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Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments

© Imago/Thilo Schmülgen

EU-Parlamentspräsident über Alexis Tsipras: "Ich verstehe die Griechen"

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz im Gespräch über den Konflikt um die Ukraine, Gemeinsamkeiten mit Alexis Tsipras – und die Zukunft Griechenlands

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Herr Schulz, Russland unterstützt die Separatisten in der Ukraine mit Waffen, in Amerika wird über Waffenlieferungen in die Ukraine diskutiert. Droht im Osten Europas ein Krieg der Supermächte?
Das glaube ich nicht. Ich habe den Eindruck, dass der Meinungsbildungsprozess in den Vereinigten Staaten über die Lieferung von militärischer Ausrüstung oder Waffen noch nicht abgeschlossen ist. Was wir jetzt brauchen, das sind nicht militärische, sondern diplomatische Lösungen.

Welche Rolle spielt Europa in diesem Konflikt?

Es geht jetzt darum Wege zu finden, die den Konflikt entschärfen können. Europas Rolle dabei ist die einer vermittelnden Macht. Die Ukraine ist unser Partner, Russland unser Nachbar. Auf dieser Ebene gegenseitigen Verständnisses muss Europa jetzt seinen Einfluss geltend machen.

Den Europäern wird vorgeworfen, die russischen Interessen zu lange gering geschätzt und damit den Konflikt erst heraufbeschworen zu haben. Ist der Westen mitschuldig?

Diese Schuldzuweisung ist nicht gerechtfertigt. Russland ist ein permanentes Veto-berechtigtes Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Aufgabe dieses Organs ist es, internationales Recht zu schützen und nicht zu brechen. Die einseitige Annektierung der Halbinsel Krim war der Bruch des internationalen Völkerrechts, denn es war die Einverleibung eines Teils eines souveränen Staates. Andererseits behauptet die russische Regierung, dass sie vom Westen nicht verstanden wird. Am Ende bleibt, dass die russische Regierung bei der Lösung internationaler Konflikte gebraucht wird. Etwa in Syrien oder bei den Atomabrüstungsverhandlungen mit dem Iran sind wir auf eine Kooperation angewiesen. Deshalb bleibt uns trotz des verurteilenswerten Verhaltens der russischen Regierung keine andere Wahl, als den Dialog mit Russland zu suchen.

Die Annexion der Krim ist vom Westen als völkerrechtswidrig gegeißelt worden. Hat Europa diesen Schritt des russischen Präsidenten nun akzeptiert?

Ganz sicher sind auf der Krim vollendete Tatsachen geschaffen worden, die man zur Kenntnis nehmen muss. Aber man muss das nicht richtig finden. Ich bleibe dabei: Das war ein Bruch des Völkerrechts, der die Sanktionen des Westens gegen Russland ausgelöst hat.

Wie erfolgreich kann die aktuelle Friedensmission von Angela Merkel und François Hollande sein?
Zunächst einmal finde ich es vorbildlich, dass die Regierungschefs der beiden größten Länder Europas gemeinsam den Weg des Dialogs suchen. Ich unterstütze die Initiativen von Angela Merkel und François Hollande in diesem Konflikt sehr. Denn Deutschland und Frankreich haben gemeinsam eine besondere Verantwortung für Europa.

Der zweite Krisenherd in Europa liegt in Griechenland. Was steht auf dem Spiel?
Ich glaube, dass die neue Regierung in Athen akzeptieren muss, dass ein Regierungswechsel nicht bedeutet, dass ein Land aus all seinen bisherigen Verpflichtungen ausscheiden kann. Die Verträge sind im griechischen Parlament beschlossen worden. Im Gegenzug zu den Hilfszahlungen sollten Reformen umgesetzt werden. Das ist die Grundlage der Verhandlungen, daran bleibt auch die neue Regierung gebunden. Wenn die Griechen zu ihren Zusagen stehen, dann stehen die Geldgeber zu ihren Finanzzusagen. Steigt eine Seite aus, steigt auch die andere aus. Das ist genau das, was Griechenland gerade nicht brauchen kann. Deshalb tun wir ja alle, was wir können, um zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.

Seit zwei Wochen führt der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras Gespräche mit den Geldgebern. Auch Sie haben ihn getroffen. Welchen Eindruck hinterlässt er?
Alexis Tsipras ist ein vernünftiger Mann, mit dem man reden kann. Er hat viele politische Überzeugungen, die ich teile. Er hat auch politische Überzeugungen, die ich überhaupt nicht teile. Ich denke aber, er muss nun von der Rolle des Wahlkämpfers, der sein Parteiprogramm um jeden Preis umsetzen will, in die Rolle des griechischen Ministerpräsidenten wechseln. Und genau auf dem Weg befindet sich die griechische Regierung jetzt. Tsipras’ Reise durch viele Hauptstädte in Europa zeigt, dass er Kooperation und Kompromiss will, nicht Konfrontation.

