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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Mittwoch bei ihrer Ansprache im Bundestag.

© Foto: dpa/Michael Kappeler

Bundestagsgedenken an Gorbatschow: Bas hält Partnerschaft mit Russland für „derzeit nicht möglich“

Bundestagspräsidentin Bas würdigt Gorbatschows Verdienste für die deutsche Einheit. Sie äußert aber auch Selbstkritik angesichts deutscher Fehleinschätzungen mit Blick auf Russland.

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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat die geschichtliche Rolle des früheren sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit gewürdigt. „Wir Deutschen haben Michail Gorbatschow viel zu verdanken“, sagte die SPD-Politikerin am Mittwoch im Bundestag. Bas bezeichnete den in der vergangenen Woche verstorbenen Ex-Sowjetchef als „Wegbereiter der Wiedervereinigung“.

Bas unterschlug in ihrer Rede allerdings auch nicht, dass Gorbatschow Zeit seines Lebens an den Zusammenhalt der 1991 auseinandergebrochenen Sowjetunion glaubte – mit teils fatalen Folgen. Für Aserbaidschan etwa erklärte Gorbatschow 1990 den Ausnahmezustand, um die dortigen Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterdrücken. „Im Südkaukasus und im Baltikum erinnert man sich schmerzhaft an das brutale Vorgehen gegen friedliche Demonstranten 1989 in Tiflis, den ‚Schwarzen Januar‘ 1990 in Aserbaidschan und den ‚Blutsonntag‘ von Vilnius 1991 während seiner Amtszeit“, sagte Bas.

Gorbatschow war in der vergangenen Woche im Alter von 91 Jahren gestorben. Wegen des Krieges in der Ukraine verbat sich für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere westliche Regierungschefs eine Teilnahme an der Trauerfeier für Gorbatschow am vergangenen Wochenende in Moskau.

Um den Erfinder von Glasnost und Perestroika dennoch angemessen zu würdigen, gedachte der Bundestag zum Auftakt der Plenumssitzung am Mittwoch des früheren Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der es seinerzeit den sowjetischen Satellitenstaaten – und damit auch der DDR – selbst überlassen hatte, wie sie ihre Zukunft gestalten wollten. Diese Haltung ging als „Sinatra-Doktrin“ in die Geschichte ein – in Abkehr von der „Breschnew-Doktrin“, die der Sowjetunion zuvor ein brutales Vorgehen gegen Freiheitsbestrebungen im Ostblock ermöglicht hatte.

Seine Entscheidungen führten zur Freiheit für viele Millionen Menschen.

Parlamentspräsidentin Bärbel Bas

Dieser Punkt war es auch, den Bas in ihrer Rede besonders hervorhob. „Seine Politik des erklärten Gewaltverzichts und seine Aufgabe des Moskauer Herrschaftsanspruchs gegenüber den Satellitenstaaten stärkten die Bürgerrechtsbewegungen in Mittel- und Osteuropa. Seine Entscheidungen führten zur Freiheit für viele Millionen Menschen“, sagte die Parlamentspräsidentin.

Nach ihren Worten waren Gorbatschows  Mut und seine Haltung „entscheidend für die Wiedererlangung unserer staatlichen Einheit – diesen einzigartigen und großen Moment unserer Geschichte“. Bas fügte hinzu: „Das werden wir nicht vergessen.“

Zudem erinnerte Bas noch einmal daran, dass Gorbatschow einen wesentlichen Beitrag zum Ende des Kalten Krieges leistete und bei seinem Gipfeltreffen mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl (CDU) im Nordkaukasus im Sommer 1990 der Nato-Mitgliedschaft des künftigen wiedervereinten Deutschlands zustimmte. „Am Ende eines von zwei Weltkriegen, der Blockkonfrontation und der nuklearen Abschreckung geprägten Jahrhunderts erlebten wir einen friedlichen Wandel, der für mich ein ganz großes Glück war“, sagte sie.

Gorbatschow und der damalige US-Präsident Ronald Reagan bei ihrem historischen Abrüstungs-Treffen 1986 in Island

© Foto: Imago/United Archives/Uncredited

Die Parlamentspräsidentin kam allerdings auch darauf zu sprechen, dass die historische Leistungen des früheren Sowjetchefs nicht zuletzt in Deutschland den Blick auf die politischen Realitäten der Post-Gorbatschow-Ära vernebelten. „Gerade wir Deutschen haben zu lange Gorbatschows Streben nach Verständigung, Frieden und Partnerschaft als Grundlage unserer Beziehungen mit Russland vorausgesetzt“. 

Dabei haben „wir übersehen oder nicht wahrhaben wollen, dass sich Russland unter Putin längst und radikal von Gorbatschows Zielen abgewandt hatte“, sagte Bas – eine selbstkritische Bemerkung auch an die Adresse ihrer eigenen Partei, der heute vorgeworfen wird, die gefährliche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen allzu lang hingenommen zu haben.

Heute klaffe zwischen Russland und Europa „ein tiefer Graben“, sagte Bas. „Dort, wo nach Gorbatschows Vision ein gemeinsames Europäisches Haus entstehen sollte. Mit Russland.“ Eine Partnerschaft mit Russland sei „derzeit nicht möglich“, sagte Bas. „Es ist Russland, das unter Putin mit diesem Geist gebrochen hat. Das ist ein tragischer Fehler“, sagte die Parlamentspräsidentin.

„Es ist Russland, das die Ukraine angreift und mit Waffengewalt die europäische Friedensordnung zerstört“, führte sie weiter aus. Bevor sich allerdings die Abgeordneten nach dem Ende ihrer Rede zu einer Schweigeminute erhoben, wagte die SPD-Politikerin auch einen Ausblick auf die Zukunft für eine Zeit, wenn der Ukraine-Krieg beendet sein sollte: „Es kann ein besseres Morgen und Übermorgen geben. Aber der Weg dahin wird lang und steinig.“

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