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Deutschland fürchtet sich vor einem zweiten Lockdown.

© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/ZB

Mehr als 13.000 Neuinfektionen im Nachbarland: Droht Deutschland eine ähnliche Entwicklung wie Frankreich?

Die Zahl der Neuinfizierten steigt in Frankreich dramatisch an. Die Intensivbetten werden regional knapp. Muss sich auch Deutschland darauf gefasst machen?

Rund 8600 freie Intensivbetten meldete das Intensivregister Divi am Freitag, hinzu kommt noch eine Notfallreserve von 12.260 Betten. Die intensivmedizinische Situation in Deutschland ist vergleichsweise gut, dramatischer sieht es schon wieder in Frankreich aus. Dort ist die Infektionslage in den Regionen Marseille, Bordeaux und Paris ernst, im Süden werden auch die Intensivbetten wieder knapp. Droht Deutschland nun mit Verzögerung eine ähnliche Entwicklung?

Was spricht dafür?

Vergleicht man die gemeldeten Infektionszahlen und die Trends, so ist es plausibel, dass Deutschland derzeit nur in einer früheren Phase der gleichen Entwicklung ist. Das war im Frühjahr auch so.

Allerdings gelang es in Deutschland, die Entwicklung so zu beeinflussen, dass eine Überlastung der Versorgungssysteme wie teilweise in Frankreich, Italien und Spanien vermieden werden konnte. Dazu hat wahrscheinlich der landesweite Lockdown maßgeblich beigetragen, indem er die Anzahl der Kontakte und damit der Übertragungsmöglichkeiten drastisch senkte.

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Zu diesem Zeitpunkt standen aber auch weite Teile der Bevölkerung hinter den Maßnahmen und waren aufgrund der dramatischen Meldungen und Bilder aus ebenjenen Ländern bereit – und schon aus Eigeninteresse motiviert –, sich und andere so gut es geht zu schützen.

Derzeit steht ein landesweiter erneuter Lockdown vor allem wegen seiner negativen wirtschaftlichen und sozialen Implikationen nicht zur Debatte. Ob und inwiefern lokale oder regionale Lockdowns in Gebieten mit besonders hohen Neuinfektionszahlen kommen werden und wie durchsetzbar, der Bevölkerung vermittelbar und effektiv sie sein werden, ist weitgehend unklar.

Bezüglich der Bereitschaft der Bevölkerung, sich einzuschränken und konsequent die Wahrscheinlichkeit der Virenübertragung zu senken, ist das Bild gemischt. Die Akzeptanz neuer stark restriktiver Maßnahmen wäre laut Umfragen deutlich geringer als im Frühjahr.

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Ein Faktor, der sich exakt gegenläufig zum Frühjahr entwickelt, ist die witterungsbedingte Möglichkeit, sich im Freien aufzuhalten. Laut Studien sind Infektionen „draußen“ mindestens um einen Faktor 20 unwahrscheinlicher als „drinnen“. Bei kühleren Temperaturen halten sich Menschen aber mehr in Innenräumen auf. Hier ist Deutschland im Vergleich zu Ländern mit milderem Klima sogar im Nachteil.

Der Virologe Christian Drosten sieht vor allem eine Gefahr in der wahrscheinlich deutlich größeren räumlichen Verbreitung des Virus als im Frühjahr. Damit sei es wahrscheinlich, dass sich derzeit, noch unbemerkt, deutlich mehr Infektionscluster infolge von Übertragung innerhalb Deutschlands bilden als zuvor. Diese neue Ausgangslage ist für die weitere Verbreitung des Virus wahrscheinlich vergleichbar mit der Situation in den anderen, derzeit schon stärker betroffenen europäischen Ländern.

Wie stark Kinder zum Infektionsgeschehen beitragen, ist Gegenstand laufender Diskussionen und Untersuchungen. In Deutschland werden sie inzwischen wieder unter Bedingungen unterrichtet, die Ansteckungsmöglichkeiten untereinander nur wenig senken. Das geschieht zudem ohne ein System präventiver Tests, mit denen man sich entwickelnde Cluster früh finden und Eindämmungsmaßnahmen einleiten könnte.

