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Die chinesische Flagge vor der Botschaft in Berlin

© imago images/Stefan Zeitz

Exklusiv

„Erfahrungsaustausch“ mit einer Diktatur: Bundespolizei kooperiert mit Chinas Sicherheitskräften

China verfolgt auch in Deutschland seine Gegner. Doch die Polizei arbeitet nach Tagesspiegel-Recherchen ausgerechnet mit den Behörden zusammen, die für Chinas Polizeistationen in Europa verantwortlich sind. 

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Millionen Fans feierten ein Fest, doch für die Polizei war es ein Ausnahmeereignis: Bei der Fußball-EM im vergangenen Sommer mussten sich die deutschen Gastgeber auf verschiedene mögliche Bedrohungen einstellen – von der Gewalt durch Hooligans über Cyberangriffe und Sabotage bis zu Terroranschlägen. In den Stadien und rundum waren außergewöhnlich viele Polizisten im Einsatz.

Wie die Deutschen ein solches Großereignis absichern, interessierte offensichtlich auch Chinas Behörden: Ende Juni 2024, also während des Achtelfinales, waren nach Tagesspiegel-Informationen chinesische Polizeibeamte als Beobachter bei der Fußball-EM – auf Einladung der Bundespolizei. Ziel war ein „Informations- und Erfahrungsaustausch“ über den Umgang mit internationalen Großveranstaltungen.

Der Besuch war Teil einer regelmäßigen Kooperation zwischen der Bundespolizei und chinesischen Sicherheitsbehörden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hervor.

Demnach gab es in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 35 „Kooperationsvorhaben“ zwischen der Bundespolizei und chinesischen Polizeibehörden. Nach einer coronabedingten Pause wurde die Zusammenarbeit 2023 wieder aufgenommen.

Inhaltlich ging es beispielsweise mehrfach um einen „gegenseitige(n) Austausch über lokalspezifische Phänomene im Bereich der Grenzkontrollen, der Urkundenkriminalität sowie der Prävention und Bekämpfung irregulärer Migration“.

Partner der Bundespolizei auf chinesischer Seite waren bei diesen Begegnungen die so genannten Büros für öffentliche Sicherheit - regionale Einheiten, die dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit unterstellt sind.

Chinesische Sicherheitskräfte trainieren auf dem Gelände des Büros für öffentliche Sicherheit in der Stadt Zhangye.

© IMAGO/CFOTO

Die Bundespolizei arbeitet damit ausgerechnet mit den Sicherheitsbehörden zusammen, die auch für die sogenannten Übersee-Polizeistationen verantwortlich sind. Diese sollen offiziell Chinesen im Ausland bei der Verlängerung ihrer Papiere unterstützen, dienen jedoch auch dazu, außerhalb Chinas lebende Dissidenten zu kontrollieren und einzuschüchtern. Es handelt sich um mobile Büros, die beispielsweise von einem Restaurant aus betrieben werden können.

Solche Übersee-Polizeistationen des chinesischen Staates sollen in mehr als 50 Ländern gegründet worden sein, zwei davon auch in Deutschland. Die Bundesregierung verlangte, die Stationen zu schließen, China sagte dies zu.

Doch ob das wirklich geschehen ist, kann die Bundesregierung nicht mit Sicherheit sagen. Es gebe „keine Belege“ dafür, dass die Übersee-Polizeistationen „in dieser Form weiterhin in Deutschland aktiv sind“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung.

Die Büros für öffentliche Sicherheit sind in jeder Hinsicht problematische Partner.

Mareike Ohlberg, China-Expertin, German Marshall Fund

Betrieben wurden – oder werden – die Polizeistationen von regionalen Büros für öffentliche Sicherheit in China.

Diese seien „in jeder Hinsicht problematische Partner“, sagt Mareike Ohlberg, China-Expertin beim German Marshall Fund. „Sie sind in extreme Menschenrechtsverstöße verwickelt.“ Die Büros für öffentliche Sicherheit seien beispielsweise für die Massenüberwachung zuständig, bei der unter anderem mithilfe von Kameras und Gesichtserkennung anlasslos Uiguren und Tibeter aus der Menge herausgefiltert würden.

