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Olaf Scholz (SPD,r), Bundesminister der Finanzen, und Norbert Walter Borjans, designierter SPD-Parteivorsitzender.

© Kay Nietfeld/dpa

Gegen die thematische Verzwergung: Die SPD muss mehr sein als ein paar Milliardenforderungen fürs Soziale

Die Partei sollte sich nicht länger nur auf die Sozialpolitik konzentrieren. Es braucht ein Zukunftsprogramm – und ein Bekenntnis zur GroKo. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel war SPD-Vorsitzender und mehrfach Bundesminister. Er ist Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört. Gabriel ist außerdem Vorsitzender der Atlantik-Brücke.

Die jüngsten Entwicklungen in der deutschen Sozialdemokratie machen es für viele Beobachter und (ehemalige) Wählerinnen und Wähler nicht leicht, noch an eine Zukunft dieser ältesten demokratischen Partei auf dem europäischen Kontinent als gestalterische Kraft zu glauben.

Pessimisten sind bekanntlich Optimisten, die zu viel wissen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es gerade das Wissen um die Geschichte der Sozialdemokratie ist, was uns Gründe für einen durchaus optimistischen Blick auf die Fortsetzung der mit ihr verbundenen Ideengeschichte liefert.

Die Vorstellung von einer Welt, in der Bedingungen herrschen, unter denen der Lebensweg eines jeden Menschen offen ist und nicht durch Geburt, Einkommen der Eltern, Religion, Hautfarbe oder Geschlecht bereits entschieden ist, wie das Leben verläuft, ist heute so attraktiv wie vor 156 Jahren bei der Gründung der sozialdemokratischen Bewegung.

Freiheit nicht nur von Not und Unterdrückung, sondern vor allem zu einem selbstbestimmten Leben ist die leidenschaftliche Idee der Sozialdemokratie, soziale Gerechtigkeit das Unterpfand dieser Freiheit. Deshalb heißt eines der bekanntesten Bücher Willy Brandts auch „Links und frei“ – und nicht „Links und sozial gerecht“. Offen ist allerdings, ob das „Gefäß“, in der diese Ideen entwickelt, geschützt und unter das Volk gebracht werden, noch die heutige Sozialdemokratische Partei Deutschlands sein wird. Das ist nach wie vor möglich, aber eben keineswegs sicher.

Die SPD und die GroKo: Drinbleiben oder rausgehen?

Schaut man auf die SPD im Dezember 2019, so fühlt man sich sofort an den Dezember 2017 erinnert: Immer noch ringen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten um die Frage, ob sie mit den Unionsparteien eine sogenannte „Große“ Koalition bilden sollen oder nicht. Es ist fast so, als habe die Zeit stillgestanden, als habe es keine Koalitionsverhandlungen und keine Urabstimmung in der SPD über den Koalitionsvertrag gegeben und als hätten sich zwei Drittel ihrer Mitglieder nicht klar für den Eintritt in die Regierung entschieden.

Denn über dem gesamten Prozess der Auswahl des neuen Führungsduos dieser ältesten deutschen Partei lag immer die schwere Last dieser Entscheidung: drinbleiben oder rausgehen?

Die SPD wird weiter in der Regierung bleiben

Manche Kandidatinnen und Kandidaten sprachen sich dezidiert dafür aus, manche dezidiert dagegen und andere – wie die Gewinner des sozialdemokratischen Contests Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans – widersprachen sich sogar. Nun bekommt die SPD eine Führung, bei der eine Co-Vorsitzende die „Große Koalition für Mist“ hält, der andere Co-Vorsitzende aber gern Neues und Zusätzliches mit der CDU/CSU verhandeln möchte, um drinzubleiben. Anders sah es auch in der SPD-Führung 2017 nicht aus.

Und auch die Entscheidung des SPD-Bundesparteitags an diesem Wochenende wird genauso ausfallen wie die Entscheidung vor zwei Jahren: Natürlich bleibt die SPD auch unter Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in der Bundesregierung, assistiert vom Juso-Chef Kevin Kühnert. Wie 2017 ist die Angst vor Neuwahlen und dem Verlust von sehr vielen Mandaten im Deutschen Bundestag der Grund für den Verbleib in der Bundesregierung. Niemand will verantwortlich sein für das mit schnellen Neuwahlen verbundene politische Desaster für die SPD – allen voran nicht Juso-Chef Kühnert, weil seine politische Karriere damit sofort beendet wäre.

