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Die Junge Alternative - die vom Verfassungsschutz beobachtete Jugendorganisation der AfD.

© imago/Michael Schick

Die Strategie beginnt aufzugehen: Wie die rechte Szene ihren Nachwuchs rekrutiert

Plötzlich, so schien es, wählen auch viele junge Menschen AfD. Doch Rechte arbeiten schon länger an einer Gegenkultur, die für den Nachwuchs attraktiv ist.

Es klingt wie Gangster-Rap. Eingängige Beats, düsterer Ton. Doch der Text handelt nicht von schweren Autos, Frauen oder Geld. Der Rapper Chris Ares tönt: „Ich bin rechts und unser Kommen ist europaweit zu spüren.“ Er droht: „Eure vollvermummten Punk-Visagen werden mittels Panzerwagen durch das ganze Land gejagt, um euch Maden dann anzuklagen.“ Und: „Nach der deutschen Wende, wenn das Land in unsren Händen ist, dann seh’n wir, wen’s am Ende trifft und wer von uns verängstigt ist.“

Extrem rechte Botschaften, verpackt in ein populäres Genre. Chris Ares – der Rapper hat sich benannt nach dem griechischen Gott des Krieges – steht im Visier des Verfassungsschutzes. Und er hat Fans. Sein Song „Neuer Deutscher Standard“ schaffte es im September laut dem Musiksender MTV auf Platz sechs der wöchentlichen Download-Charts.

Man stößt irgendwann auf solche Musik, wenn man Antworten auf die Fragen sucht, die sich viele nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg stellten – und wohl auch nach der anstehenden Wahl in Thüringen wieder stellen werden. Wie kann es sein, dass die AfD in diesen Bundesländern unter jungen Menschen stärkste oder zweitstärkste Kraft wurde? Wie weit verbreitet ist rechtes Gedankengut unter jungen Menschen – existiert so etwas wie eine rechte Jugendkultur?

Wer mit Aussteigern spricht, mit Streetworkern, mit Wissenschaftlern, rechten Aktivisten und jungen AfD-Anhängern, der merkt: Es gibt sie zwar noch, die jungen Skinheads, die Rechtsrock hören und Bomberjacke tragen. Aber die Szene ist diverser geworden. Hippe Nationalisten in Poloshirts sind dazugekommen, rechte Rapper, rechte Youtuber, rechte Sportevents, Smartphone-Apps für Rechte, sogar rechte Comedy.

Doch auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag: Das ist keine neue Bewegung, keine Kultur, die aus der Jugend heraus entsteht. Vielmehr kapern Rechte gezielt popkulturelle Strömungen und nutzen sie dazu, Nachwuchs zu rekrutieren und nationalistisches Gedankengut zu verbreiten. Und die Strategie scheint zu funktionieren.

Der extrem rechte Rapper Chris Ares.
Der extrem rechte Rapper Chris Ares.

© imago/ZUMA Press

„Wir warnen seit Jahren vor dieser Entwicklung“, sagt der sächsische Streetworker Sascha Rusch. Das Ergebnis zeichnet sich auch in der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ab, die seit 2006 im Zwei-Jahres-Rhythmus das Ausmaß rechtsextremer Einstellungen in Deutschland ermitteln lässt. „Die Jüngeren – bis dato weniger menschenfeindlich und rechtsextrem eingestellt als Ältere – ziehen bei einer Reihe von Abwertungen und Dimensionen rechtsextremer Einstellungen nach“, heißt es da.

An einem sonnigen Tag im September sitzt Martin Kohler an der Spree. Der 21-jährige Geschichtsstudent ist Landesvize der Jungen Alternative (JA) in Brandenburg, der vom Verfassungsschutz beobachteten Parteijugend der AfD. Er trägt die braunen Haare nach hinten gekämmt, rostrote Hose, Bootsschuhe, einen Pulli über dem Hemd. „Mir persönlich ist es wichtig, adrett aufzutreten“, sagt er. Und: „Ich würde nicht ohne Kragen aus dem Haus gehen.“

An seiner Uni ist Kohler ein Exot, in seinem Dorf im Märkisch-Oderland nicht. 180 Einwohner ungefähr, freiwillige Feuerwehr, Gemüsestand, Imkerbedarf, Fußballverein. Auf dem Land in Brandenburg sei es zunehmend normal, AfD zu wählen, meint Kohler. Schon in der Schule habe er mit seiner politischen Einstellung nicht hinter dem Berg gehalten und trotzdem die Abiturrede halten dürfen. „Ich war nicht der Paria“, sagt Kohler. Für die AfD baute er den Jugendverband in Brandenburg mit auf.