Austausch mit der Polizei von Hongkong

Im September 2023 traf sich die Bundespolizei „auf Leitungsebene“ zum Austausch mit der Polizei in Hongkong. Diese Sicherheitskräfte waren zuvor vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie mit aller Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorgingen.

Die Polizei in Hongkong schlug immer wieder gewaltsam friedliche Proteste nieder (hier ein Foto aus dem Jahr 2020).

© imago images/ZUMA Wire/Willie Siawillie Siau

Zwei Monate vor dem Spitzentreffen mit der Bundespolizei schrieb die Polizei in Hongkong acht im Ausland lebende Demokratieaktivisten, darunter Nathan Law, zur Fahndung aus und versprach hohe Belohnungen für Informationen, die zu ihrer Festnahme führen würden.

Die Bundespolizei ließ eine Anfrage des Tagesspiegels zu den genauen Inhalten, Abläufen und Orten der Kooperationsveranstaltungen bis Montagabend unbeantwortet.

Chinesische Militärs spähten die Bundeswehr aus – bei einem Ausbildungsprojekt

Auch die Bundeswehr pflegt bereits seit Jahren eine Kooperation mit China. Die Antworten auf entsprechende parlamentarische Fragen stufte die Bundesregierung nun als Verschlusssache ein. Eine offene Beantwortung würde „sensitive Detailinformationen über die Zusammenarbeit mit den Streitkräften der Volksrepublik China einem nicht eingrenzbaren Personenkreis zugänglich machen“. Ein Grundsatz bilateraler militärischer Kooperation sei, dass Informationen über bilaterale Zusammenarbeit nicht offengelegt würden.

Doch zumindest ein Teil der Kooperation musste nach Tagesspiegel-Recherchen wegen massiver chinesischer Spionageaktivitäten eingestellt werden. Die gemeinsamen Vorhaben mit der Bundeswehr seien für Chinas Nachrichtendienste von besonderer Bedeutung, berichtete der Militärische Abschirmdienst vor zwei Jahren. „Im Rahmen (der) Ausbildungshilfe, die zum Teil mehrere Monate lang dauert, nutzen chinesische Teilnehmer den Zugang zu Dienststellen und Personal der Bundeswehr intensiv zur Informationsbeschaffung.“

Aus dieser Erkenntnis zog das Bundesverteidigungsministerium die Konsequenz, die militärische Ausbildungshilfe für China 2023 auszusetzen und „die Zahl gemeinsamer Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen mit der Bundeswehr“ stark zu reduzieren. „Ziel ist es, der Infiltration durch chinesische Nachrichtendienste entgegenzuwirken“, betonte der Militärische Abschirmdienst. Allerdings sei das Interesse an militärischen Kooperationen auf chinesischer Seite „weiterhin hoch“.

„Dialogformate“ mit Chinas Streitkräften

Mittlerweile gibt es in Deutschland keine Aus- und Weiterbildungen von Angehörigen der chinesischen Armee mehr. Ganz eingestellt wurde die Zusammenarbeit allerdings auch nicht. „Mit den chinesischen Streitkräften werden verschiedene Dialogformate auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt“, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums.

Dies folge den Vorgaben der China-Strategie der Bundesregierung von 2023. Demnach solle der Austausch zwischen den Verteidigungsministerien und den Streitkräften fortgesetzt werden, um „gegenseitiges Verständnis und Transparenz zu fördern sowie Missverständnisse und Fehleinschätzungen“ zu vermeiden.

Im Bundestag gibt es nun Forderungen, bei der Zusammenarbeit mit China künftig genauer hinzusehen. „Gerade weil wir das Ausmaß transnationaler Repression durch China kennen, sollten wir genau prüfen, wie die Bundespolizei und die Bundeswehr mit chinesischen Sicherheitsbehörden kooperieren“, sagte die FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen dem Tagesspiegel. „Wir müssen uns bewusst sein, dass alle Informationen und Fertigkeiten, die wir mit den Chinesen teilen, umfassend genutzt werden – im Zweifel auch gegen uns.“

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