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CSU-Klausurtagung: Ein kalter Hauch von Harmonie

Nach Edmund Stoibers Aus war es leicht geworden für die CDU mit der CSU. Damit soll jetzt Schluss sein. Die kleine Schwester wird wieder krawallig. Ihr neuer Chef Horst Seehofer hat sich schon eine Strauß-Büste ins Büro gestellt.

Von Robert Birnbaum

Es gibt diese Sorte Lob, die der Belobigte, wenn er nur könnte, mit einer Forderung zum Duell beantworten müsste. Am Mittwochabend ist es wieder mal so weit. Es ist saukalt im Wildbad Kreuth, und wenn nicht Fernsehscheinwerfer das historische Fürstenbad in grelles Licht tauchen würden, wäre es obendrein stockduster. Horst Seehofer steht im Schnee und wird auch angestrahlt. Er zieht die Schultern hoch und lässt sie fallen, gymnastische Lockerungsübung gegen die Kälte. Gleich geht an der ZDF-Kamera, vor der der CSU-Chef friert, das rote Licht an. Dann wird er befragt werden zum Konjunkturpaket und zu Steuersenkungen und zu seinem Verhältnis zu Angela Merkel. „Frau Merkel hat hervorragende Werte“, wird Seehofer dann sagen. „Deshalb ist sie mit Abstand unser größtes Pfund.“

Wer nicht so genau hinhört, wird das als Lob verstehen. Aber Angela Merkel bleibt neuerdings gar nichts anderes übrig, als bei Horst Seehofer genauer hinzuhören. Spätestens das „deshalb“ wird ihr an dem Satz nicht richtig gut gefallen. Mal ganz abgesehen davon, dass es im Moment sowieso eine recht zwiespältige Ehre für die CDU-Vorsitzende ist, wenn der CSU-Vorsitzende sie gut findet. Seehofer hat leicht loben. Er hat gerade eine kleine Schlacht gewonnen. Und wie bei jedem Sieg gibt es Verlierer.

Man hört übrigens relativ wenig Triumphgeschrei im Tegernseer Tal. Für christsoziale Verhältnisse sogar sehr wenig. Sicher, Seehofer hat den CSU-Bundestagsabgeordneten in der Traditionsklausur der Landesgruppe noch mal zur allgemeinen Befriedigung erläutert, wie er Merkel dazu gebracht hat, ins nächste Konjunkturpaket ein Päckchen Steuersenkung hineinzupacken. Gewiss, er hat hinter verschlossenen Türen angemerkt, dass es für Deutschland immer schon gut gewesen sei, wenn man auf die CSU höre. Und klar, er hat angekündigt, dass er die große Schwester CDU weiter zu triezen gedenkt: Die CSU werde nicht „mit der Strömung schwimmen, sondern selbst Strömung machen“.

Aber im Rahmen der historischen Kreuther Verhältnisse sind das doch eher moderate Töne. Ganz früher hat hier bekanntlich einmal Franz Josef Strauß der CDU die Unionsgeschwisterschaft aufkündigen wollen. Ende vorigen Jahres hat Seehofer der CDU und ihrer Vorsitzenden noch bescheinigt, sehenden Auges einen schweren Fehler zu begehen, weil sie Steuersenkungen frühestens nach der nächsten Wahl versprechen wollten. Vor ein paar Wochen stand immerhin noch die Drohung im Raum, die CSU werde sich mit einem eigenen Bundestagswahlprogramm von der großen Schwester emanzipieren. Und jetzt?

„Wir haben ein programmatisches Papier vorgelegt“, sagt am Donnerstag der Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Nun könnte man dies für die leicht kuriosen und für den weiteren Lauf der Welt eher unbedeutenden Schaukämpfe zweier politischer Vereine halten. Aber das würde die Tragweite dessen unterschätzen, was sich zwischen CDU und CSU abspielt. Da beginnen sich Kräfte neu zu sortieren. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Da beginnt ein Konkurrenzverhältnis neu, das mancher in der CDU voreilig für erledigt gehalten hatte. „Jetzt geht das schon wieder los!“, hat einer aus der CDU-Spitze gestöhnt. Seit Edmund Stoiber sich politisch selbst umgebracht hat, haben es die CDU und ihre Kanzlerin bequem gehabt mit der kleinen Schwester. Jetzt wird es wieder schwer.