Den einen Style gibt es unter jungen Rechten nicht. Martin Kohler, Vize der Brandenburger JA, schwört auf einen adretten Look.
Den einen Style gibt es unter jungen Rechten nicht. Martin Kohler, Vize der Brandenburger JA, schwört auf einen adretten Look.

© privat

Die Rekrutierungs-Strategie

Aus seiner Strategie macht Kohler kein Geheimnis. Nachdem der Verfassungsschutz gewichtige Anhaltspunkte dafür sah, dass es sich bei der AfD-Jugend um eine extremistische Bestrebung handelt, bemüht sich die JA in der Außendarstellung um Harmlosigkeit. Sie wirbt mit Heimatverbundenheit, Patriotismus und regionaler Verwurzelung.

Wenn er die Gelegenheit dazu bekommt, erzählt Kohler von Kanufahrten der JA, von gemeinsamen Kneipentouren, von Fußballturnieren. „Es geht darum, mit Gleichgesinnten Spaß zu haben“, sagt er. Derzeit arbeitet die JA daran, mehr Veranstaltungen „in der Fläche“ zu bieten, weil sich die Aktivitäten bislang vor allem auf Potsdam und das Umland konzentrierten.

Mit dem Spaß-Aspekt will sich die JA von der mühsamen Parteiarbeit in der AfD abheben. Das sieht man auch im Netz. „Was einen wahnsinnigen Sprung gebracht hat, war, dass wir uns Instagram angeschafft haben“, sagt Kohler. Dort sind vor allem Bilder von den Aktivitäten der JA zu sehen, bei denen Mitglieder in die Kamera lächeln.

Ein junger AfD-Wähler erzählt dem Tagesspiegel, dass tatsächlich der Instagram-Auftritt bei ihm den Ausschlag gegeben habe, der Jungen Alternative beizutreten. Da hätten alle ganz normal und sympathisch ausgesehen, sagt der junge Mann. „Das hat mich gefangen.“

Noch 2015 habe er Kleidung ins Flüchtlingsheim gebracht. Nach der Kölner Silvesternacht habe sich etwas bei ihm gedreht. Heute sagt er Sätze wie: „Wer Interesse an Integration hat, sollte patriotisch eingestellt sein.“ Man müsse als Deutscher Stolz zeigen, damit andere dazu gehören wollen.

Noch professionellere Öffentlichkeitsarbeit macht die Identitäre Bewegung, kurz IB, die der Verfassungsschutz im Juli dieses Jahres als rechtsextremistisch einstufte. In Deutschland gehören der Bewegung Schätzungen zufolge nur rund 600 Aktivisten an, durch ihre oft aufsehenerregenden Aktionen erreichen sie aber ein Publikum, das um ein Vielfaches größer ist.

Die Identitäre Bewegung ist die Simulation einer Jugendbewegung. Tatsächlich machen nur etwa 600 Leute mit.
Die Identitäre Bewegung ist die Simulation einer Jugendbewegung. Tatsächlich machen nur etwa 600 Leute mit.

© picture alliance/dpa

Als die Identitären vor drei Jahren das Brandenburger Tor besetzten und ein Banner mit dem Spruch „Sichere Grenzen, sichere Zukunft“ herunterließen, sahen das vor Ort nur ein paar Menschen, das Video im Internet Hunderttausende. Die Identitären inszenieren sich als hippe Rebellen. „Es ist natürlich ein attraktives Momentum, gegen den Mainstream zu sein, gerade für junge Menschen“, sagt der Chef der Identitären in Deutschland, Daniel Fiß, bei einem Gespräch am Berliner Alexanderplatz.

Der Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent, der gerade das Buch „Deutschland rechts außen“ veröffentlicht hat, sagt: „Die IB ist die Inszenierung einer Jugendbewegung.“ Sie seien zahlenmäßig wenige, es gelinge ihnen aber, im Internet über Videos und Blogs Begriffe zu setzen, bei denen Lehrer und Jugendarbeiter überfordert seien, diese richtig einzuordnen. Ihr Ziel, Europas kulturelle und ethnische Identität zu bewahren, beschreiben die Identitären mit dem Begriff „Ethnopluralismus“.