Insbesondere ihm würde die Schuld an dieser Niederlage zugeordnet, weil er seit zwei Jahren keine Gelegenheit ausgelassen hat, gegen die Große Koalition zu polemisieren. Und das entgegen dem klaren Votum der SPD-Mitglieder, die ja mit einer Zweidrittelmehrheit für die Regierungsbeteiligung der SPD gestimmt hatten. Das nennt man wohl Basisdemokratie à la carte: Sie ist wichtig, wenn man sie für die eigene Argumentation gebrauchen kann und wird ignoriert, wenn das Gegenteil der Fall ist.

[Mehr zum Thema: Wie geht es mit der SPD weiter? Alles zum SPD-Parteitag in unserem Newsblog]

Den Widerspruch zwischen öffentlichen Ankündigungen und tatsächlichem Verhalten nennt man in der Politik „taktieren“. Und genau hier liegt das Problem: Ein angstgetriebener, taktisch motivierter Verbleib in der Großen Koalition verlängert das Leiden der SPD. Angst ist nie ein guter Ratgeber. Natürlich ist es richtig, in der Bundesregierung zu bleiben, nachdem man sich einmal dafür entscheiden hat.

Aber dann mit Selbstbewusstsein, aus innerer Überzeugung und mit Engagement und Mut. Genau das aber strahlt die SPD in dieser Regierungskonstellation nicht aus.

Das prägte auch den gesamten Auswahlprozess für die neue Parteispitze: Niemand aus der bisherigen SPD-Spitze traute sich, den Mitgliedern der SPD eine Orientierung zu geben. Stattdessen zogen sich die sichtbarsten Repräsentanten darauf zurück, „neutral“ sein zu wollen. Bloß raushalten, war die Devise.

Die Mitgliederentscheidung war eine Flucht aus der Verantwortung

Die SPD-Mitglieder sollten das Führungsproblem der SPD lösen, hinter dem sich das eigentliche Schisma der Partei verbirgt: Regieren oder lieber in die scheinbar bequeme Opposition wechseln? Weil die für dieses personelle wie politische Problem Verantwortlichen sich nicht trauten, selbst eine klare Antwort zu geben, flüchteten sie sich in einen Mitgliederentscheid über den Vorsitz der SPD. Ein Mitgliederentscheid nicht etwa zur Stärkung demokratischer Beteiligung in der SPD, sondern als Flucht aus der Verantwortung. Entsprechend schlecht war die Beteiligung.

Am Anfang gab es nicht einmal einen sichtbaren Kandidaten für den „Regierungsflügel“ der SPD, bis sich dann wenigstens Olaf Scholz aus der Deckung traute. Nur erhielt er keinerlei kämpferische Unterstützung von denen, für die er eigentlich politisch stehen sollte. Statt von Ort zu Ort, von Landesverband zu Landesverband zu ziehen, um unter den Mitgliedern für eine regierungswillige SPD zu werben, zu argumentieren und das mit Emotionalität und Verve zur eigenen Sache zu machen, gab es ein paar Lippenbekenntnisse und Ergebenheitsadressen der Ministerinnen und Minister der SPD und anderer Meinungsträger in der SPD. Das war’s.

Keine klare Führung erkennbar

Diejenigen, die das ganze Desaster der Abstimmung eingeleitet hatten, schlugen sich in die Büsche. Weder vom Generalsekretär der SPD noch von den drei Übergangsvorsitzenden war eine klare politische Führung erkennbar. Denn keiner wollte sich die Finger verbrennen an der über allem stehenden Frage: Rein oder raus aus der Bundesregierung. Alle dachten nur an ihr politisches Leben hinterher.

