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Flüchtlinge im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

© Manolis Lagoutaris/AFP

Exklusiv

Elendscamp Moria auf Lesbos: Berlin will 300 Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen

Seit Wochen wird über die Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Elendscamps gestritten. Nun macht Innensenator Geisel einen Vorschlag.

Von Matthias Meisner

Nach monatelangem Gezerre werden die Pläne für die Aufnahme von Geflüchteten aus den Elendscamps auf den griechischen Inseln in der Hauptstadt konkret. Nach Informationen des Tagesspiegels plant der rot-rot-grüne Berliner Senat, bis Juni kommenden Jahres im Einvernehmen mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) insgesamt 300 Asylsuchende in der Hauptstadt aufzunehmen. Das geht aus dem von Innensenator Andreas Geisel (SPD) verfassten Entwurf für eine entsprechende Landesaufnahmeanordnung hervor.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).

© Britta Pedersen/dpa

Begründet wird der Plan mit den „desolaten humanitären Bedingungen“ vor allem im Lager Moria auf Lesbos. Es war einst für 3000 Personen ausgelegt, inzwischen hausen dort mehr als 20.000 Menschen. Europaweite Initiativen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus den Camps auf den ostägäischen Inseln führten trotz oder auch wegen der Coronakrise nur äußerst schleppend zu Resultaten. In Deutschland kamen bisher nur 47 Flüchtlingskinder an, acht von ihnen wurden im Mai in Berlin aufgenommen.

Um das Thema Landesaufnahmeanordnung gab es zwischen SPD, Grünen und Linken heftige Diskussionen. Innerhalb der SPD machten Genossen Druck auf Innensenator Geisel. Ende März hatte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Tagesspiegel-Interview angekündigt, er wolle bis zu 1500 Geflüchtete von den griechischen Inseln in Berlin aufnehmen, eine „humanitäre Verpflichtung“, wie er damals sagte.

In dem jetzt von Geisel vorgelegten Entwurf für die Landesaufnahmeanordnung heißt es, die Situation im Camp Moria habe sich nicht zuletzt durch die Ausbreitung des Coronavirus weiter zugespitzt. Ein eigenes Aufnahmeprogramm im Einvernehmen mit den Bundesinnenministerium sei „dringend geboten“.

Aufgenommen werden sollen unter anderem unbegleitete Kinder

Die Auswahl der Begünstigen sollen den Plänen zufolge bis Ende Juli die von der SPD-Politikerin Sandra Scheeres geführte Senatsverwaltung für Bildung sowie die von Elke Breitenbach (Linke) geleitete Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vornehmen. Einbezogen werden sollen UNHCR, griechische Behörden und Ärzte vor Ort.

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Als Begünstigte benannt werden unbegleitete Minderjährige unter 16 Jahren, Schwangere, alleinerziehende Mütter oder Väter mit Kindern im Alter bis zu zwölf Jahren, insbesondere ältere Personen aus Corona-Risikogruppen, religiöse Minderheiten und Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden, ebenso Traumatisierte oder Schwerkranke.

Ob die Landesaufnahmeanordnung so an diesem Dienstag den Senat passiert, ist offen. Nichtregierungsorganisationen haben Anmerkungen verfasst, über die noch nicht entschieden wurde. So schreiben sie, dass die Zahl von 300 freien Unterbringungsplätzen in kurzer Zeit verdoppelt werden könne. Perspektivisch sei eine Unterbringung Geflüchteter in tausenden von landeseigenen Wohnungen denkbar. Das Alter für die begünstigten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wollen die Organisationen von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt wissen. Den Auswahlzeitraum bis Ende Juli halten sie für zu eng gefasst.

Innenministerium spricht Ländern Kompetenzen ab

Die Landesaufnahmeprogramme, die neben Berlin unter anderem auch in Thüringen diskutiert werden, sind nicht unumstritten. Das Bundesinnenministerium ist der Auffassung, dass die Bundesländer nicht allein entscheiden können. Es gebe „spezielle Kompetenzregelungen des Grundgesetzes“, die für die Annahme einer Zuständigkeit der Länder „keinen Raum lassen“, heißt es in einem Vermerk dazu, der dem Tagesspiegel vorliegt.

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Für Landesaufnahmeprogramme für Geflüchtete auf den griechischen Inseln machten sich am Montag die Spitzen von Parteivorstand und Bundestagsfraktion der Linken in einem gemeinsamen Papier stark. Die Hotspots auf den Inseln in der Ostägäis seien „Ausdruck der humanitären Katastrophe“, heißt es in dem Appell. Getragen wird das Linken-Papier zur Flüchtlingspolitik unter der Überschrift „Solidarität heißt: niemanden vergessen“ auch von der Europafraktion und den Landtagsfraktionen.

Linke: Moria ist zum Symbol unmenschlicher Politik geworden

Mit Blick auf die Lage in den Camps auf den griechischen Inseln heißt es in dem Papier, 40.000 Menschen würden dort unter schlimmsten Bedingungen in hoffnungslos überfüllten Lagern leben. Ein Drittel dieser Menschen seien Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Und: „Moria auf Lesbos ist zum Symbol unmenschlicher Politik gegenüber Geflüchteten geworden.“

Linken-Parteichefs Bernd Riexinger, Katja Kipping.
Linken-Parteichefs Bernd Riexinger, Katja Kipping.

© Annegret Hilse/Reuters

Weiter erklärt die Linkspartei: „Wenn Bundesländer ein sicherer Hafen sein wollen, dürfen ihnen dazu keine Steine in den Weg gelegt werden. Kommunen und Landkreisen die sich zum „sicheren Hafen“ erklärt haben, sind von Bund und Ländern unbürokratische und zusätzliche finanzielle Hilfen dafür zu gewähren.“

Unabhängig von den Landesaufnahmeprogrammen fordert die Linke die Auflösung der Hotspots in Griechenland bis Ende 2020. Unverzüglich sollen aus ihrer Sicht alle unbegleiteten Kinder, Familien und besonders von Covid-19-Gefährdete wie Alte und Kranke aufgenommen werden.

Linken-Chefin Katja Kipping sagte dem Tagesspiegel: „Die griechischen Hotspots sind schlicht nicht in Einklang zu bringen mit den Werten und selbst gesetzlichen Regelungen, für die die Europäische Union stehen will.“ Mit der deutschen Ratspräsidentschaft gehe deshalb eine Verpflichtung einher, diese Lager endlich zu schließen. Das Papier soll laut Kipping demnach aufzeigen, wie Deutschland einen schnellen Beitrag dazu leisten kann.

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