"Die kleinen Leute haben den Preis für die Krise bezahlt"

Trauen Sie ihm die Lösung dieses Konfliktes zu?
Ich hoffe einfach, dass die Regierung in Athen in der Lage ist, zu erkennen, dass es viel guten Willen in Europa gibt, Griechenland zu helfen. Es wird anerkannt, dass die kleinen Leute den Preis für die Krise gezahlt haben. Und wenn die Regierung sagt, wir wollen die Milliardäre angemessen besteuern und die Steuerflüchtlinge fassen, also endlich die Einnahmeseite des Staates stärken, dann hat sie ganz Europa hinter sich. Ich fände es gut, wenn sie darauf ihren Schwerpunkt legen und keine ideologiebeladenen Debatten führen würden. Das hilft keinem.

Warum haben Sie erst mit dieser Regierung „Tacheles“ geredet und nicht schon mit der vorherigen?
Ich habe mir in diesem Punkt nichts vorzuwerfen, ich habe mit allen vorherigen Regierungen ebenfalls Klartext gesprochen. Ich war der erste europäische Repräsentant, der in dieser Krise nach Athen gereist ist, und ich habe eine Rede vor dem Parlament gehalten, das war 2012. Ich habe massiv in Deutschland für das zweite Griechenlandpaket geworben, und ich habe mir mit Forderungen nach einer effizienteren Verwaltung auch in Athen nicht nur Freunde gemacht.

Die Griechen fühlten sich durch die Troika in ihrem Land bevormundet. War der Einsatz des Gremiums ein Fehler?
Das europäische Parlament hat sich mit großer Mehrheit kritisch zum Konstrukt der Troika geäußert. Wir sagen: Die Troika braucht eine größere demokratische Legitimierung in dem, was sie tut. Ihr Vorgehen muss transparenter und vom europäischen Parlament abgesegnet werden. Viele der Maßnahmen waren unvermeidbar, aber natürlich wurden auch Fehler gemacht. Man muss der Fairness halber aber auch sagen, dass die griechische Regierung allen Troikamaßnahmen zugestimmt hat – um hinterher dann oft zu sagen: Das waren wir nicht, das war die Troika.

Welche Alternativen gibt es zur Troika?
Die Regierungen müssen sich die Vereinbarungen, die sie mit den EU-Partnern treffen, stärker zu eigen machen. Die Überprüfung, ob die vereinbarten Reformen auch umgesetzt werden, die kann auch in anderer Form erfolgen. Die Landesregierung kann das selbst leisten und die Ergebnisse an die EU-Partner und den Internationalen Währungsfonds melden. Jetzt geht es aber erst mal darum, dass die Verträge erfüllt und die Hilfsleistungen gezahlt werden.

Athen hat angekündigt, ein eigenes Reformkonzept vorzulegen. Was erwarten Sie davon?
Die höheren Einnahmen durch Steuern für Reiche und der Abbau der sozialen Ungleichheit sind die eine Seite. Das unterstütze ich. Gleichzeitig muss die Regierung aber auch alles tun, um Investoren ins Land zu holen. Effiziente Staatsverwaltung, kurze Behördenwege. Die Rücknahme der Privatisierungsvorhaben finde ich falsch. Das verschreckt Investoren, die hunderte Millionen Euro ins Land investieren wollen. Auch von dem 315-Milliarden-Programm, das wir gerade hier in Brüssel beraten, könnte eine größere Summe in Solar- und Windenergie in Griechenland investiert werden, in die Transportnetze, in die Tourismusindustrie, in den Fährverkehr und so weiter. All dies kann kurzfristig passieren, und mein Rat an die Regierung wäre, dort anzusetzen.

Die griechische Regierung hat bei ihrer Europatour um eine Brückenfinanzierung bis Ende Mai gebeten, um eigene Reformen zu entwickeln.
Die würde es automatisch geben, wenn das Hilfsprogramm verlängert würde. Die griechische Regierung sitzt in gewisser Weise in der Falle. Sie haben im Wahlkampf Dinge versprochen, die sie kurzfristig umsetzen wollen, aber nicht können, weil sie erst mal das Programm stoppen wollen. Aus dieser Falle müssen sie rauskommen. Dazu hat die griechische Regierung Vorschläge unterbreitet, die muss man sich jetzt mal anschauen.

Sind die radikalen Lösungen wie Schuldenschnitt oder Griechenlands Euro-Austritt damit vom Tisch?
Ich bin nicht sicher, aber hoffnungsvoll, dass alle Parteien den gemeinsamen Weg fortsetzen werden. Ich verstehe, wenn die Griechen sagen: Wir wollen keine weiteren Rentenkürzungen, keine weiteren Gehaltskürzungen, wir wollen die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. Man sollte mehr soziale Gerechtigkeit in Griechenland schaffen. Warum man dafür aber mit internationalen Verträgen brechen sollte, die auch viel Positives gebracht haben, das verstehe ich nicht.

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