
© dpa/Christoph Schmidt
Bärendienst an der Demokratie: Störungen und viele Unwahrheiten bei Boris Palmers Streitgespräch mit einem AfD-Funktionär
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer diskutierte öffentlich mit AfD-Mann Markus Frohnmaier. Das ging – wen wundert es – nach hinten los.
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Markus Frohnmaier braucht keine zwei Minuten, bis er das erste Mal die Unwahrheit sagt. Um zu veranschaulichen, wie sehr die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet sei, erzählt er das Märchen von der 16-jährigen Schülerin, die 2024 angeblich Besuch von der Polizei bekommen habe, weil sie ein Schlumpfvideo auf Tiktok geteilt habe.
In Wahrheit wurde der Schülerin vorgeworfen, rechtsextreme Codes im Internet verbreitet zu haben, unter anderem bei Neonazis populäre Zahlenkombinationen und Symbole sowie Parolen. Die Geschichte mit dem Schlumpfvideo haben sich rechte Kreise ausgedacht. Weder Boris Palmer noch der Moderator des Gesprächs stellen es richtig.
Hundert Plätze sind für AfD-Funktionäre reserviert
Er habe sich intensiv auf das Streitgespräch vorbereitet, hat Tübingens parteiloser Oberbürgermeister vorab verkündet. Vor 800 Zuschauern sitzt er in einer Turnhalle mit dem baden-württembergischen AfD-Landeschef Markus Frohnmaier auf dem Podium. Hundert Plätze sind für AfD-Funktionäre reserviert, das Gespräch wird auch als Livestream auf Youtube übertragen.
Kritiker warnten wochenlang, Palmer werde einem rechtsextremen Funktionär eine Plattform und Reichweite geben. Er trage bloß zur weiteren Normalisierung der AfD bei, wenn er sich dafür hergebe, mit Frohnmaier auf Augenhöhe zu diskutieren.
Direkt nach seinem Schlumpfvideo-Märchen verbreitet Frohnmaier die nächste Unwahrheit, und wieder greift Palmer nicht ein. Ob ihm das Wissen fehlt oder ob es ihm egal ist, bleibt unklar.
Palmer möchte mit AfD-Zitaten punkten
Stattdessen liest Palmer skandalöse Zitate von AfD-Politikern von seinem Tablet ab. Diese habe er alle eigenhändig „gecheckt“, betont Palmer. Dann will er von seinem Kontrahenten wissen, ob sich dieser zumindest von einem der Zitate distanziere.
Frohnmaier nutzt die Vorlage: Wer so etwas in seinem Landesverband äußere, würde selbstverständlich rausfliegen, sagt er – und betont dann die Harmlosigkeit der AfD. Diese erkenne man auch daran, dass er selbst, obwohl in Rumänien geboren, es in der Partei so weit nach oben geschafft habe.
Das Gespräch ist Teil eines Deals. Im Gegenzug für Palmers Diskussionsbereitschaft sagte die AfD im Juli eine geplante Kundgebung in der Stadt ab. Nicht die Kundgebung der Rechtsextremen an sich bereitete Palmer Sorgen, sondern die Vorstellung, dass die zu erwartenden Gegenproteste den Sommerschlussverkauf im Einzelhandel stören könnten.
Der Oberbürgermeister schimpft über „die Antifa“
Draußen vor der Halle gibt es seit Stunden Proteste. Gewerkschaften, Parteien und ein lokales Bürgerbündnis gegen Rechts haben mobilisiert. Die Trommeln und Trillerpfeifen sind drinnen nicht zu hören. Dafür skandieren Menschen in der Halle „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda” sowie „Alle zusammen gegen den Faschismus“. Boris Palmer lässt sie von der Polizei entfernen, schimpft später noch über „die Antifa“.
Als Moderator fungiert an diesem Abend Joachim Knape, Professor für Rhetorik an der Universität Tübingen. Angesichts der Demonstranten vor der Turnhalle bemerkt er, Protest sei nur „der periphere Nebenweg der Kommunikation“, der Königsweg hingegen sei das „vernünftige Argumentieren“.