„Die Identitären distanzieren sich zwar von Gewalt, nehmen es aber in Kauf, rassische Segregation zu propagieren, die nur mit staatlicher Gewalt umsetzbar wäre“, sagt Quent. Innerhalb des rechtsradikalen Mosaiks hätten die Identitären einerseits die Funktion, Jugendliche anzufixen. Zum anderen seien sie Projektionsfläche. „Eine Bewegung, die sich wie die radikale Rechte inszeniert nach dem Motto ,Uns gehört die Zukunft‘ – die braucht eben auch eine Jugend.“

Auch die alten Rechten – klassische Neonazis, braune Kameradschaften, rechtsextreme Parteien wie die NPD oder Der Dritte Weg – haben nie aufgehört zu rekrutieren. Sie verteilen nur keine Schulhof-CDs mit Rechtsrock mehr.

2017 warnten in Sachsen mehrere Verbände der Jugendarbeit in einem offenen Brief eindringlich vor „Unterwanderungsversuchen“ in Jugendeinrichtungen, die an die Strategien der neonazistischen Szene der 90er und Anfang der 2000er Jahre erinnerten. Die Experten berichten von „angreifendem Verhalten“ gegenüber nichtrechten Nutzern von Jugendclubs und von Rechtsextremen, die öffentlich geförderte Projekte „nationaler Jugendarbeit“ aufbauen wollten.

Streetworker Rusch vom Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e. V. war 15 Jahre lang auf der Straße in Dresden unterwegs, heute berät er andere Streetworker dabei, wie sie mit rechten Jugendlichen umgehen können. Die Lage sei vor allem im ländlichen Raum prekär. „Es gibt Regionen, da betreuen zwei Sozialarbeiter 40 Jugendclubs – die können kaum Einfluss darauf nehmen, was da passiert.“ Seit Jahren werde in der Jugendarbeit gespart – Häuser in der Folge geschlossen. Nun bemühten sich Rechtsextreme, diese Lücken zu besetzen.

Im sächsischen Bautzen versuchte laut Rusch ein NPD-Kader, Fördergelder für ein „Jugendangebot nur für Deutsche“ zu bekommen. In Erfurt hat der extrem rechte Verein „Volksgemeinschaft e. V.“ einen alten Supermarkt angemietet und will mit Billardtischen, Dartscheiben und Tischkickern Jugendliche anlocken. Der sächsische Verein Heimattreue Niederdorf, dessen Vorsitzender vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, lud zum Kinderzelten ein. Und die Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ wollte im Juli einen Gemeinschaftstag unter dem Titel „Jugend im Sturm“ abhalten – mit rechter Musik, Armdrücken und Kampfsportvorführungen im Boxen. Die Veranstaltung wurde aber von der Stadt Erfurt kurzfristig untersagt, was eine Spontandemo der Teilnehmer nach sich zog.

Auch die rechtsextreme Kleinstpartei „Der dritte Weg“ versucht sich an der Jugendarbeit.
Auch die rechtsextreme Kleinstpartei „Der dritte Weg“ versucht sich an der Jugendarbeit.

© picture alliance/dpa

Rusch beobachtet auch, dass Jugendliche über ihre Familie in Kontakt mit rechten Einstellungen kommen. „Die Neonazis, die in den 90ern Leute zusammengeschlagen, in Hoyerswerda, Solingen oder Rostock-Lichtenhagen rechte Gewalttaten verübt haben – die haben sich niedergelassen und Kinder bekommen.“ Der größte Einfluss für Kinder und Jugendliche seien eben die Eltern. „Und wenn es am Küchentisch normal ist, abfällig von ,Negern‘ oder ,Fidschis‘ zu sprechen, dann übernehmen sie das.“

Auch das erweiterte Umfeld spiele eine Rolle – gerade in Gegenden, wo Rechte insgesamt den Ton angeben. „Wenn Rechtsradikale unwidersprochen bleiben, weil sie Nachbarn sind oder weil man keinen Stress mit ihnen will, dann entsteht bei Jugendlichen der Eindruck, alle wären so drauf.“

Das führt dann zu der paradoxen Situation, dass Jugendliche mit ihrem Verhalten einerseits gegen „die da oben“, den vermeintlichen Mainstream protestieren – andererseits erleben, dass es scheinbar normal ist, wenn Verwandte oder Nachbarn AfD wählen. Forscher Quent nennt das eine „Zwei-Welten-Realität“.