Auch werden Kinder mit Symptomen von Atemwegserkrankungen nicht routinemäßig getestet und dürfen, wenn die Krankheitszeichen nicht stark sind oder sehr deutlich auf Covid-19 hinweisen, auch weiter zur Schule gehen. Dies ist ein deutlicher Unterschied zum Frühjahr, als Schulen vorsorglich geschlossen wurden – mit negativen Folgen für Bildung und die Situation in Familien. Zur Eindämmung der Epidemie könnte dies aber ebenfalls beigetragen haben.

Der Virologe Christian Drosten sieht vor allem eine Gefahr in der wahrscheinlich deutlich größeren räumlichen Verbreitung des Virus.
Der Virologe Christian Drosten sieht vor allem eine Gefahr in der wahrscheinlich deutlich größeren räumlichen Verbreitung des Virus.

© dpa/Christophe Gateau

Was spricht dagegen?

In Deutschland sind viele Vorkehrungen Routine geworden und im Alltag der großen Mehrheit der Bevölkerung integriert: Abstand halten, Hände waschen und Mund-Nase-Bedeckungen tragen. Masken sind auch vom Robert-Koch-Institut, das sie lange als weitgehend wirkungslos bezeichnet hatte, als effektiver Schutz anerkannt. Und sie sind verfügbar.

Auch das Arbeiten im Homeoffice für Personen, die nicht unbedingt am Arbeitsplatz anwesend sein müssen, ist inzwischen etabliert. Inwiefern es bei diesen Faktoren für die weitere Entwicklung in Deutschland relevante Unterschiede zu den Ländern gibt, in denen die Fallzahlen wieder deutlich höher liegen, ist aber nicht quantifiziert. Unter Virologen und Medizinern wird auch die Möglichkeit diskutiert, dass das Maskentragen und möglicherweise auch Social Distancing zur Immunisierung der Bevölkerung beitragen könnten.

Der Überlegung liegen die Annahmen zugrunde, dass die Schutzmaßnahmen die Virenmenge reduzieren könnten, die Personen bei einer Ansteckung aufnehmen, und dass dadurch leichtere Verläufe der Erkrankung begünstigt werden. Diese könnten aber dennoch dazu führen, dass Personen Immunität gegen Sars-CoV-2 aufbauen. Das verringert ihr eigenes Ansteckungsrisiko und die Gefahr, dass sie das Virus weiterverbreiten.

Was kann noch verbessert werden?

Infizierte durch Tests frühzeitig zu erkennen und ihre Kontakte zu Gesunden zu begrenzen, ist weiterhin Kern des Infektionsschutzes. Schnelltests, die in wenigen Minuten ein Ergebnis liefern, könnten bei breitem Einsatz dazu beitragen. Die Verfahren weisen molekulare Spuren des Virus, Antigene, etwa im Speichel nach.

Sie werden aber wegen einer hohen Fehlerrate kritisiert. Sie erkennen Infizierte weniger sicher als die derzeit meist eingesetzten PCR-Tests an Rachenabstrichen. Falsch-negative Ergebnisse von Schnelltests, die „keine Infektion“ besagen, obwohl eine vorliegt, treten aber häufiger bei Personen mit geringer Viruslast auf.

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Antigenbasierte Tests könnten Menschen mit hoher Viruslast zuverlässiger erkennen, „die am wahrscheinlichsten ansteckend sind“, sagte Marion Koopmans, Virologin von der niederländischen Universität Rotterdam, dem Portal nature.com. Bis zum Vorliegen eines weiteren Testergebnisses könnten sie vorsorglich isoliert und mögliche Ansteckungen verhindert werden.

Bislang ist zwar nicht geklärt, bei welcher Viruslast die Grenze zwischen „ansteckend“ und „nicht ansteckend“ verläuft, schnelle und preisgünstige Tests könnten das Arsenal des Infektionsschutzes aber gerade in Zeiten schnell zunehmender Fallzahlen sinnvoll ergänzen.

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