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Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sieht einen großen Stresstest auf Joe Biden zukommen.

© picture alliance/dpa

Chef der Münchner Sicherheitskonferenz: „Republikaner müssen raus aus dem Trump-Gefängnis“

Der frühere Top-Diplomat Wolfgang Ischinger über die Folgen des Sturms auf das Kapitol und warum Joe Biden nun ein Stresstest durch Peking und Moskau erwartet.

Wolfgang Ischinger leitet seit 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz, das wichtigste internationale außen- und verteidigungspolitische Treffen der Welt. Von 1998 bis 2001 war er unter Außenminister Joschka Fischer beamteter Staatssekretär. Von 2001 bis 2006 war Ischinger Deutscher Botschafter in Washington. Er verfügt über ein exzellentes Netzwerk, besonders auch in den Vereinigten Staaten. Im Interview mit dem Tagesspiegel sieht er nach dem Sturm auf das Kapitol bei aller Dramatik in der Krise auch eine Chance, setzt auf Selbsteinigungskräfte der Republikaner und einen Bruch mit Donald Trump. Und erwartet einen internationalen Stresstest für Joe Biden.

Herr Ischinger, Sie waren lange Deutscher Botschafter in Washington, was bedeutet der Sturm auf das Kapitol für das Ansehen der USA in der Welt? 
Angesichts der enormen weltpolitischen Bedeutung der USA ist natürlich Schaden eingetreten. Es gibt Zweifel über die Stabilität des amerikanischen politischen Systems, wenn so etwas passieren kann. Das ist zutiefst bedauerlich und ich mache mir die Worte der Bundeskanzlerin voll inhaltlich zu eigen: wütend und traurig zugleich.

Aber jede Krise bietet ja auch immer eine Chance. Da gibt es den Spruch, angeblich von Churchill: Never waste a crisis. Diese Krise bietet eine Chance für die Republikanische Partei, sich jetzt zu vergewissern, ob sie wirklich dauerhaft zu einer Trumpisten-Partei werden will. Also ob sie dauerhaft im selbstgebauten Trump-Gefängnis landen will oder ob sie imstande ist, wieder zu einer seriösen parteipolitischen Identität als konservativere große amerikanische Partei zurückzufinden. 

Und was macht Ihnen da Hoffnung? 
Diese Chance hat sich aus meiner Sicht zumindest im Ansatz  ergeben, nachdem Vizepräsident Mike Pence, der ja eigentlich ein anständiger klassischer amerikanischer Politiker ist, und Mitch McConnell, der Senats-Mehrheitsführer, gesagt haben: Die Verfassung gilt und ihre Einhaltung ist das oberste Gebot. Und deswegen können wir dem Begehren des Präsidenten, eine angeblich gestohlenes Wahlergebnis weiterhin nicht anzuerkennen, jetzt nicht weiter folgen.

Unterstützer von US-Präsident Trump stehen auf dem Gang vor der Senatskammer im Kapitol. Unter den Eindringlingen in das US-Kapitol am Mittwoch in Washington sind auch Anhänger der rechten «QAnon»-Verschwörungstheorie gewesen.
Unterstützer von US-Präsident Trump stehen auf dem Gang vor der Senatskammer im Kapitol. Unter den Eindringlingen in das US-Kapitol am Mittwoch in Washington sind auch Anhänger der rechten «QAnon»-Verschwörungstheorie gewesen.

© dpa

Also ein Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende?
Ich sehe die Chance für eine Erneuerung der Republikanischen Partei. Vielleicht ist noch wahrscheinlicher, dass die Partei sich spaltet in einen radikalen Trump-Flügel und in einen eher gemäßigten Flügel. Sehen Sie, George Bush Senior, das war die Inkarnation des klassischen, anständigen, republikanischen Präsidenten, dem wir Deutsche ja sehr viel zu verdanken haben.

Engster Verbündeter von Helmut Kohl bei der Herstellung der deutschen Einheit. Das war eine völlig andere Partei mit Figuren wie James Baker, dem Außenminister, Bob Kimmitt, Botschafter in Deutschland, oder Robert Zoellick, später Weltbankpräsident. Im Grunde hat Trump die Partei zu seiner Geisel gemacht und ich denke, hier gibt es eine Chance, dass die Partei diesen Angriff auf die amerikanische Demokratie zum Anlass nimmt, nochmal kritisch zu reflektieren, ob das der richtige Weg in eine erfolgreiche Zukunft sein kann oder eben nicht. 