Eine rechte Jugendkultur?

Gabriele Rohmann ist Leiterin des Archivs der Jugendkulturen. In einem Hinterhof in Kreuzberg gelegen, stapeln sich dort in etlichen Regalen Magazine der verschiedenen Szenen – von Punk über Skater bis Hip-Hop ist alles dabei. Dass es eine rechte Jugendkultur gäbe, sieht sie nicht: „Die Definition von Jugendkulturen beinhaltet, dass überwiegend bei jungen Menschen von innen heraus etwas entsteht.“

Von der rechten Szene werde dagegen von außen etwas in jugendliche Kreise hineingetragen – Musik und Styles beispielsweise. „Das als rechte Jugendkultur zu bezeichnen, hat etwas mit einer Anerkennung zu tun, die nicht gerechtfertigt ist.“ Auch gebe es nicht die eine rechte Szene. Intern unterscheidet man im Archiv der Jugendkulturen grob zwischen „Neuer Rechter“ und „Neonazismus“ – allerdings sind die Übergänge zwischen beiden fließend.

Rohmann sagt, Parteien wie die NPD hätten schon Ende der 90er Jahre erkannt, dass sie mit ihrem Auftreten bei vielen Jugendlichen nicht gut ankommen. „Daraufhin haben sie versucht, Techno für sich zu vereinnahmen und es als weiße, deutsche Jugendkultur auszurufen – obwohl die Wurzeln des Techno auch im schwulen, schwarzen House-Milieu in Chicago lagen.“ Auf einmal habe es Techno-Tracks wie „Hart wie Kruppstahl“ gegeben.

In den 2000er Jahren seien die Autonomen Nationalisten entstanden: Die Idee sei gewesen, das Auftreten des Schwarzen Blocks zu kopieren und für die rechte Szene zu adaptieren. Das habe nicht nur dazu gedient, die Polizei zu irritieren, sondern auch dazu, Anhänger beim linken Lager abzuschöpfen. „Das Kopieren ging sogar so weit, dass auf rechten Demos ‚Macht kaputt, was euch kaputt macht‘ von ‚Ton, Steine, Scherben‘ lief.“

Heute sei es die Strategie der Identitären, sich genau zu überlegen, was bei Jugendlichen gut ankomme. Dass rechte Gruppen vermehrt Rap als Vehikel für ihre Botschaften aussuchen, ist in diesem Sinne logisch. Er gilt als die größte Jugendsubkultur in Deutschland.

So bewegt sich auch der extrem rechte Rapper Chris Ares im Dunstkreis der Identitären. Videos von deren Aktionen werden mit Ares’ Musik unterlegt. Zu sehen sind die gelben Fahnen mit dem schwarzen Lambda – dem Symbol, das im antiken Griechenland die spartanischen Krieger auf ihre Schilde geprägt hatten. Unter Vertrag steht Ares bei Arcadi Musik, das zum rechten Arcadi Verlag gehört. Der verlegt auch eine Art Jugendzeitschrift. Der leitende Redakteur ist gleichzeitig Sprecher der AfD Leverkusen.

Der Cottbusser Rapper „Bloody32“ kommt aus der Hooligan-Szene, behauptet, in Deutschland werde man für seine Meinung weggesperrt, und sehnt in seinem Song „Europa fällt“ den Aufstand herbei. Als bekennender Neonazi tritt der Rapper Makss Damage auf, der unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Er rappt Sätze wie „Ich leite Giftgas lyrisch in Siedlungen, die jüdisch sind“.

Es ist immer dieselbe Strategie: Was bei Jugendlichen gut ankommt, wird auf rechts gedreht. Und weil die Zielgruppe divers ist, muss es auch das Angebot sein. Deswegen gibt es nicht nur rechten Rap, rechten Rock, sondern auch rechten Black Metal und rechten Pop. Für Jugendexpertin Rohmann ist rechte Musik eine Einstiegsdroge.

Aber es gibt auch Bands, die sich selbst nicht als rechts bezeichnen, trotzdem in rechten Kreisen gehört werden. „Beispielsweise finden sich in den Texten der Band Freiwild immer wieder Hinweise auf völkisches Denken“, sagt Rohmann. Im Song „Wahre Werte“ singt die Band etwa: „Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen / Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen“.

