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Innen Ärger, außen Kanzler: Merz besucht seinen Lieblings-Sozi
In London unterzeichnen der Bundeskanzler und Premier Starmer den deutsch-britischen Freundschaftsvertrag. In Gedanken dürfte die verpatzte Richterwahl den Kanzler nach England begleiten.
Stand:
Über sein ganzes Gesicht grinst Friedrich Merz. Smalltalk betreibt er mit seinem Gastgeber, wendet sich immer wieder an ihn. Er lächelt. Fröhlich, geradezu entspannt wirkt der Kanzler.
Donnerstagmittag, London, Victoria and Albert Museum. In der Gilbert-Bayes-Galerie stehen Merz und der britische Premierminister Keir Starmer Seit an Seit. Eben haben sie die Trajanssäule aus dem Forum Romanum bestaunt. Nun setzen sie ihre Namenszüge unter den deutsch-britischen Freundschaftsvertrag.
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Das Museum haben die Briten mit Bedacht ausgesucht. Albert, der Ehemann von Königin Viktoria, entstammte dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha.
Adenauer. Kohl. Nun also Merz
Ein Hauch von Geschichte also weht durch die luftige Galerie. Von einem „sehr besonderem Vertrag“, einer „persönlich großen Ehre“ schwärmt Merz: „Das ist ein historischer Tag für die deutsch-britischen Beziehungen.“ Starmer äußert sich ähnlich.
Tatsächlich vereinbart Deutschland derlei Verträge nicht alle paar Wochen. Er lässt sich vergleichen mit dem Élysée-Vertrag von 1957 oder dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991. Jene Werke hatten Konrad Adenauer und Helmut Kohl unterzeichnet. Adenauer. Kohl. Nun also Merz.
Wäre der Ärger daheim und der Frust in der eigenen Koalition nicht so groß, könnte sich Merz fast befreit fühlen. Doch dazu besteht nun wirklich kein Grund. Zumindest gedanklich dürfte Frau Brosius-Gersdorf den Kanzler während seines Acht-Stunden-Aufenthaltes in London begleiten.
Die Kandidatin der SPD für das Bundesverfassungsgericht hat die Regierung Merz in die tiefste Krise ihrer kurzen Existenz geführt. Das Missmanagement von Unions-Fraktionschef Jens Spahn führte zu einem Kollateralschaden: Beschädigt sind Spahn, Brosius-Gersdorf, die SPD und natürlich der Kanzler.
Wie heißt noch einmal der Vorsitzende der CDU?
Merz‘ Auffassung, die Wahl der Verfassungsrichter liege allein im Bundestag, dient dem Bemühen, sich die leidige Sache möglichst weit vom Hals zu halten. Doch seine Argumentation ist halbgar. Seine Koalition braucht den Erfolg, eine Mehrheit im Parlament.
Spätestens der öffentliche Zwischenruf von CSU-Chef Markus Söder („auf der Kandidatur liegt kein Segen“) zeigt, dass die leidige Causa mitnichten nur eine Bundestags-Angelegenheit ist. Söder gehört dem bekanntermaßen nicht an. Er sprach als Vorsitzender der CSU, also einer Koalitionspartei. Wie heißt noch einmal der Vorsitzende der CDU?

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Eine Lösung für die vor einer Woche verschobenen Richter-Wahl ist nicht erkennbar. Die SPD bleibt stur, in der Union meldet sich mit Dorothee Bär selbst eine Ministerin zu Wort, die über Brosius-Gersdorf mäkelt. Und Brosius-Gersdorf hält, vorerst, ihre Kandidatur aufrecht. Während die SPD auf Eile drängt, mahnt der Kanzler, es herrsche kein Zeitdruck.
Extrem leidig ist die Sache für Merz allemal. Bei seiner für Freitag angesetzten Premiere bei der Bundespressekonferenz dürfte Brosius-Gersdorf vor der Sommerpause allerhand Platz einnehmen. Das riecht gewaltig nach Sommertheater.
Eigentlich hatte Scholz den Freundschaftsvertrag zu Ende verhandeln wollen
Zurück in London. Hier zieht Merz die großen, langen außenpolitischen Linien, beschwört einen einfacheren Schüleraustausch, besucht mit Starmer ein Airbus-Werk. Er gibt den Außenkanzler, geht also jener Rolle nach, die er in den vergangenen Wochen so oft, gern und gut ausgefüllt hat. Innen Ärger, Außen Kanzler – auf Dauer aber wird das kaum funktionieren.

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Der Wunsch aus der CDU, Merz verstärkt im eigenen Land, „nah bei den Leuten“ zu sehen, wächst beständig. Mit Besuchen in den Bundesländern will Merz das gefährliche Image vom über den roten Teppich schwebenden Außenkanzler relativieren.
Nächste Woche besucht er deshalb Niedersachsen, weitere Stationen folgen. Sehnlichst erwartet werden Auftritte im Osten, wo die Stimmung besonders mies ist – und wo 2026 zwei Landtagswahlen stattfinden. In Sachsen-Anhalt droht nichts weniger als eine Alleinregierung der AfD.
Überhaupt, die Wahlen. Lange galten in der CDU Siege bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz 2026 als Selbstläufer. Je schlechter aber die Bundesregierung zu Jahresanfang dastehen wird, desto besser werden die Chancen von Cem Özdemir (Grüne).
Mit Blick auf Rheinland-Pfalz heißt es in der CDU inzwischen, der dortige Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) sei klug und agiere geschickt. Sollte die CDU jene einstigen Stammländer nicht zurückerobern, dürfte sich Frust über Merz entladen.
Darüber mag der Kanzler am Donnerstag in London gewiss noch nicht nachdenken. Die Zeit mit dem Kollegen Starmer genießt er erkennbar. Dass der Antrittsbesuch erst jetzt stattfindet, ist purer Zufall. Mit ihrer gemeinsamen Kiew-Reise im Mai hatten die beiden Männer viel Zeit zum Austausch, es folgten weitere Gipfeltreffen (G-7, Nato).
Durch den Ärger mit Vizekanzler Lars Klingbeil und der SPD ist Starmer gewissermaßen Merz’ Lieblings-Sozialdemokrat. Dass eigentlich Olaf Scholz (SPD) den Freundschaftsvertrag zu Ende verhandeln und unterschreiben wollte, dürfte Merz mit Genugtuung erfüllen. Am Ende fehlte der chaotischen Ampel-Koalition dafür schlicht die Zeit. Über das handwerkliche Missmanagement der Ampel hat man Merz freilich schon länger nicht mehr spotten hören.
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