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Wer hätte die Autorität für den Bruch mit Trump?
Es muss zum Beispiel ein Mitch McConnell die Dinge jetzt beim Namen nennen. Sagen, der Präsident ist schuld, der hat angestiftet. Er ist der Brandstifter. Das muss aus republikanischen Kreisen jenseits von bekannten Kritikern wie Mitt Romney kommen. Das wäre dann der Beginn einer Selbstreinigung oder Spaltung der Republikanischen Partei. Ein spannender Vorgang, der primär innenpolitisch ist, aber von enormer weltpolitischer Bedeutung.

Ein Anhänger von US-Präsident Trump posiert im gestürmten Kongressgebäude.
Ein Anhänger von US-Präsident Trump posiert im gestürmten Kongressgebäude.

© imago images/ZUMA Wire

Aber es gibt natürlich über 70 Millionen, die Trump gewählt haben – und die mehrheitlich die Mär vom Wahlbetrug glauben.
Trump muss delegitimiert werden. Noch ist er der Präsident. Man muss ihn persönlich verantwortlich machen dafür, dass hier Tausende zum Kapitol strebten, auf groteske Weise von ihm  verführt:  Wir tun hier das Richtige, weil wir einen gestohlenen Wahlprozess zum Anlass nehmen, hier eine Revolution durchzuführen. Ich habe auf CNN eine junge Frau gesehen, die sagte, wir machen ja hier eine Revolution.

Das würde diese junge Frau nicht sagen, wenn der Präsident nicht selbst die Anstifterrolle übernommen hätte. Spätestens am 21. Januar wird sich zeigen, ob die Senatoren und Abgeordneten, von denen in zwei Jahren etwa die Hälfte wiedergewählt werden muss, der Meinung sind, dass sie mit Trump ihre nächste Wahl in zwei Jahren gewinnen oder ob sie sich nicht besser lösen von diesem Spektakel. Eine große Frage wird für die Biden-Administration sein, ob sie sich dafür einsetzt, dass Trump wegen seiner vielfachen Verfehlungen vor amerikanische Gerichte gestellt wird.

Würde das die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft vielleicht nur weiter verstärken und vertiefen? Das sind schwierige Fragen. Es sind zwar nicht 70 Millionen jetzt in Washington aufgetreten, aber diese etlichen Tausend, die sich da versammelt hatten, sind ja nichts anderes als die Speerspitze der 70 Millionen.

Die Verführungsmacht, zu der ein Donald Trump in den letzten Jahren fähig geworden ist,  sucht wirklich in demokratischen Staaten ihresgleichen und das muss uns alle zu der Frage führen: Worin liegen eigentlich die tieferen Ursachen? Ist das die Macht des Internets? Die direkte Kommunikation via Twitter, der direkte Umgang, den der Präsident ja gesucht hat mit seinen Wählern rüber Twitter? Oder liegen die tieferen Ursachen eher im Gefühl der weißen US Unter- und unteren Mittelschicht, wirtschaftlich abgehängt und marginalisiert worden zu sein? Dazu kommt dann noch der Ballast des immer noch kursierenden Rassismus.

Szenen von der Erstürmung des US-Kapitols durch aufgepeitschte Anhänger Donald Trumps.
Szenen von der Erstürmung des US-Kapitols durch aufgepeitschte Anhänger Donald Trumps.

© REUTERS

In Moskau und Peking wird man sich freuen, dass das westliche Demokratiemodell derart von innen unter Druck gerät… 
Es macht die Aufgabe für die künftige Administration nur noch natürlich viel größer und schwieriger. Es ist eine enorme Aufgabe, die auf Joe Biden, Kamala Harris, Tony Blinken und die anderen bereits nominierten Entscheidungsträger zuzukommen wird. Natürlich werden ein Wladimir Putin und ein Xi Jinping sehr sorgfältig testen, ob dieser Joe Biden eigentlich über Macht und Strahlkraft und Rückhalt in seinem eigenen Land verfügt, oder ob er halt nur so ein mit hauchdünner Mehrheit gewählter Präsident ist, bei dem 70 Millionen weiter vor Wut kochen.

Insoweit wird er auf die Probe gestellt werden. Das ist nicht ungefährlich. Und deswegen glaube ich, dass das Jahr 2021 nicht nur für Joe Biden, seinen Außenminister und seinen Verteidigungsminister eine grandiose Probe sein wird, mit großen weltpolitischen Risiken, sondern auch für uns.

