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Dem Bürger manchmal näher als der eigenen Partei: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD).

© imago images/Emmanuele Contini

Die Hauptstadt-SPD und ihre neue Vorsitzende: Das Giffey-Experiment

Die Beliebtheit der Familienministerin soll die Berliner SPD retten. Doch ihr Programm ist dort nicht populär. Ein Kommentar. 

Ein Kommentar von Hans Monath

Wenn am Samstagmorgen die Stimmen für Franziska Giffey und Raed Saleh bei der Vorsitzendenwahl der Berliner SPD ausgezählt sind, wird das Ergebnis nicht nur die Politik in der Hauptstadt interessieren. Denn die Familienministerin wagt ein Experiment, dessen Ausgang auch über die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie entscheiden oder zumindest mitentscheiden kann.

In ihrer Generation ist die 42-jährige Bundesfamilienministerin eine der wenigen Pragmatikerinnen der Sozialdemokratie, der höhere Aufgaben zugetraut werden.

Man könnte auch zugespitzt sagen: Scheitert Giffey, wird die Partei ihre ganzen Hoffnungen auf Kevin Kühnert setzen müssen – und der kommt bekanntlich von weit links. 

Eine Kurskorrektur, nach der sich die SPD wieder stärker um die Interessen ihrer klassischen Wählerinnen und Wähler wie innere Sicherheit oder Wirtschaftskraft kümmert, wäre dann so gut wie ausgeschlossen.

Erst kommt für sie die Wirklichkeit, dann erst Parteitagsbeschlüsse

Ein Experiment ist Giffeys Wahl deshalb, weil die Ex-Bezirksbürgermeisterin einen Landesverband führen will, in dem Parteilinke und Jusos so stark dominieren, dass Sozialdemokraten von außerhalb Berlins über deren ideologischen Verirrungen häufig nur den Kopf schütteln.

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Von der Popularität und Ausstrahlungskraft Franziska Giffeys will sich die darbende Berliner SPD gerne retten lassen. Ihr Programm, mit dem sie den Grünen nicht hinterherläuft, sondern auf eine nicht nur in Berlin vernachlässigte Mitte zielt, ist vielen Berliner Genossinnen und Genossen ein Gräuel.   

Dabei gründet Giffeys Popularität auch auf ihrer Überzeugung, dass Ängste und Wünsche von Menschen auch dann Maßstab für Politik sein müssen, wenn sie sich nicht in die Sonderwelt sozialdemokratischer Parteitagsbeschlüsse einsortieren lassen.

Aber längst arbeitet die Berliner SPD daran, so viel Giffey aus Giffey zu entfernen, bis nur noch eine Hülle mit deren Namen übrigbleibt.

Spitzenduo für die Berliner SPD: Franziska Giffey und Raed Saleh
Spitzenduo für die Berliner SPD: Franziska Giffey und Raed Saleh

© Imago/Christian Spicker

Die künftige Landesvorsitzende hat sich den Ruf einer unerschrockenen Politikerin gezielt erarbeitet - auch dadurch, dass sie als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln gegen arabisch-stämmige Clan-Kriminalität vorging.

Für den Parteitag lag ein Antrag vor, das angeblich rassistische Konzept der Clan-Kriminalität ersatzlos zu streichen. Die Antragskommission empfahl: Annahme. Die Demontage der eigenen Spitzenfrau, sie sollte bereits vor der Wahl beginnen. Doch Giffey und andere konnten noch erreichen, dass der Antrag von der Konsensliste genommen wurde.

Das ist schon ein Erfolg. Denn ihre Stellung ist nicht stärker geworden in den vergangenen Wochen. Der Ankündigung der Freien Universität, ihre Doktorarbeit erneut auf Plagiate hin zu prüfen und zu bewerten, kann Anfang des kommenden Jahres die Aberkennung des Titels folgen.

Schon versuchen  ihr wohlgesonnene Sozialdemokraten wie Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, vorzubauen. Sie argumentieren, die Wählerinnen und Wähler in Berlin würden ja in Kenntnis eines FU-Urteils im Herbst über Giffey entscheiden. Als ob das mögliche Regelverstöße heilen würde.

Giffey ohne Giffeys Programm würde nicht funktionieren

Die Ankündigung der FU zwingt Giffey in eine Abhängigkeit von der Solidarität des eigenen Landesverbandes. Ihr Raum für eigene Forderungen an die Berliner SPD schrumpft. Dieser Raum für eigene Forderungen würde sich nur noch auf Millimeterpapier zeichnen lassen, wenn sie den Titel tatsächlich verlieren sollte, den sie nicht mehr führen will.

Manchmal ist Politik paradox. Es gibt wenige in der SPD, deren Sprache weiter von der akademischen Welt der Gegenwart entfernt ist als die Giffeys. Und ausgerechnet über ihre Zukunft könnte ein akademischer Titel entscheiden.

Manche in der Berliner SPD wollen diese Schwäche ausnutzen. Vorher sollten sie klären, ob sie nur ihre speziellen Berliner Interessen im Blick haben – oder doch ihrer Verantwortung für die gesamte sozialdemokratische Partei gerecht werden wollen. Dann müsste Giffey in Berlin ihre Chance bekommen – mit genau dem Programm, für das sie steht.

In einer früheren Fassung war der Antrag gegen das Konzept der Clan-Kriminalität noch zur Annahme empfohlen. Nachdem er von der Konsensliste gestrichen wurde, wurde diese neue Entwicklung auch hier im Text vermerkt.

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