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Eine medizinische Fachkraft in Jerusalem bereitet eine Impfung vor.

© dpa/ Maya Alleruzzo

Coronavirus-Pandemie in Palästinensergebieten: Die Verteilung der Impfstoffe sorgt für Streit

Die Autonomiebehörde wirft Israel vor, die Palästinenser beim Impfen zu diskriminieren. Israel weist die Anschuldigungen zurück.

Es sind schwere Vorwürfe, die die Palästinenserführung und einige Nichtregierungsorganisationen erheben. Während Israel seine Bevölkerung im Rekordtempo gegen das Coronavirus impfen lässt, vernachlässige es seine rechtlichen und moralischen Pflichten gegenüber den Palästinensern. Israels Regierung weist die Anschuldigungen zurück.

Bis Dienstag hatte Israel laut des Online-Portals Our World in Data der Oxford-Universität über ein Viertel seiner Bevölkerung geimpft, mehr als zwei Millionen Menschen. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in Ramallah erwartet die erste Lieferung des russischen Impfstoffs Sputnik V in dieser Woche, hat Dosen des britischen Herstellers Astrazeneca bestellt und hofft darüber hinaus auf Unterstützung von der Weltgesundheitsorganisation. Zugleich wirft die PA aber Israels Regierung vor, ihre „Pflichten als Besatzungsmacht“ zu ignorieren und „rassenbasierte Diskriminierung gegen das palästinensische Volk“ auszuüben, indem sie „ihm das Recht auf Gesundheitsversorgung verwehrt“.

Rückendeckung erhalten die Palästinenser von einigen Nichtregierungsorganisationen. Amnesty International erklärte, Jerusalem müsse „sofort dafür sorgen, dass Covid-19-Impfstoffe fair und zu gleichen Teilen an die Palästinenser geliefert werden, die im Westjordanland und im Gazastreifen leben“. Israel, so heißt es, verletze seine rechtlichen Verpflichten gemäß der Genfer Konvention, derzufolge eine Besatzungsmacht in Zusammenarbeit mit lokalen Einrichtungen für die Gesundheitsversorgung der lokalen Bevölkerung verantwortlich ist. Dabei hebt die Erklärung „präventive Mittel, die nötig sind, um die Verbreitung ansteckender Krankheiten und Epidemien zu bekämpfen“, gesondert hervor.

"Bedenken" wegen der "ungleichen Verteilung" von Vakzinen

Jetzt meldete sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Wort. Sie habe gegenüber Israel „Bedenken“ angemeldet wegen der „ungleichen Verteilung von Vakzinen oder dem ungleichen Zugang zu Vakzinen“, sagte Gerald Rockenschaub, Leiter des WHO-Büros in den Palästinensischen Gebieten, der Nachrichtenagentur AP. Medien, die Israel nicht sonderlich wohl gesonnen sind, greifen das Thema auf. „Die dunkle Seite der israelischen Impf-Erfolgsgeschichte“, titelte etwa das englischsprachige Portal des katarischen Senders Al Dschasira jüngst. Auch auf sozialen Medien verbreiteten sich die Vorwürfe rasant.

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Doch die Gesetzeslage ist umstritten, wie fast jeder Aspekt des Nahostkonflikts. Israels Regierung verweist auf die Oslo-Verträge, die seit 1993 das Verhältnis zwischen dem jüdischen Staat und der PA regeln. Demnach ist die Autonomiebehörde in den von ihnen kontrollierten Gebieten im Westjordanland für zivile Angelegenheiten verantwortlich, darunter die Gesundheitsversorgung. Aus Gaza wiederum hat sich Jerusalem 2005 zurückgezogen, womit aus Israels Sicht seine Verantwortung für die inneren Angelegenheiten des Territoriums erloschen ist.

"Vorrangige Verantwortung, die Bürger des Staates Israel zu impfen"

Die Genfer Konvention gelte in diesem Fall aus weiteren Gründen nicht, sagt Eugene Kontorovich, Experte für internationales Recht am Kohelet Policy Forum in Jerusalem, einem rechtsgerichteten Think Tank. Die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung der lokalen Bevölkerung liege selbst im Falle einer Besatzung „bei den kompetenten Einrichtungen des besetzten Landes selbst“. Die Tatsache, dass die PA mit ausländischen Pharmaunternehmen verhandle, beweise, dass sie sich sehr wohl selbst um die medizinische Versorgung in ihrem Zuständigkeitsbereich kümmern könne.

Israel arbeite seit Ausbruch der Pandemie „eng“ mit der PA zusammen, sagte Israels Gesundheitsminister Yuli Edelstein jüngst. „Aber unsere erste und vorrangige Verantwortung besteht darin, die Bürger des Staates Israel zu impfen.“

Israels Verteidiger hatten bis vor Kurzem zudem argumentiert, die Autonomiebehörde habe gar nicht um Hilfe gebeten. Die PA hatte ihre Kooperation mit Israel vergangenes Jahr wegen politischer Differenzen eingefroren. Vergangene Woche meldeten lokale Medien jedoch, Israel habe auf Bitte der Palästinenser hin sehr wohl hundert Dosen des Pfizer-Impfstoffs an die PA versandt. Weitere sollen bald folgen. Damit sollen zunächst palästinensische Ärzte und Pfleger versorgt werden. Beide Seiten hatten die Abmachung offenbar geheim gehalten.

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