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Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur EZB verworfen.

© imago images/Carmele/tmc-fotografie.de

Nach dem Karlsruher EZB-Urteil: Ausweg verzweifelt gesucht

Nach dem EZB-Urteil des Verfassungsgerichts soll der Bundestag reagieren. Wie vermint das Gelände ist, machte eine Anhörung im Europaausschuss deutlich.

Im Bundestag schlägt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Europäischen Zentralbank (EZB) immer noch hohe Wellen. Die Karlsruher Richter hätten sich für ein „Europa unter Vorbehalt statt Europa als Staatsräson“ ausgesprochen, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer am Montag dem Tagesspiegel. Schäfer forderte, dass das Verfassungsgericht einen „internen Dialog“ mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg führen müsse. Vor drei Wochen hatte das Bundesverfassungsgericht entgegen der Auffassung des EuGH geurteilt, dass ein EZB-Aufkaufprogramm zwischen 2015 und 2018 teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

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Durch den Richterspruch sind die Bundesregierung und der Bundestag dazu aufgefordert, bei der EZB einen Nachweis darüber einzuholen, dass das Anleihekaufprogramm verhältnismäßig war. In diesem Sinne sprach sich auch der SPD-Abgeordnete Schäfer dafür aus, dass sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde noch einmal zu dem fraglichen Kaufprogramm äußern solle.

Doch damit ist es aus seiner Sicht noch nicht genug: Nach der Meinung von Schäfer müsse es im Grundgesetz zu einer Klärung dahingehend kommen, dass Urteile des EuGH Vorrang haben vor der Karlsruher Rechtsprechung in all jenen Fällen, in denen Europarecht Bundesrecht bricht.

DIW-Präsident Fratzscher warnt vor ökonomischem Schaden durch das Urteil

Schäfer ist Mitglied im Europaausschuss des Bundestages, und eben dieser Ausschuss lud am Montag zu einer Anhörung über die Folgen des EZB-Urteils. Dass die Karlsruher Entscheidung und die anschließende Überlegung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, möglicherweise ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, einen erheblichen Konflikt heraufbeschworen haben, machten zahlreiche Experten während der Anhörung deutlich.

So sprach der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, davon, dass das Karlsruher Urteil einen „enormen ökonomischen Schaden anrichten“ könne, weil es die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der EZB in Frage stellen könne. Auch der Wirtschaftswissenschaftler Jörg Rocholl sprach von „Sprengstoff für die weiteren Aktivitäten der EZB“. 

Experten urteilen negativ über Karlsruher Entscheidung

Bei den Experten traf das Urteil des Verfassungsgerichts ganz überwiegend auf ein negatives Echo. So sagte der Europarechtler Franz Mayer, der Karlsruher Richterspruch erscheine ihm als „Kompetenzüberschreitung“ und lade „förmlich zu weiteren Klagen ein“. Zudem monierte Mayer das im Urteil verankerte „sehr deutsche Verhältnismäßigkeitskonzept“, mit dem die Anleihekäufe gegen die Auswirkungen für Sparer und Immobilienkäufer abgewogen werden. Mit seiner „selbstbezogenen Attitüde schadet das Urteil der deutschen Europapolitik“, monierte Mayer.

Auch der Rechtswissenschaftler Bernhard Wegener sprach von einem „Fehlurteil“, mit dem das Bundesverfassungsgericht die eigenen Kontrollkompetenzen in eklatanter Weise überschritten habe. Zudem sei die im Urteil formulierte „Aufkündigung der Gefolgschaft im Europarecht“ schlecht begründet. Dem Bundestag werde mit dem Urteil zudem eine Falle gestellt, da das Parlament aufgefordert werde, eine politische Position zu vertreten, die es bis dato mehrheitlich nicht eingenommen habe.

In dieser Situation sucht der Bundestag verzweifelt einen Ausweg aus dem Dilemma, dass laut dem Karlsruher Urteil eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eingefordert werden soll von einer Institution, die der Einflussnahme seitens der Politik entzogen ist. Jede Äußerung gegenüber der EZB könne die Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Zentralbank beinträchtigen, warnte Mayer.

Vor diesem Hintergrund riet der Rechtswissenschaftler Christian Calliess bei der Umsetzung des Urteils von einer direkten Kontaktaufnahme mit der Europäischen Zentralbank ab. Statt dessen sollten die Abgeordneten die Bundesbank als Kommunikationskanal zur EZB nutzen, schlug er vor.

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Wie brisant die Lage ist, führte der Politikwissenschaftler Martin Höpner den Abgeordneten vor Augen.  Er riet dazu, die Europäische Zentralbank um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bitten und ansonsten alles zu unterlassen, was zu einer weiteren Zuspitzung – etwa in Gestalt eines Brüsseler Vertragsverletzungsverfahrens -  beitragen könne. „Jede mutwillig herbeigeführte Eskalation dieses Konflikts wäre der nackte Wahnsinn“, warnte Höpner.

Wie in der Anhörung schließlich auch deutlich würde, könnte der Artikel 284 des EU-Vertrages dem Bundestag eine Möglichkeit bieten, sich elegant aus der Affäre zu ziehen. Dort heißt es, dass die EZB mehreren europäischen Gremien gegenüber rechenschaftspflichtig ist - unter anderem gegenüber dem EU-Parlament. Von daher könnte es der Bundestag im Wesentlichen dem Europaparlament überlassen, die Zentralbank um die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bitten.

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