abschiebungen nicht für Scherze. Bei Seehofer seien Entscheidungen über Menschenleben deshalb „in schlechten Händen“. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth kritisierte den Minister ebenfalls. Seehofer müsse endlich klar werden, „dass angesichts der weiterhin desaströsen Sicherheitslage Abschiebungen nach Afghanistan nicht zu verantworten sind“.

Auch Behörden in Kabul hatten sich verärgert darüber gezeigt, dass in der vergangenen Woche so viele Menschen auf einmal abgeschoben worden waren. Vertreter des Flüchtlingsministeriums erklärten, es gebe eine mit Deutschland vereinbarte Obergrenze von 50 Passagieren. Die mit 34 Passagieren bis dahin größte Gruppe von Abschiebekandidaten war mit dem ersten Sammelflug im Dezember 2016 angekommen. (mit dpa)

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