Martin Kohler, der Brandenburger Landesvize der AfD-Jugend, erzählt, einige der JAler hörten privat Andreas Gabalier. Der Schlagerrocker, der öfter mit Lederhosen auftritt, spielt zumindest mit rechten Ideen, wenn er singt: „Kameraden halten zusammen ein Leben lang, / eine Freundschaft, die ein Männerleben prägt, / wie ein eisernes Kreuz, das am höchsten Gipfel steht.“

Style: Undercut und Poloshirt

Einen einheitlichen Style gibt es unter jungen Rechten heute nicht mehr. In der neuen Rechten setzt aber unter Jugendlichen der von Kohler beschriebene „adrette“ Look durch. Undercut – das heißt die Haare oben etwas länger, an der Seite kurz – und Hemd oder Poloshirt. Getragen wird bei den Identitären häufig Fred Perry. Experten erklären die generelle Beliebtheit unter Rechten unter anderem damit, dass die Polos zum Teil mit den Farben schwarz-weiß-rot am Kragen angeboten werden – die Farben des Dritten Reichs. Es könnte aber auch das Logo sein, ein Lorbeer-Kranz – Symbol des Sieges.

Besonders Identitäre tragen zudem oft Turnschuhe der Marke New Balance. Der österreichische Identitären-Anführer Martin Sellner twitterte mit dem Satz „Wenn Identitäre Identitäre besuchen“ ein Bild von einem Schuhregal voller New-Balance-Schuhe. Symbol der Marke ist ein großes aufgenähtes N. Rechte können hier das Wort „Nationalist“ hineinlesen. New Balance hat sich wiederholt von der rechten Szene distanziert. Doch 2016 erklärte die rechtsextreme US-Website „The Daily Stormer“ New-Balance-Schuhe zu „Official Shoes of White People“, nachdem ein Mitglied der Führungsriege des Unternehmens die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump gelobt hatte.

Die Marke „Lonsdale“ wiederum, die früher unter Neonazis beliebt war, weil bei halb geöffneter Jacke die Buchstaben NSDA zu sehen waren, trägt man in der rechten Szene heute weniger. Das Label ging mit einer großangelegten Kampagne und dem Slogan „Lonsdale loves all colours“ gegen die Vereinnahmung vor.

Letztlich geht es aber nicht nur um die Symbolik, sondern darum, sich gegenseitig zu erkennen. Die Identitären hätten deshalb auch gern eine eigene Modemarke für die neurechte Jugend. Versuche gibt es bereits. Der Mode-Versandhandel „Phalanx Europa“ – Gründer sind die Identitären Martin Sellner und Patrick Lenart – wirbt mit Slogans wie „Revolte mit Stil“. Hier werden Shirts angeboten mit Aufschriften wie „Wir sind das Volk“ und „Pro Patria“.

Ein junger Mann bei einem Aufmarsch der Identitären.
Ein junger Mann bei einem Aufmarsch der Identitären.

© imago/IPON

Wie beschreiben Aussteiger die Faszination Jugendlicher an dem neurechten Umfeld? Aussteigerin Franziska Schreiber war bis 2017 AfD-Mitglied, saß im Bundesvorstand der AfD-Jugend und im Landesvorstand in Sachsen. Am Telefon sagt sie über die Kultur bei der JA: „Insbesondere unter den jungen Männern gab es in Bezug auf öffentliche Aussagen eine Art Wettbewerb, Mutproben.“ Man habe sich in einer David-gegen-Goliath-Situation gewähnt. „Die Frage war: Wer traut sich, gegen die Political Correctness zu verstoßen, sich mit dem Mainstream anzulegen? Je radikaler, je aufsehenerregender die Aussage, desto besser.“

Die Mädchen und Frauen in der Jungen Alternative sehnten sich dagegen oft nach einer heilen Familie, nach einem Haus, einem Ehemann und mehreren Kindern. „Viele fühlten sich überfordert von einer Gesellschaft, die von ihnen erwartet, dass sie Kind und Karriere gleichzeitig meistern.“

Gerade die Junge Alternative habe bewusst mit einem traditionellen Familienbild geworben, in dem sich die Frau um die Kinder kümmert und der Mann arbeitet. Auch die Gefährdung der Frauen durch kriminelle Ausländer sei propagiert worden, um wiederum das „Beschützerbedürfnis“ bei den Männern zu triggern.