Das hat zunächst mal gar nichts mit den handelnden Personen zu tun, sondern mit der Lage insbesondere der CSU. Die hat einer aus der zweiten Reihe der CDU, der die bayerische Schwester sehr gut kennt, vor Kurzem auf die Formel gebracht: „Die CSU, die oszilliert derzeit zwischen bundesweiter Ausdehnung und Selbstauflösung hin und her.“ Da ist einiges dran. Die Wahlniederlage sitzt tief, zumal sich immer klarer zeigt: Das war keine bloße Panne. Der Wahlforscher Matthias Jung hat der Landesgruppe am Mittwochabend noch einmal mit Zahlen vorgeführt, dass sich die CSU seit Langem im Sinkflug befindet. Die Krankheit, die alle Volksparteien befallen hat, ist an Bayern eben nicht vorbeigegangen. Bei Gebildeten, Bauern, jungen Frauen ist die einstige Staatspartei massiv eingebrochen; selbst Kirchgänger wählen nicht mehr automatisch CSU.

Noch tiefer beeindruckt die Christsozialen, dass ihre Wähler über das Ende der Alleinregierung nicht im Mindesten so erschüttert sind wie die Parteifunktionäre. 90 Prozent selbst der CSU-Wähler finden es bis heute prima, dass in München nun eine schwarz-gelbe Koalition regiert. Daraus hat Seehofer übrigens für sich einen folgenschweren Schluss gezogen: Als Ministerpräsident in Bayern muss er ruhig regieren, Konflikte vermeiden und vergessen machen, dass es einen Koalitionspartner FDP gibt. Mit den Muskeln spielen kann er nur im fernen Berlin.

Nicht verheilt sind aber auch die Wunden, die der Machtwechsel nach der Wahl in der CSU zwischen den Regionen geschlagen hat. „Wir müssen hier immer noch viele verletzte Seelen behandeln“, sagt ein Abgeordneter aus Franken, wo sie dem Ex-Ministerpräsidenten Günther Beckstein nachtrauern. Seehofer hat das neulich erlebt, als er Monika Hohlmeier von der Münchnerin zur Oberfränkin umwidmen ließ und sich anschickte, die Strauß-Tochter als Spitzenkandidatin für die Europawahl zu installieren. Die CSU hat viele der Personalentscheidungen des Neuen relativ lautlos hingenommen, selbst die praktisch komplette Ersetzung der alten Garde im Kabinett durch Junge. Aber die Causa Hohlmeier ging zu weit.

Seehofer rechtfertigt das Manöver inzwischen intern als gelungene PR-Veranstaltung – jetzt wisse endgültig jeder Bayer, dass im Frühsommer die Europawahl anstehe – und erklärt es öffentlich zur „puren Selbstverständlichkeit“, dass er nie und nimmer vorgehabt habe, den Europa-Gruppenchef Markus Ferber zu entmachten. Wenn Horst Seehofer allerdings von etwas sagt, dass es eine Selbstverständlichkeit sei, gar eine pure, dann kann man praktisch sicher sein: Genau das ist es vorher nicht gewesen. Dass der CSU-Chef nach langem Zögern jetzt flugs in Kreuth den Landesgruppenchef Ramsauer zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl ausrief, deuten etliche Abgeordnete denn auch als Beleg dafür, dass der Parteichef sich nicht noch eine waghalsige Personalentscheidung gegen die formale Hackordnung zutraute.

So ungefähr also ist die Lage in Bayern: Noch recht labil. Die jüngsten Umfragen lassen rasche Besserung nicht erhoffen: 45 Prozent lautet die letzte Zahl für die CSU, kaum mehr als bei der Katastrophenwahl vor einem Vierteljahr, 48 bei einer Bundestagswahl. „Ein leichter Fortschritt“, sagt Seehofer dazu, „aber kein Grund zur Selbstzufriedenheit.“

Doch es gibt eine andere Zahl bei den Umfrageforschern, die freut Seehofers Truppen geradezu diebisch. Auf die Frage, ob die CSU sich in Berlin durchsetzen könne, verzeichnen die Demoskopen im Vergleich zur Vor-Seehoferzeit bei den CSU-Anhängern ein Plus von 30 Prozent. Mit anderen Worten: Die Methode Horst wirkt. Sie wirkt sogar besser, als die Methode Edmund es lange tat. Stoiber sei ja auf seine Weise gut gewesen, sagt ein CSU-Spitzenfunktionär. „Aber Seehofer ist eine andere Klasse.“ Listiger, ironischer, zappelfrei – und ein sehr präziser Kenner der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin. Stoiber war Merkel immer unterlegen, sobald beide alleine in einem Raum saßen. Seehofer nicht. An taktisch-psychologischer Statur sind sich da zweie ebenbürtig. Als Rollenmodell ist der Drängende aus Bayern für die Moderatorin in Berlin sogar eine Gefahr. Parteien neigen zu Masochismus. Es gibt auch in der CDU diese große Sehnsucht danach, kraftvoll geführt zu werden.

Merkel wird das zu spüren bekommen. „Wir werden natürlich so weitermachen“, sagt einer aus der CSU-Führung. In Bayern friedlich und sachlich, dafür in Berlin frech und krawallig – das uralte, von Franz Josef Strauß überlieferte Muster wird neu belebt. Seehofer hat sich ins Büro schon eine Strauß-Büste gestellt. Auch die Themen sind absehbar. Das erste hat Seehofer in Kreuth schon angespielt: Die CSU wird heftig auf eine Koalition mit der FDP drängen – und damit indirekt alles dafür tun, Merkel den Weg zu einer zweiten großen Koalition zu versperren. Die CSU wird weiter „Steuersenkung“ rufen. Und Seehofer, sagt ein Abgeordneter voraus, wird sicher noch viel mehr einfallen.

Dass der gleiche Horst Seehofer zwischendurch mit eben der gleichen Überzeugungsmacht die Einheit der Union beschwören wird, ist für Merkel kein Trost. Man wird das Schauspiel am Samstag beobachten können, wenn der CSU-Chef als Gast zur CDU-Vorstandsklausur nach Erfurt kommt.

Da werden dann auch die Verlierer des kleinen Steuergefechts sitzen, Günther Oettinger, Roland Koch, Christian Wulff. Die haben der Chefin lange dabei geholfen, dem Drängen aus München zu widerstehen – nur um dann zu erleben, wie Merkel nachgab. Zornige Verlierer, um so zorniger, als sie sich nicht lautstark ärgern dürfen, weil sonst ihre Niederlage bloß noch deutlicher auffällt als ohnehin schon. Aber das ist ja überhaupt das Problem der großen Schwester mit der kleinen. In diesem ganzen Jahr braucht die CDU die CSU viel mehr als umgekehrt. Es ist nicht nur so eine Redensart, sondern schlichte Wahlarithmetik, dass es ohne starke CSU keine starke Kanzlerin Merkel gibt. Und Merkel muss dieses Jahr um jeden Preis eine Wahl gewinnen. Seehofer nicht. Dem genügt es, wenn die CSU die Europawahl besteht und bei der Bundestagswahl ordentlich abschneidet. „Die 43,4 Prozent bei der Landtagswahl sind da ganz nützlich“, sagt ein Gefolgsmann des CSU-Chefs. „Wir brauchen gar nicht so viel mehr, damit es nach Fortschritt aussieht.“

Danach hat Seehofer dann viel Zeit. Bis 2013. Erst dann wird in Bayern der Landtag neu gewählt. Der Bundestag übrigens auch. Das sind so Perspektiven, die ein bisschen erahnen lassen, weshalb Horst Seehofer derart gelassen frech ist.

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