Wenn Joe Biden zeigen kann, dass Amerika tatsächlich wieder demokratisch prinzipientreu ist, wenn er die guten und großzügigen Elemente amerikanischen Denkens animieren kann, die Amerika befähigt haben, 70 Jahre lang als Führungsnation des Westens zu agieren, kann das eine Erfolgsgeschichte werden.

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Was raten Sie Kanzlerin Merkel, Abwarten und Tee trinken?
Nein. Wir Europäer dürfen uns nicht auf die Zuschauerbank setzen und mal warten, was der Biden hinkriegt oder nicht hinkriegt, sondern wir sollten proaktiv mit der Biden-Administration ein Programm entwickeln, um zu zeigen, dass die transatlantische Zusammenarbeit wieder funktioniert. Dass wir beispielsweise in der Frage des richtigen Umgangs mit China eine gemeinsame Linie zwischen dem eher konfrontativen amerikanischen China-Kurs und dem eher kooperativ geneigten europäischen China-Kurs finden.

Der Vorschlag im Bericht einer von mir mitgeleiteten transatlantischen Studiengruppe: es sollte ein sehr  hochrangiger  transatlantischer Konsultationsmechanismus zum Thema China eingerichtet werden. Und bitte nicht jetzt nicht gleich wieder Konflikte über ein neues TTIP-Freihandelsabkommen oder die Gaspipeline Nordstream 2 schüren, wir dürfen den transatlantischen Graben jetzt nicht noch breiter werden lassen. Was wir jetzt wirklich nicht brauchen, ist eine Stimulierung klassischer antiamerikanischer Ressentiments in Deutschland. Leider spielen bereits einige diese Melodie - ich halte das für verantwortungslos! 

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Wie kann der Graben schmaler werden?
Es gibt ja diesen amerikanischen Begriff der low hanging fruit, also der leicht zu pflückenden Erfolge. Also zum Beispiel die  Rückkehr der USA in das Pariser  Klimaabkommen. Das wird doch in Europa von allen begrüßt werden, von links bis rechts.

Dann wird die enorm wichtige Frage sein: Gibt es eine Rückkehr zu Themen der Rüstungskontrolle? Ein Thema, das verwaist ist seit dem amerikanischen Rückzug aus dem INF-Vertrag. Kann Amerika durch eine rasche Verlängerung des New-Start-Vertrags gemeinsam mit Russland zeigen, dass es wieder imstande ist, Weltpolitik und Sicherheit positiv zu gestalten? Und was ist mit dem Iran-Abkommen? Auch das kann Amerika nur mit den europäischen Verbündeten gemeinsam anpacken, also den schwierigen Versuch unternehmen, mit den Mullahs wieder ins Gespräch zu kommen. 

Was stimmt Sie da so hoffnungsvoll, dass der Westen aus dieser Krise der USA gestärkt hervorgehen könnte?
Diejenigen, die  ab 21.1. die amerikanische Außenpolitik gestalten werden, sind zutiefst pro-europäisch, auch die jetzt bekannt gewordenen Nominierungen als Nummer zwei und drei im Außenministerium, Wendy Sherman und Victoria Nuland, stimmen mich sehr positiv.

Übrigens als Fußnote: Ich finde bisher keinen einzigen Namen in dieser ganzen Nominierungsliste, von dem man sagen könnte, der ist pro Brexit. In der Trump-Administration gab es ja nicht nur Trump selbst, sondern relativ viele Leute, die den Brexit eine ganz gute Idee fanden, also die Zerschlagung der Europäischen Union. Nun haben wir es mit Leuten zu tun, die zutiefst von der Sinnhaftigkeit engster Zusammenarbeit mit der Europäischen Union überzeugt sind.

Insoweit ist das tatsächlich jetzt unabhängig von den Ereignissen am Kapitol für Europa wirklich eine große Mitgestaltungschance, die wir dringend ergreifen müssen. Insoweit kommt auf uns in diesem deutschen Wahljahr 2021 eine ganz aktive, starke außenpolitische Aufgabe zu. Wir dürfen also jetzt nicht nur deutschen Wahlkampf als das Hauptherausforderung sehen, sondern es geht auch darum, eine aktive  Führungsrolle zu übernehmen, um möglichst viel gemeinsame transatlantische Handlungsfelder positiv zu besetzen. Die Münchner Sicherheitskonferenz 2021 - terminlich noch offen - wird der transatlantischen Gemeinschaft dafür eine ideale Plattform bieten. 

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