
© Imago/Future Image/Frederic Kern
„Ultralinks“ oder „linksradikal“?: Brosius-Gersdorf wehrt sich nach gescheiterter Richterwahl gegen Vorwürfe
Die Juristin war von der SPD für einen Posten am Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen worden. Nun nennt Brosius-Gersdorf vorgebrachte Einstufungen über sich diffamierend und realitätsfern.
Stand:
Die kurzfristige Verschiebung der Wahl von drei Richtern für das Bundesverfassungsgericht im Bundestag schlägt weiter hohe Wellen im politischen Berlin. Noch ist unklar, wie und wann es in dieser Frage weitergeht.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier machte deutlich, dass er die schwarz-rote Koalition wegen ihrer Entscheidung für „beschädigt“ hält. Während die Opposition auf eine schnelle Lösung dringt, sieht Kanzler Friedrich Merz (CDU) keine Eile für einen neuen Termin. Die SPD will unbedingt an der von ihr vorgeschlagenen Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf festhalten.
Die Staatsrechtlerin wies nun Darstellungen zurück, sie sei „ultralinks“ oder „linksradikal“. Solche Einstufungen seien diffamierend und realitätsfern, heißt es in einer Erklärung der Professorin der Universität Potsdam, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die Zuschreibungen entbehrten der Tatsachenbasis. „Sie beruhen auf einer punktuellen und unvollständigen Auswahl einzelner Themen und Thesen, zu denen einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden, um ein Zerrbild zu zeichnen.“ Zuvor hatten der Deutschlandfunk und das ZDF berichtet.
In Zeiten, in denen Politikerinnen und Politiker für sich zu Recht stärkeren Schutz vor verbalen Angriffen fordern (....), befremden anonyme Äußerungen aus den Reihen politisch verantwortlicher Funktionsträger des Staates.
Frauke Brosius-Gersdorf, Staatsrechtlerin
Die Berichterstattung über sie und ihre Standpunkte sei in Teilen der Medien „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ gewesen, so Frauke Brosius-Gersdorf. „Sie war nicht sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern.“
Am Freitag waren die Wahlen zweier neuer Richterinnen und eines Richters für Karlsruhe kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags abgesetzt worden. Der Druck gegen Brosius-Gersdorf war in der Union zu groß geworden. Die Fraktionsführung konnte die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren.
Brosius-Gersdorf schreibt, es sei etwa die Behauptung verunglimpfend, sie habe sich für eine Legalisierung und eine Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt ausgesprochen. „Das ist falsch. Dem menschlichen Leben steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu. Dafür bin ich stets eingetreten. Die Aussage, ich wäre für eine Legalisierung und eine (hiervon zu unterscheidende) Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar.“
Auch ihre Positionen zu einem Kopftuchverbot und zu Paritätsmodellen für die Wahl des Bundestags seien häufig falsch dargestellt worden, betont die 54-Jährige. Eine eingehende Befassung mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zeige in der Breite „ein Bild der demokratischen Mitte“.
Vorwürfe macht Brosius-Gersdorf auch einigen – namentlich nicht genannten – Politikern, die sich an der Kritik an ihrer Person beteiligt hätten. Anonym an „medialer Kritik bis hin zu Schmähungen anderer mitzuwirken und gleichzeitig für sich selbst Schmähungsschutz zu fordern“, stehe im Widerspruch, schreibt Brosius-Gersdorf.
„In Zeiten, in denen Politikerinnen und Politiker für sich zu Recht stärkeren Schutz vor verbalen Angriffen fordern (....), befremden anonyme Äußerungen aus den Reihen politisch verantwortlicher Funktionsträger des Staates“, schreibt die Professorin. In der Stellungnahme äußert sie sich nicht zu ihrer Kandidatur.
CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn gab inzwischen eine Mitverantwortung für die missglückte Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht zu. Es bestehe aber keine Dringlichkeit, weil das Verfassungsgericht voll arbeitsfähig sei. „Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam mit der SPD eine Lösung finden werden“, fügte Spahn hinzu. CSU-Chef Markus Söder legte der SPD einen Austausch der Kandidatin nahe. „Auf der umstrittenen Kandidatur liegt und lag kein Segen“, sagte Söder.
300 Rechtswissenschaftler verteidigen Brosius-Gersdorf
Auch rund 300 Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler kritisieren den öffentlichen Umgang mit Brosius-Gersdorf. In einem offenen Brief, über den zuerst das Rechtsmagazin „Legal Tribune Online“ berichtete, heißt es, dass man dagegen nachdrücklich protestiere.
Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeuge zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung. Brosius-Gersdorf sei eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin. Das sei in Fachkreisen völlig unstreitig. Alle Äußerungen, die ihre wissenschaftliche Reputation infrage stellten, seien schlicht unzutreffend und unsachlich.
Brosius-Gersdorf war von 2017 bis 2019 auch Mitglied der zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer und ist zudem als Mitherausgeberin verschiedener juristischer Publikationen bekannt. Sie übernahm 2023 die Funktion als Herausgeberin des renommierten Grundgesetz-Kommentars, den ihr inzwischen emeritierter Doktorvater Horst Dreier ins Leben gerufen hatte.
Dreier hatte Brosius-Gersdorf ebenfalls verteidigt. Dass die Potsdamer Juristin „meinungsfreudig“ sei, könne „kein Ausschlusskriterium für Verfassungsrichter“ sein, sagte er der „Rheinischen Post“. „Wir wollen doch nicht nur graue Mäuse in Karlsruhe.“
- Abtreibung
- Bundespräsident
- Bundesverfassungsgericht
- CDU
- CSU
- Deutscher Bundestag
- Frank-Walter Steinmeier
- Frauke Brosius-Gersdorf
- Friedrich Merz
- Jens Spahn
- Markus Söder
- SPD
- ZDF
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: