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Neuer Kanzler, alter Verteidigungsminister – Friedrich Merz (r.) und Boris Pistorius bestimmen nun die deutsche Sicherheitspolitik.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Europa, Sicherheitsrat, Wehrdienst: Pistorius und Merz kennen die Probleme – doch sie handeln zu langsam

Die neue Bundesregierung treibt die Zeitenwende voran. Wirklich konsequent hat sie bisher aber nur bei der Verfassungsänderung für die Verteidigungsausgaben gehandelt.

Christopher Ziedler
Ein Kommentar von Christopher Ziedler

Stand:

Symbolische Bilder und Begebenheiten wird es an diesem Mittwoch, der ganz im Zeichen der neuen deutschen Sicherheitspolitik steht, im Überfluss geben.

Das Bundeskabinett tagt im Verteidigungsministerium – erstmals seit gut 30 Jahren. Der Nato-Oberbefehlshaber wird anwesend sein und den Ministerinnen und Ministern den europäischen Ernst der Lage schildern. Anschließend heben sie ein neues Wehrdienst-Modell und den Nationalen Sicherheitsrat aus der Taufe.

Damit nicht genug der zur Schau gestellten Stärke: Verteidigungsminister Boris Pistorius weiht im Anschluss im heimischen Niedersachsen eine neue Rheinmetall-Munitionsfabrik ein. Kanzler Merz reist mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Polens Premier Donald Tusk nach Moldau, um im Nachbarland der von Russland angegriffenen Ukraine den Unabhängigkeitstag zu feiern.

Das mag man als Kitsch abtun. Es braucht aber gerade jetzt auch solche Gesten in einem Europa, das zwischen imperialistischem Interesse Moskaus und isolationistischem Desinteresse der alten Verbündeten in Washington zerrieben zu werden droht. Nur ein gut gepflegtes Gemeinschaftsgefühl stärkt das gegenseitige Vertrauen, dem jeweils anderen im Ernstfall zur Seite zu springen.

Symbolik kann Merz besser als Scholz

Friedrich Merz, für den es am nächsten Tag erst zur Marine nach Rostock geht und später zum deutsch-französischen Ministerrat mit Gesprächen über eine vertiefte Sicherheitskooperation, weiß die Macht solcher Bilder besser einzuschätzen als sein Vorgänger Olaf Scholz. Die vom SPD-Kanzler angekündigte, aber kaum verkörperte Zeitenwende nimmt unter seinem Nachfolger weiter Fahrt auf.

Die Ampelregierung hatte mit dem „Sondervermögen“ der Bundeswehr erst einmal nur das Nötigste finanziert. Das Schuldenbremsen-Mikado von Union und FDP nach dem Motto „Wer sich zuerst bewegt, verliert“ vereitelte jedoch eine frühere Anerkennung der neuen Realität, dass an vielen Fronten mehr getan werden muss – für die Ukraine, für ein von den USA unabhängigeres Europa, zur Abwehr feindlicher Drohnenspionage, bei Geheimdiensten oder Zivilschutz.

Wer das als Propaganda abtut, kann beklagen, dass nun Milliarden für manches andere fehlen. Wer hingegen russische Politiker oder Fernsehkommentatoren über Angriffe auf die Bundesrepublik schwadronieren hört, wird eher fragen, ob sich Deutschland für die Abwehr dieser möglichen Gefahr schnell genug wappnet.

Das Tempo mag angesichts des sicherheitspolitischen Dämmerschlafs früherer Jahre atemberaubend erscheinen. Gemessen an der Aufgabe spricht aber viel dafür, dass es noch zu langsam ist. Das gilt speziell für das Personal der Bundeswehr.

An der Personalfrage entscheidet es sich

Bei der Beschaffung neuer Waffensysteme und Ausrüstung hat sich schon viel getan, das neue Wehrdienstmodell hingegen kommt spät. Und auch nach dreieinhalb Jahren Zeitenwende kann die Truppe nicht fest mit der Stärke planen, die ihre Strategen zur Verteidigung für notwendig halten.

Die schwarz-rote Bundesregierung handelt sicherheitspolitisch längst nicht überall so konsequent, wie sie das mit der Grundgesetzänderung zur Finanzierung der Wehraufgaben selbst vorgemacht hat. Auch sie schreckt vor den Konsequenzen zurück, die sich aus den hohen Nato-Personalvorgaben ergeben.

Eine echte Verschlankung der Verwaltungsebene, durch die bereits verpflichtete Soldatinnen und Soldaten wieder für ihre eigentliche Aufgabe zur Verfügung stünden, ist bisher ausgeblieben. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, was passiert, wenn das neue Freiwilligenmodell nicht genug junge Menschen anlockt. Kann dann noch rechtzeitig umgesteuert werden, wie Pistorius’ SPD glauben machen will? Oder ist das illusorisch und gefährlich, wie die Union meint?

Sicher ist nur, dass die angestrebten Zahlen noch gar nicht den Bedarf berücksichtigen, der entstünde, wenn Deutschland einen etwaigen Waffenstillstand in der Ukraine mit Friedenstruppen abzusichern helfen müsste. Für eine solche Aufgabe, die die Amerikaner nicht mehr übernehmen wollen, ist die bundesrepublikanische Gesellschaft erst recht noch nicht gerüstet.

Das Militär aber drängt. Ihm bereitet die Zeit, in der die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr noch nicht wieder voll hergestellt ist, zunehmend Sorgen. Die politisch Verantwortlichen kennen diese, handeln aber nur bedingt danach.

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