„Wer sich auskennt, sieht, dass ich in einer Burschenschaft bin“

Für Martin Kohler, den Brandenburger JA-Mann, gehört zu seinem rechten Lifestyle noch mehr. Er zeigt in Richtung seiner linken Augenbraue, über der ein Schmiss prangt. „Wer sich auskennt, sieht, dass ich in einer Burschenschaft bin.“ Unter seinen Bundesbrüdern seien einige in der AfD, ein paar in der CDU und einzelne engagierten sich auch beim Verein „Zukunft Heimat“, dem flüchtlingsfeindlichen Verein aus Cottbus.

Kohler sagt, er genieße. dass im Verbindungshaus – einer Gründerzeit-Villa in West-Berlin – kein Thema tabu sei. Er lobt die Kameradschaft und er sagt: „Bei uns in der Verbindung rauchen auch fast alle Pfeife oder Zigarre. Das hat etwas Akademisches.“ Lange Zeit bekamen Burschenschaften kaum Aufmerksamkeit, in den vergangenen Jahren gewannen sie aber durch das Aufkommen der AfD wieder an Bedeutung. „Burschenschaften waren nie verschwunden, wurden von der Öffentlichkeit aber belächelt als Saufbrüder“, sagt Rechtsextremismusexperte Quent. „Tatsächlich haben sie aber eine hohe Bedeutung für die Ausbildung von Netzwerken und Kadern.“ Die Deutsche Burschenschaft – in dem Verband sind fast 70 Burschenschaften organisiert – sei über die Jahre stramm nach rechts gerückt und habe Vorfeldarbeit für die AfD geleistet. Heute kämen viele Mitarbeiter der AfD, zum Teil auch Abgeordnete aus rechtskonservativen bis rechtsradikalen Burschenschaften. Der Thüringer AfD-Pressesprecher Torben Braga etwa war früher Sprecher der Deutschen Burschenschaft.

Lange belächelt, haben Burschenschaften heute eine hohe Bedeutung für die Ausbildung von Netzwerken und Kadern.
Lange belächelt, haben Burschenschaften heute eine hohe Bedeutung für die Ausbildung von Netzwerken und Kadern.

© picture alliance / dpa

Wichtige Treffpunkte für junge Rechte sind auch die Bibliothek des Konservatismus in Berlin und die Akademie im Institut für Staatspolitik in Schnellroda, gegründet von Götz Kubitschek – einem der einflussreichsten Ideologen im neurechten Spektrum. Hierher kommen Burschenschafter, Identitäre, aber auch Vertreter der AfD. „Bei diesen Sommer- und Winterakademien werden gezielt Leute angesprochen, um die für parlamentarische und außerparlamentarische Positionen im Rechtsradikalismus aufzubauen“, sagt Quent.

Doch unter Rechten können nicht alle mit diesem Milieu, das sich eher rechtsintellektuell inszeniert, etwas anfangen. Bei jungen Neonazis ist in der Freizeit beispielsweise Kampfsport beliebt. Der Verfassungsschutz warnt in seinem jüngsten Jahresbericht vor einem „Erstarken der rechtsextremen Kampfsportszene“. Seit 2013 kommen Neonazis aus ganz Europa zum „Kampf der Nibelungen“ – es gilt als das wichtigste Turnier in der Szene.

Es gibt noch die alten Codes der klassischen Neonazis. Erkennungszeichen sind heute aber oft subtiler.
Es gibt noch die alten Codes der klassischen Neonazis. Erkennungszeichen sind heute aber oft subtiler.

© Thomas Frey/dpa

Das rechte Comedy-Format hat 14000 Abonnenten

Das Internet dient der rechten Szene zur Radikalisierung ihrer jungen Anhänger. Mittlerweile gibt es auch rechte Influencer wie den 27-jährigen Identitären Alex „Malenki“ Kleine, der in den sozialen Netzwerken subtil rassistische Inhalte verbreitet. Oder die Identitäre Melanie Schmitz, die als Postergirl der neuen Rechten gilt und auf Instagram mit Baseballschläger posiert.

