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Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat den ersten Entwurf seiner Digitalstrategie vorgelegt.

© imago images/Frank Ossenbrink

Erster Entwurf lässt konkrete Konzepte vermissen: Der Digitalstrategie fehlen Leuchtturmprojekte

Die Ampel-Koalition hat den ersten Entwurf ihrer Digitalstrategie fertig. Am Ambitionsniveau soll noch gearbeitet werden. Doch es fehlt noch mehr. Eine Analyse.

Volker Wissing (FDP) hat in seinem Ministerium Digitales an die erste Stelle gesetzt. Doch bislang musste er sich in erster Linie um den zweiten Teil und alten Kern seines Hauses kümmern: Flugchaos, Verbrennerverbot, Tankrabatt und 9-Euro-Ticket prägten die Debatten im ersten halben Jahr seiner Amtszeit.

In Sachen Digitalisierung fiel er dagegen nur mit dem Hinweis auf den Energieverbrauch von Essensfotos im Internet auf. Das soll sich nun ändern. Mit einer Digitalstrategie soll Deutschland vorangebracht werden.

Wie nötig das ist, hatte das SPD-Wirtschaftsforum gerade in einer Analyse gezeigt, bei der auch die bisherige Digitalpolitik unter Olaf Scholz kritisiert wurde. „Deutschland liegt zurück und ist im Begriff, in einer digitalen Zukunft seine Rolle als leistungsfähige Industrienation zu gefährden“, warnen die SPD-Experten, angesichts eines „stetig wachsenden Digitalisierungsdefizits“.

Auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat die Probleme erkannt. „Deutschland braucht einen umfassenden digitalen Aufbruch“, lautet der erste Satz der Digitalstrategie, deren Entwurf dem Tagesspiegel vorliegt. Bei der Digitalisierung rangiere man seit Jahren nur im Mittelfeld, das reiche nicht, um im internationalen Wettbewerb auch künftig in der ersten Liga spielen zu wollen. Daher wolle man nun „den Umsetzungsstau der vergangenen Legislaturperioden endlich auflösen“.

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Die Vision für 2025  

Die Strategie soll als „Verpflichtung für uns als Bundesregierung“ gelten, darin werden auch Ziele festgelegt, an denen sich die Koalition zum Ende der Legislaturperiode messen lassen will. „Verwaltungsdienstleistungen können einfach und schnell online erledigt werden, vom Wohnzimmer aus, statt im Wartezimmer der Behörden sitzen zu müssen“, heißt es im Zielbild beispielsweise. „Jeder kann sich online sicher ausweisen, relevante Urkunden sind digital abrufbar und müssen nicht mehr gedruckt werden.“

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Zudem soll bis Ende 2025 die Hälfte aller Haushalte mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard versorgt sein. Auch Schulen sollen dann „an schnelle Netze angeschlossen sein“ und die Digitalkompetenz von Lehrenden wie Lernenden wirksam verbessern.

Im Gesundheitswesen soll „eine durchgehende digitale Datenverfügbarkeit realisiert“ sein, damit Ärzte und Patienten stets auf die aktuellen Gesundheitsinformationen zugreifen können.

Der Transfer von Wissenschaft und Forschung ist in drei Jahren „sprunghaft angestiegen“, der Wirtschaftsstandort steht „im Fokus der Digitalwirtschaft“, die „Fachkräftebasis im Bereich der Digitalisierung ist deutlich gestärkt“ und „autonome Fahrzeuge entlasten Fahrerinnen und Fahrer von Routineaufgaben und erhöhen die Verkehrssicherheit“.

Strategie enthält drei Hebelprojekte 

Bei der Frage, wie diese teils ambitionierten Ziele erreicht werden sollen, werden drei Projekte genannt, von denen sich die Regierung eine „Hebelwirkung“ verspricht:

  • sichere digitalen Identitäten sollen die Grundvoraussetzung für digitale Angebote der Verwaltung, im Bildungsbereich und auch Wirtschaft und Gesellschaft

Doch reicht das, um die erhoffte „Katalysatorwirkung“ zu entfalten? „Ich bin noch nicht zufrieden“, hatte Digitalminister Volker Wissing vor einem Monat auf der Digitalkonferenz Republica gesagt. Vor allem bei den Plänen der anderen Ministerien, deren Vorhaben in der Strategie gebündelt werden, müsse mehr „Butter bei die Fische“.