Wie man es anders machen kann und am Ende die SPD-Mitglieder überzeugt, konnte man an den beiden vorangegangenen Urabstimmungen der SPD erkennen. Aber ohne klare Strategie, ohne inneres Engagement, ohne Mut zur Führung und ohne den Mut, notfalls auch das Scheitern hinzunehmen, lässt man die Mitgliedschaft der SPD orientierungslos allein. Zweimal haben sich rund 50 Prozent der SPD-Mitglieder enthalten. Das Vorsitzenden-Duo erhielt für seinen Kurs, von dem viele seiner Wählerinnen und Wähler dachten, er führe aus der Großen Koalition heraus, gerade mal die Zustimmung von etwa 25 Prozent der Mitglieder.

SPD leugnet permanent die eigenen Regierungserfolge

Das Ergebnis wird jetzt ein Parteitagsbeschluss sein, der sicher eine große Mehrheit findet, weil er genug Formelkompromisse beinhaltet, damit sich jeder irgendwo wiederfinden kann. Dazu kommen Standing Ovations für alle, die sich mutig dem Auswahlprozess gestellt haben – insbesondere für Olaf Scholz, weil er trotz der bitteren Niederlage „dabeibleibt“  – und das große Versprechen aller Beteiligten, die SPD jetzt wieder „zusammenzuführen“ – nachdem man sie erst mal gespalten hat. Marcel Reich-Ranicki würde sagen: „Das Stück ist aus, man schaut betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Nichts verunsichert Wählerinnen und Wähler so sehr, wie die permanente Leugnung eigener Regierungserfolge. Exakt darin aber hat es die SPD zur Perfektion gebracht und nichts beherrscht sie so gut wie das Spiel „Wir gegen uns“. Wenn eine Partei sich selbst nicht lobt, sondern geradezu verliebt darin ist, sich selbst infrage zu stellen, die eigenen Regierungsmitglieder mit maßloser Kritik zu überziehen und trotz nachweisbaren Erfolgs permanent die eigene Regierungsbeteiligung zur Disposition stellt, muss sie sich nicht wundern, wenn Wählerinnen und Wähler ihr auch nichts zutrauen.

Viel schlimmer als diese Teilnahmslosigkeit der Parteiführung und das offenbar gar nicht mehr existente Störgefühl der führenden Akteure, die sich offenbar an den Zustand einer 13- bis 14-prozentigen SPD gewöhnt zu haben scheinen, ist aber die thematisch-strategische „Verzwergung“ der Gesamtpartei auf das Segment des Sozialen.

SPD-Kandidatensuche: Wie eine monothematische Talkshow

In dem über fünf Monate dauernden Auswahlverfahren und speziell bei der sechswöchigen Tour der Kandidatenteams wurde die ehemals programmatische Breite der Volkspartei SPD limitiert auf eine sozialpolitische Bewegung, wobei das Verfahren selbst kaum inhaltliche Akzente zuließ und elementare Themen weitgehend ausgespart wurden. Es war wie in einer monothematischen Talkshow: Alle versuchten mit mehr oder weniger gestanzt oder leidenschaftlich vorgetragenen Minuten-Statements Applaus abzuholen.

Niemand erklärte mal etwas ausholender die Komplexität der Welt, die schwierigen Entscheidungen, die unserem Kontinent und unserem Land bevorstehen oder skizzierte ein Bild von der Zukunft unseres Landes, das seit dem Beginn der Industrialisierung von den komparativen Vorteilen im internationalen Wettbewerb seine Stellung als Wohlstandsgesellschaft durch unzählige Frauen und Männer als Unternehmer wie Beschäftigte hart erkämpft hat und verteidigen müssen wird, weil unsere wirtschaftlichen Konkurrenten beträchtlich aufgeholt haben.

Nein, das alles kam nicht zur Sprache. Stattdessen ein „Bällewerfen“ am Ende der Tour im Münchener Löwenbräu-Keller – mit dem man es endlich mal wieder kurz in die 20-Uhr-Nachrichten und auf die Titelseiten – wenn auch nur am Rande – der Tageszeitungen schaffte. Das erschöpfte Aufatmen der Beteiligten und der Beobachter war deutlich vernehmbar.

