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Streit um die Regenbogenfahne : Der Kanzler empört die queere Community
Der Bundestag sei kein Zirkuszelt, sagt der Kanzler im Regenbogen-Fahnen-Streit. Die Kritik folgt prompt. War es eine unüberlegte Äußerung oder steckt dahinter ein gestriges Gesellschaftsbild?
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Friedrich Merz sitzt am Dienstagabend erst ein paar Minuten im Sessel bei Sandra Maischberger, da konfrontiert ihn die TV-Moderatorin mit seiner vermeintlichen Schwäche. Aus einer neuen Kanzler-Biografie zitiert sie einen anonymen CDU-Spitzenpolitiker, der sich über Merz’ Impulsivität auslässt: „Ich brauche nur seine Halsschlagader zu sehen, dann weiß ich: Gleich haut er wieder einen raus.“
Und wenig später kommt in dem ARD-Talk dann tatsächlich ein Moment, über den sich viele Menschen echauffieren werden. Statt über Merz’ Aussagen zu den Grenzkontrollen zu Polen, den steigenden Verteidigungsausgaben oder den Reformbemühungen beim Sozialstaat dominiert an diesem Mittwoch eine andere Frage: Nimmt der Bundeskanzler die Rechte und den Schutz von queeren Menschen ernst?
Im deutschen Parlament werden nicht jeden Tag beliebig irgendwelche Fahnen aufgehängt.
Bundeskanzler Friedrich Merz will die Regenbogen-Flagge nur an einem Tag im Jahr hissen lassen.
Denn in der Sendung verteidigt der Bundeskanzler die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, dass die Regenbogenfahne nur am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-; Inter- und Transfeindlichkeit, auf dem Reichstagsgebäude gehisst werden soll. Am Tag des Berliner Christopher Street Days soll die Fahne – anders als in den Vorjahren – dort nicht mehr wehen.
Es gebe einen Fahnenerlass, wonach der Bundestag nur einmal im Jahr eine andere Flagge hissen dürfe, erläutert Merz. Das lässt ihm Maischberger mit Verweis auf das Vorjahr aber nicht durchgehen. Dann – um es mit den Worten des anonymen CDU-Spitzenpolitikers zu sagen – haut Merz einen raus: „Der Bundestag ist kein Zirkuszelt“, sagt er schroff. Jeder Bürger könne vor seiner Haustür eine Fahne hissen: „Im deutschen Parlament werden nicht jeden Tag beliebig irgendwelche Fahnen aufgehängt.“
Es ist vor allem Merz’ Wortwahl vom „Zirkuszelt“, die für große Aufregung sorgt und seine Kritiker bestätigt.
„Manchmal sind spontan dahergesagte Worte ja verräterisch“, sagte etwa Grünen-Chef Felix Banaszak dem Tagesspiegel: „Wer bei der Regenbogenfahne an Zirkus denkt, sagt mehr über sich als über den Anlass selbst.“ Er erinnerte daran, dass die Fahne für den jahrzehntelangen Kampf um gleiche Rechte, Anerkennung und Sicherheit stehe – „für einen Kampf, der leider in großen Teilen gegen CDU und CSU ausgefochten werden musste“.
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) warf Merz vor, mit seiner Äußerung die queere Community zu verletzen. Dies sei eine „Entgleisung“, sagte LSVD-Vorstand Andre Lehmann dem ZDF. „Die Regenbogenfahne ist keine Zirkusplane, sondern ein universelles Symbol für Vielfalt und Menschenrechte.“
Auch innerhalb der Bundesregierung wird Kritik am Kanzler laut. „Wenn die Regenbogenfahne die Fahne auf einem Zirkuszelt ist, was sind dann queere Menschen? Zirkustierchen, die sich zur Erheiterung des Publikums zum Affen machen?“, ärgert sich die neue Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch.

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In Zeiten, in denen queere Menschen häufiger angegriffen würden, wäre es ein „kraftvolles Bekenntnis des Staates“, wenn die Regenbogenfahne auf dem Bundestag wehen würde, sagte Koch dem Tagesspiegel und ergänzte: „Ein Verständnis dafür wäre für einen Bundeskanzler angemessen.“
Selbst der Verband der Lesben und Schwulen in der Union (LSU) kritisiert die Aussage von Merz: „Eine Regenbogenflagge ist kein Zirkusrequisit und macht den Bundestag auch nicht zum Zirkus“, sagt der Vorsitzende Sönke Siegmann dem Tagesspiegel.
Die Empörung macht ein Dilemma des Kanzlers deutlich. Merz hat sich bewusst für eine klarere Kommunikation als Bundeskanzler entschieden als sein Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD). Damit kommuniziert er mehr auf Augenhöhe mit der Bevölkerung und versteckt seine Politik nicht hinter Worthülsen. Auch bei Maischberger spricht Merz mehr als eine Stunde Klartext und bezieht Stellung – auch wenn er dabei immer wieder bei der Moderatorin aneckt.
Seine Kommunikation birgt Risiken für Merz
Mit seiner flinken Zunge hat sich Merz immer wieder Ärger eingefangen. Zuletzt etwa, als er davon sprach, dass Israel mit den Bombardierungen des Irans die „Drecksarbeit“ für den Westen erledige. Bei der Debatte um die Regenbogen-Fahne kommt jedoch noch hinzu, dass Merz in den vergangenen Jahren immer wieder mit gesellschaftspolitischen Äußerungen in der Kritik stand.
2020 sagte Merz in einem „Bild“-Interview etwa, er habe keine Vorbehalte gegen einen schwulen Kanzler, denn die sexuelle Orientierung gehe die Öffentlichkeit nichts an. Dann ergänzte er: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht – ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.“
Der Aufschrei war enorm, Merz wurde Homophobie und ein gestriges Gesellschaftsbild vorgeworfen. Der damalige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil – heute Vizekanzler – sagte dazu bissig: „Friedrich möchte aus dem letzten Jahrhundert abgeholt werden.“
Das alte Vorurteil holt Merz nun erneut ein. Zwar heißt es aus Regierungskreisen, der Kanzler habe sich ja positiv zum CSD und dem gesellschaftlichen Ziel geäußert, doch der Schaden ist da.
Immerhin aus den eigenen Reihen wird Merz am Mittwoch vom Fraktionschef der Union, Jens Spahn, verteidigt: „Unser Bundeskanzler hat völlig recht“, sagte er dem Tagesspiegel. Schwarz-Rot-Gold stehe für die freiheitliche Republik und damit auch für Gleichberechtigung und Respekt vor Minderheiten.
Spahn, der seit vielen Jahren mit einem Mann verheiratet ist, kritisierte hingegen den anhaltenden Streit um die Flagge: „Diese tagelangen Symboldebatten dagegen tragen nichts zur Freiheit und Sicherheit von Schwulen und Lesben in Deutschland bei.“
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