Dann baut er eine bizarre Kausalkette auf, die nur so zu verstehen ist, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert möglich war, weil im Vorfeld nicht zivilisiert genug mit ihnen diskutiert wurde. Der politische Kommunikationsweg sei damals „unversöhnliche Konfrontation und am Ende Gewalt“ gewesen, dies habe letztlich zur Totalzerstörung Deutschlands geführt.
Irreführende Aussagen Frohnmaiers korrigiert Joachim Knape nicht. Dafür nimmt er es mit der Zeitmessung sehr genau. Immer wieder verkündet er, wer schon wie lange geredet hat. Eben wie bei einer ganz normalen Diskussion unter Demokraten.
Dass Markus Frohnmaier rhetorisch geschickt agieren würde, konnte Boris Palmer vorher wissen. Frohnmaier war mal Pressesprecher von Alice Weidel, davor auch von Frauke Petry. Der Ex-Grüne Palmer schafft es an keiner Stelle, ihn in die Bredouille zu bringen. Teilweise wirkt es tragisch: Einmal beklagt sich Palmer etwa, dass der AfD-Mann seine Frage zu den Tübinger Stadtwerken nicht beantwortet habe.
Auch als Frohnmaier über „beheizte Fahrradwege“ und Habecks Heizungsgesetz höhnt, kann der Oberbürgermeister dem nichts entgegensetzen. Zwischendurch wird Palmer laut und auch unsouverän: „Ich bin Mathematiker, von Statistik verstehe ich mehr als Sie“, ruft er ins Mikrofon.
Frohnmaier gibt sich als überzeugter Demokrat
„Ich bin heute hier, um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen”, sagt Frohnmaier. Dies sei sehr wichtig, denn: „Demokratie lebt davon, miteinander zu streiten.“ Dann nennt er sich selbst einen „überzeugten Demokraten“. Palmer lässt es geschehen.
Beim Versuch, extrem Rechte in einer Diskussion auf Augenhöhe inhaltlich zu stellen, sind vor Boris Palmer schon viele gescheitert: Politiker, aber auch Journalisten. Legendär war etwa der unbeholfene Versuch von Thomas Gottschalk, den damaligen „Republikaner“-Chef Franz Schönhuber zu „entzaubern“. Ähnlich erging es später dem Journalisten Erich Böhme mit dem Österreicher Jörg Haider.
Desaströs geraten im Fernsehen regelmäßig die sogenannten „Sommerinterviews“ mit AfD-Spitzenpolitikern – zum Beispiel die des MDR mit Björn Höcke. Der Sender scheint dies mittlerweile eingesehen zu haben. In den vergangenen zwei Jahren fiel das Interview aus. Der Verzicht sei eine „redaktionelle Entscheidung“ gewesen, heißt es aus dem Sender.
In der Turnhalle in Tübingen will Palmer mit Erfolgen bei der Senkung des CO2-Ausstoßes punkten. Die meisten Tübinger, die es ins Publikum geschafft haben, stehen sowieso auf seiner Seite, von daher bekommt er insgesamt auch mehr Beifall als Frohnmaier. Überzeugend ist Palmer jedoch nicht.
Davon, einen Rechtsextremisten zu entzaubern, kann überhaupt keine Rede sein. Als Türöffner macht sich der Oberbürgermeister hingegen ganz gut.
Zumindest eines habe Boris Palmer mit diesem Abend erreicht, bemerkt später ein Fragensteller aus dem Publikum: dass Menschen, die gegen die AfD protestieren, als Störer verunglimpft würden.
„Ich bin sehr zufrieden“, sagt der Moderator ganz am Ende. Es habe ein „faires Gespräch“ gegeben. Was hier in dieser Turnhalle passiert sei, solle in Deutschland „Normalität“ werden, sagt Markus Frohnmaier.
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