Aber auch jetzt sind ein Großteil der skizzierten Maßnahmen bereits existierende Projekte der Vorgängerregierung, die fortgeführt werden. So ist den Plänen für die digitale Verwaltung ein Kernvorhaben der Online-Ausweis auf dem Smartphone, das Projekt sollte eigentlich schon vor einem Jahr ausgerollt werden.

Wenig Neues gibt es auch bei der Digitalisierung des Gesundheitssektors, wo die elektronische Patientenakte (ePA) zum „Herzstück digital vernetzter Gesundheitsversorgung“ werden soll. Gestartet ist die ePA schon Anfang 2021, bisher haben sie gut 500.000 der mehr als 73 Millionen gesetzlich Versicherten aktiviert. Seither wird daran herumgedoktert.

Wie sich die Regierung eine wegweisende Neuerung des Prozesses vorstellt und bis wann ePAs und eRezepte umfassend eingeführt werden, bleibt buchstäblich noch offen. Dazu kommen im Koalitionsvertrag vereinbarte Pläne, wie ein Dateninstitut oder die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (Dati).

Die konkreten Ziele, an denen sich die Ampelkoalition dann messen will sind in der Regel aber vergleichsweise vage formuliert. Eine „stärkere Quantifizierbarkeit“ ist einer der beiden Punkte, auf den das BMDV nun in der Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien drängt. Und auch bei den geplanten Projekten hofft man, dass aus dem einen oder anderen Haus noch mehr kommt. 

Kommen Digitalbudget und Leuchtturmprojekte noch?

Die Umsetzung der Strategie soll dann durch einen Staatssekretärsausschuss „begleitet und gesteuert“ werden. Zudem soll sie mit dem Digitalbudget flankiert werden. Wieviel Geld dabei aber zur Verfügung steht und ab wann, ist jedoch weiterhin völlig offen.

Im gerade beschlossenen Regierungsentwurf für den Haushalt 2023 fehlte das Digitalbudget wieder. Auch das dürfte die Zurückhaltung mancher Ministerien erklären, im Rahmen der Digitalstrategie neue Großprojekte zu entwerfen.

„Beim Digitalbudget gibt es die klare Absprache, dass es für drei, vier, fünf Großvorhaben verwendet werden soll“, hatte Wissings Digitalstaatssekretär Stefan Schnorrangekündigt. „Also kein Kleckern, sondern Klotzen. Das müssen wirklich Leuchtturmprojekte sein.“ Genau solche Leuchtturmprojekte finden sich jedoch kaum.

Die Ampel-Koalition hat dabei ein typisches Henne-Ei-Problem: Eine Vorgabe an die Ministerien lautete, sich in der Digitalstrategie auf Projekte zu fokussieren, die im eigenen Verantwortungs- und Budgetbereich bis zum Ende der Legislaturperiode umsetzbar seien.

Und angesichts der schwierigen wirtschaftspolitischen Gesamtlage und dem Fokus von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die Schuldenbremse einzuhalten, wurden ohnehin schon bei einer Reihe von Digitalprojekten die Mittel gekürzt.

Ohne zusätzliches Digitalbudget halten sich viele Ministerien daher mit ihren Ambitionen zurück. Doch im BMDV geht man davon aus, dass das im Koalitionsvertrag vereinbarte Digitalbudget noch kommt - auch schon für das kommende Jahr. Dann wären auch noch zusätzliche innovative Projekte denkbar.

In der Ressortabstimmung muss sich nun zeigen, wie viel Butter noch bei die Fische kommt. Das BMDV macht dabei schon in der Einleitung der Strategie klar, dass noch nachgearbeitet werden soll. So gehe es nun darum „in einem kollaborativen Verfahren unter Leitung des BMDVs“, die Digitalstrategie „auf ein hohes Ambitionsniveau“ zu heben. Dabei könnten Projekte hinzugefügt, überarbeitet oder ersetzt werden. Zudem sollen die Ziele „greif- und messbarer“ werden.

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