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Die Gaspipeline Nord Stream 1 - hier die Anlandestation in Lubmin - ist für Wartungsarbeiten stillgelegt.

© Hannibal Hanschke/Reuters

Kanada erlaubt Turbinen-Lieferung für Nord Stream: Fließt bald wieder mehr Gas nach Deutschland?

Russland erklärte gedrosselte Gaslieferungen auch mit einer fehlenden Turbine. Ein Kompromiss der Bundesregierung soll die Lage verbessern.

Seit 7 Uhr Ortszeit am Montagmorgen zeigen in der Verdichterstation Portowaja westlich der russischen Stadt Wyborg die Instrumente, die den Gasdruck anzeigen, auf Null. Durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 fließt kein Gas mehr. Die angekündigten Wartungsarbeiten sollen offiziell in zehn Tagen beendet sein. Im politischen Berlin würde allerdings wohl niemand darauf wetten, dass Ende kommender Woche wieder Gas durch die beiden Röhren fließt – und wenn doch, wieviel. Dies gilt letztlich als politische Entscheidung des Kremls.

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Schon im Juni hatte der Energiekonzern Gazprom die Leistung der Pipeline heruntergefahren, seitdem ist sie nur zu knapp 40 Prozent ausgelastet. Als Grund gab der Konzern eine fehlende Turbine an, die vom Hersteller Siemens Energy zur Wartung nach Kanada geschickt worden war. Wegen der auch von Kanada gegen Russland verhängten Sanktionen konnte die Turbine aus Montreal nicht mehr nach Russland zurückgeschickt werden. In Berlin wird bezweifelt, dass die Leistung der Pipeline wegen der fehlenden Turbine so deutlich reduziert werden musste.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzte sich dennoch bei der kanadischen Regierung für eine Ausnahmegenehmigung ein, damit die Turbine nach Russland zurückgeschickt werden kann. Habeck argumentierte, Moskau schiebe die Turbine als Grund für die Drosselung vor, und Kanadas Zusage würde Russland diesen Vorwand nehmen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll Kanadas Premierminister Justin Trudeau beim G7-Gipfel ebenfalls dazu gedrängt haben, der Ausfuhr der Turbine zuzustimmen.

Die Regierung in Ottawa sah sich nun von zwei Seiten unter Druck: von den Deutschen und von den Ukrainern, die dringend vor einem Aufweichen der Sanktionen warnten. Die Regierung in Ottawa entschied sich für die Ausnahmegenehmigung, die aber „zeitlich befristet und widerrufbar“ sein soll.

Sie ging auf einen von Habeck vorgeschlagenen Kompromiss ein, ohne den die Zustimmung nicht erfolgt wäre. Die Turbine wird aus Montreal nicht direkt nach Russland geschickt, sondern nach Deutschland und von dort weiter an ihren russischen Bestimmungsort.

Deutschland sieht keinen Verstoß gegen EU-Sanktionen

Verstößt damit nicht Deutschland gegen die Russland-Sanktionen der EU? Nein, sagt die Bundesregierung. Schließlich sei es so, dass die EU-Sanktionen „den Gastransit nicht betreffen“, betont eine Sprecherin. Zur Sicherheit klärte das Wirtschaftsministerium diese Frage vorab mit der EU-Kommission. Die Turbine soll nun offenbar mit dem Flugzeug aus Kanada nach Deutschland geflogen werden.

[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus mehr Hintergründe zur Abschaltung von Nord Stream 1 und dem befürchteten Lieferstopp.]

Beim Transport sei die Bundesregierung nicht eingebunden, zuständig sei Siemens Energy, hieß es. Das Unternehmen teilt auf Nachfrage lediglich mit, Ziel sei es, die Turbine „so schnell wie möglich zu ihrem Einsatzort zu transportieren“. Derzeit arbeiteten Experten „mit Hochdruck an allen weiteren formalen Genehmigungen und der Logistik“.

Die russische Wirtschaftsplattform „Kommersant“ hatte zuvor dagegen unter Berufung auf nicht genannte Quellen aus dem Umfeld von Gazprom berichtet, der Einsatz der Turbine könnte sich bis nach Ende der Wartungsperiode verzögern. Allerdings war das Blatt davon ausgegangen, das Gerät werde auf dem Seeweg nach Deutschland transportiert, was mindestens zwei Wochen in Anspruch genommen hätte.

Wie „Kommersant“ weiter berichtete, werde die Turbine ohnehin mindestens bis zum 14. Juli im Reparaturwerk in Montreal getestet. Nicht mehr einsatzfähig sind nach russischen Angaben zwei weitere Turbinen.

Reduzierte Lieferungen auch durch die Ukraine

Auch nach der Einigung mit Kanada bleibt unklar, ob Gazprom überhaupt die Absicht hat, die Lieferungen wieder hochzufahren. Bei den turnusmäßigen Wartungsarbeiten in den vergangenen Jahren hatte der Konzern zum Ausgleich Kapazitäten in den Transitleitungen durch die Ukraine gebucht. In diesem Jahr nutzte Gazprom diese Möglichkeit nicht.

Derzeit fließen durch die Ukraine noch rund 40 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag. Der ukrainische Betreiber GTS gab im Frühjahr bekannt, er könne die Arbeit des Verdichters „Sochranowka“ nicht länger gewährleisten. Die Station war im Zuge der russischen Aggression im Osten der Ukraine unter die Kontrolle der Luhansker Separatisten, faktisch also Russlands, geraten. Über einen weiteren Verdichter in Sudsha fließt jedoch noch immer russisches Gas nach Westeuropa. Die Durchleitungskapazitäten werden nur zur Hälfte genutzt. An einer Erhöhung hat Gazprom offensichtlich kein Interesse.

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Am Sonntag, kurz vor der Abschaltung von Nord Stream 1, erhielt Deutschland ein Viertel der gesamten an diesem Tag bezogenen Gasmenge aus Russland. Deutschland hat in den vergangenen Monaten die Abhängigkeit von russischem Gas deutlich reduziert.

Die Gasspeicher des Landes sind derzeit zu 65 Prozent gefüllt, bis Anfang November sollten nach den Plänen der EU-Energieminister 80 Prozent erreicht sein. Doch eine weitere Befüllung der Speicher klappt aus Sicht von Experten nur, wenn weiterhin Gas durch die Ostseepipeline fließt.

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