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Qual der Wahl - aber Wechselgefühl liegt in der Luft mit Blick auf die Bundestagswahl. 

© dpa

Bundestagswahl im Herbst: Es herrscht Wechselstimmung. Aber was ist Wechsel?

Eine große Mehrheit der Deutschen möchte eine andere Regierung und eine andere Politik. Das ist leichter gewollt als gewählt.

Die große Mehrheit der Deutschen will eine neue Regierung im Herbst. Das hat eine Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ergeben. 61,5 Prozent der Befragten geben demnach an, dass es aus ihrer Sicht gut wäre, wenn nach der Bundestagswahl am 26. September die Bundesregierung wechseln würde.

Und auf Frage, ob sich wohl „die meisten Menschen“ in Deutschland von der kommenden Regierung eine Fortführung der bisherigen Politik oder „in vielen Bereichen eine deutlich andere Politik“ wünschten, geben zwei Drittel an, dass sie glauben, die „meisten Menschen“ wünschten sich den Wechsel. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock kommentierte das mit dem Satz: "Das zeigt, dass wir an einer historischen Weichenstellung stehen."

Die Frage ist allerdings etwas vertrackt gestellt – denn hier wird ja nachgehakt, was man über andere denkt und nicht so sehr, was man selber glaubt. Aber fest steht: Die meisten gehen davon aus, dass die meisten eine andere Politik wollen. Weniger bei den Unions-Anhängern, da ist es nur die Hälfte. Aber bei den potenziellen Wählern der weiteren Parteien, auch den verbliebenen SPD-Anhängern, sind es deutlich mehr, so um die 70 Prozent, Bei denen der AfD sogar 90 Prozent. Es gibt also eine Art Wechselstimmung.

Eine wird weiter mitregieren

Vor vielen, vielen Jahren hätte das bedeutet: Die Leute wollen in der Mehrheit die andere Seite in der Verantwortung sehen. Aber heute? Was bedeutet Wechselstimmung in einer Zeit, in der eine große Koalition schon acht Jahre regiert und wir mit einem Mehrparteiensystem leben, das einerseits mehr Auswahl bietet, aber andererseits gar nicht so viele Möglichkeiten für Wechsel? Eines ist nämlich schon jetzt einigermaßen klar: Von den Partnerinnen in der „Groko“ wird eine weiter mitregieren – entweder die Union oder die SPD.

Dass eine Art Wechselstimmung in der Luft liegt, hat natürlich mit der Stärke der Opposition zu tun. Sie kommt in den Umfragen derzeit auf  mehr als die Hälfte der Stimmen, während Union und SPD es zusammen auf um die 40 Prozent bringen. Die „Groko“ steht, Umfragestand Mitte Mai, vor der Abwahl. Aber was dann? Eine Koalition aller aktuellen Oppositionsparteien wird es ja nicht geben. Niemand will schließlich etwas mit der AfD zu tun haben.

Was meinen die AfD-Anhänger?

Was zur Frage führt: Wenn 88,8 Prozent der AfD-Anhänger sich eine neue Bundesregierung wünschen, was meinen sie damit? Ein Teil von ihnen würde zweifellos gern ein Bündnis mit der Union sehen – aber die lehnt das ab, ein größerer Teil ihrer Wähler möchte dieses Bündnis nicht. Es hätte auch keine Mehrheit, die FDP müsste mitmachen, und die ist auch dagegen. Eine Koalition im Lager rechts der Mitte ist also eine Unmöglichkeit. 

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Den größtmöglichen Wechsel würde ein Bündnis von Grünen, FDP und Linken bedeuten. Reine Utopie? Im Bundestag haben die drei Fraktionen punktuell  – etwa beim Wahlrecht und im Wirecard-Untersuchungsausschuss - verblüffend gut kooperiert. 

Die radikalste Option

Aber als Koalition auf Dauer ist diese Option über die Lager hinweg erstens inhaltlich sehr unwahrscheinlich und hat zweitens rechnerisch keine guten Aussichten, nimmt man die aktuellen Umfragewerte. Addiert liegen die drei Parteien bei 43 Prozent. Man kann diese radikalste aller Wechseloptionen abhaken.

Die Rückkehr von Schwarz-Gelb  (zuletzt 2009 bis 2013 im Amt) wäre sicherlich im Sinne vieler Anhänger beider Parteien. Aber auch da hapert es an der Aussicht auf eine Mehrheit, denn die neuerdings wieder stärkeren Freien Demokraten können nicht ausgleichen, was die Union in den vergangenen Jahren verloren hat. Und überhaupt: Wie viel Wechsel würde sich da einstellen?

Ein Linksbündnis?

Ein Linksbündnis liegt dagegen im Bereich des Möglichen. Immerhin 47 Prozent kommen zusammen, addiert man die Umfragewerte von Grünen, SPD und Linken. Ein erkleckliches Mehr an Wechsel wäre auch mit im Paket, da die SPD ja weiterhin deutlich unter 20 Prozent hängt. Aber man tut sich bekanntlich im Lager links der Mitte ein bisschen schwer miteinander.

Einen Tick näher an einer sicheren Mehrheit ist die Ampel-Option: Die Grünen regieren mit SPD und FDP. Gut 50 Prozent hätten die drei Partnerinnen. Rechnerisch ist das also eine Möglichkeit. Aber will die FDP sie, wollen deren Anhänger diese Koalition? 

Andererseits gibt es die Jamaika-Lösung, wenn es schon drei Parteien sein müssten. Also Grüne, Union, FDP – so die aktuelle Reihenfolge nach den Umfragen. In beiden Fällen hieße jedenfalls die Losung für Wechselgestimmte: Wählt Grüne oder FDP.

Halber Wechsel mit Grün-Schwarz

Wobei es für Grün und Schwarz ja auch ohne Gelb reichen könnte, knapper natürlich. Man muss allerdings ganz nüchtern erkennen, dass dieses durchaus aussichtsreiche Bündnis einen eher  geringen Wechselfaktor hat – eben auch nur einen halben.   

Nach der Allensbach-Umfrage liegt bei den Themen, die in der Wählerschaft mit Wechsel verbunden werden, eines ganz vorn: die Klima und Umweltpolitik. Mehr als die Hälfte der Befragten will hier einen Kurswechsel. Den Grünen liefert dies seit Wochen den Auftrieb.

Klimapolitik ganz oben

Aber ist das Klima alleine wahlentscheidend? Flüchtlings- und Integrationspolitik, Rente, Bildung, Pandemie und Wohnen folgen in der Problemagenda. Für den Ausgang der Wahl dürfte mitentscheidend sein, ob die Konkurrenz hier eher konkurriert, also eigene Vorstellungen entwickelt und sie den Grünen entgegenhält, oder stärker die anderen Themen betont. Die großen Volksparteien waren wie Großkaufhäuser – alles war im Angebot. Bei sechs Parteien zählt in diesem Wahlkampf möglicherweise stärker die Spezialisierung.

Wechselstimmung im Jahr 2021 ist etwas anderes als früher. Eines bleibt aber: Wer Wechsel tatsächlich will, muss Opposition wählen. Was dann herauskommt, ist aber weniger sicher als einst. 

Die Bürger scheinen sich darauf eingestellt zu haben: Nach der Umfrage will nahezu die Hälfte der Befragten vor der Wahl gar nicht wissen, wer mit wem danach regieren würde. Wie schnell eine Wechsel- in eine Unmutsstimmung umschlägt, weil das Ergebnis dann doch zu wenig Wandel nach sich zieht? Die Allensbacher und  andere Demoskopen werden es zu messen wissen.  

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