Auch hier steht oft das weitverzweigte neurechte Netzwerk dahinter. Der neurechte Verein EinProzent hat nach eigenen Angaben bislang 380.000 Euro in „patriotische Projekte“ gesteckt und steht etwa hinter dem Kanal „Laut gedacht“ von Kleine und dem rechten Youtuber Philip Thaler. EinProzent unterstützt auch immer wieder Aktionen der Identitären. Das Ziel: den Diskurs in Deutschland nach rechts zu verschieben.

Es gibt mittlerweile sogar ein – zum Teil offen rassistisches – „Comedy“-Format für die rechte Szene, das bislang 14.000 Abonnenten auf Youtube hat. In der ersten Folge laufen zwei junge Männer durch die Essener Innenstadt. Einer setzt sich auf eine Schaukel neben eine junge Frau mit Kopftuch. Er sagt erst: „Ich bin rechts.“ Und dann: „Weißt du, was der Unterschied zwischen Spaß und Deutschland ist?“ Kurze Pause. „Spaß hat seine Grenzen ...“

Beim Gespräch am Alexanderplatz, zeigt Fiß, der deutsche Chef der Identitären, auf seinem Telefon eine im IB-Umfeld entwickelte „Nachrichten-App“, mit der man rechte Youtube-Kanäle und Webseiten abonnieren kann, um auf dem Laufenden zu bleiben. Es ist die Erfindung der absoluten Blase – hier kommen nur Neuigkeiten aus der nationalistischen Szene herein.

Martin Sellner, der österreichische Anführer der Identitären, entwickelte eine App, mit der sich gleichgesinnte „Patrioten“ finden können. „Patriot Peer“ heißt sie. Noch gibt es Probleme damit, sie in den App-Store zu bringen. Doch die Identitären präsentieren schon in Videos, wie das funktionieren soll: Auf dem Smartphone können sich Rechte in einem Radius andere Rechte anzeigen lassen und diese „anpingen“, später chatten oder flirten. Wer länger dabei ist, sammelt Erfahrungspunkte und Level – und kann mehr Gleichgesinnte sehen.

Edyta Kopitzki, die beim Archiv der Jugendkulturen die sozialen Medien durchforstet, beobachtet zudem, dass sich Jugendliche immer mehr aus dem offen zugänglichen Teil des Internets zurückziehen. Kommuniziert werde über Messenger-Apps wie Telegram oder Threema, wo man bestimmten Kanälen beitreten könne. Kontrollieren, was dort geschrieben wird, lässt sich nur schwer. Auch auf der bei Computerspielern beliebten Plattform Discord kommunizieren Rechtsextreme in geschlossenen Gruppen, die zum Teil streng hierarchisch aufgebaut sind. Anwerber kapern zur Rekrutierung die Codes der Gamer-Community.

Der Attentäter von Halle streamte seine Tat live auf der Computerspieler-Plattform Twitch. In der Vergangenheit kündigten einige rechte Attentäter ihre Taten zuvor auch auf der Plattform 8chan an, auf der Nutzer Foren anlegen und anonym Inhalte verbreiten können. Hier tummeln sich aber Menschen aller Altersgruppen.

„Mit ihrer rechten Einstellung schocken“

Für Jugendexpertin Rohmann ist letztendlich auch der Wunsch nach Rebellion ein Grund dafür, dass Jugendliche sich der rechten Szene zuwenden. Es sei heutzutage insgesamt schwierig, sich abzugrenzen von Erwachsenen. Wir sind ganz verständnisvoll für unsere Kids, hören zum Teil dieselbe Musik wie sie, es gibt nicht mehr diesen autoritären Erziehungsstil.“ Früher habe man gegen sein Elternhaus rebellieren können, indem man Punk geworden sei. „Heute können Jugendliche rebellieren, indem sie sich mit ihrer rechten Einstellung schocken.“

Streetworker Rusch beobachtet in Sachsen aber auch, dass die Bereitschaft bei jungen Menschen steigt, ihre radikale Meinung offen zu sagen. „Sie sehen sich durch die Wahlergebnisse ja bestätigt.“

Dieser Artikel erschien zuerst am 6. Oktober im Tagesspiegel. Anlässlich der anstehenden Landtagswahl in Thüringen bringen wir ihn zu diesem Zeitpunkt noch einmal. Den Absatz zu Telegram, Discord und 8chan haben wir nachträglich ergänzt.

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