Instabilität ist ein Geschenk für Kramp-Karrenbauer

Ich will nicht darüber spekulieren, was danach passiert. Aber die Unionsparteien können sich eigentlich beruhigt zurücklehnen und die neue SPD-Führung kommen lassen. Im Zweifel verweisen CDU/CSU auf den beschlossenen Koalitionsvertrag, die von der SPD selbst gelobte Leistungsbilanz der „Großen“ Koalition – und lehnt alle neuen SPD-Forderungen schlicht ab oder ergänzt sie mit eigenen Forderungen, die vor allem für die SPD unverdauliche beinhalten dürften.

Frau Kramp-Karrenbauer jedenfalls dürfte die Instabilität der SPD als großes Geschenk empfinden. Die Sozialdemokraten stabilisieren nicht sich selbst, sondern die CDU-Vorsitzende, weil sie Härte und Führungskraft gegenüber der SPD zeigen kann. Am Ende steht die SPD wieder vor der Frage: drin bleiben oder raus?

Im letzten Fall bleibt innerhalb von CDU und CSU keine Zeit, um der CDU-Vorsitzenden die Kanzlerkandidatur streitig zu machen. Die SPD aber ginge ohne klares Profil und ohne programmatische Antworten auf die Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts in die Bundestagswahlen. Sie landet dann dort, wo sich viele derzeit hin wünschen: in der Opposition. Allerdings vermutlich in deutlich verringerter Parlamentsstärke als heute.

Wenn sie das noch verhindern will, muss sie etwas nachholen, was weder in den beiden zurückliegenden Jahren noch im Wettbewerb um die neue Führungsspitze der SPD gelang: Eine wirkliche Zukunftsdebatte darüber führen, was eigentlich das Ziel sozialdemokratischer Politik für Deutschland und Europa im kommenden Jahrzehnt sein soll. Und das ist etwas völlig anderes, als ein paar neue Milliardenforderungen für Sozialausgaben zu stellen.

Die nächsten zehn Jahre werden für Deutschland entscheiden

Es ist ohnehin erstaunlich, dass sich innerhalb der SPD niemand wundert, dass die Sozialdemokratie nachweislich zwar milliardenschwere neue Sozialleistungen durchsetzt, die Wahlergebnisse sowohl von Union wie der SPD aber schlechter und nicht besser werden. Die SPD handelt nach dem Motto: Wenn die Medizin nicht wirkt, erhöhen wir einfach die Dosis.

Konsequenterweise fordert die neue SPD-Führung eine drastische Erhöhung der Mindestlöhne und neue Milliardenprogramme für die Kindergrundsicherung. Wählerstimmen kann man aber nicht kaufen. Gesucht wird vielmehr Orientierung in einer sich dramatisch verändernden Welt, die von der deutschen Politik insgesamt heute offenbar nicht gegeben wird.

Denn die nächsten 10 Jahre werden ganz wesentlich darüber entscheiden, ob und wie Wohlstand, soziale Sicherheit, innerer und äußerer Frieden und ökologische Nachhaltigkeit in unserem Land, aber auch auf dem gesamten europäischen Kontinent gesichert und neu geschaffen werden können.

Wie schaffen wir sichere und vor allem gut bezahlte Arbeit für alle in einer sich immer rasanter beschleunigenden digitalen Arbeitswelt? Wie bleibt Deutschland innovativ und wirtschaftlich erfolgreich, weil nur dann soziale und ökologische Herausforderungen auch bewältigt und bezahlt werden können? Wie verhindern wir, dass der notwendige Klimaschutz blind ist für die soziale Ungleichheit im Land? Welche Ideen gibt es für eine neue Friedens- und Sicherheitsarchitektur in Europa mit Russland? Wie erhalten wir die deutsche und europäische Souveränität in einer Welt, in der sich immer mehr die USA und China in einen neuen kalten Krieg 2.0 hineinbewegen?

Recht haben statt recht bekommen

Keine dieser Zukunftsfragen bestimmte die programmatische Diskussion der letzten zwei Jahre und auch nicht den Wettbewerb der Kandidatinnen und Kandidaten. Niemand beantwortete die Frage, wie Deutschland im Jahr 2030 aussehen soll, obwohl wir gerade am Anfang eines so ungeheuer entscheidenden Jahrzehnts stehen.

Stattdessen ging es darum, innerparteilich eine links klingende Forderung nach der anderen aufeinanderzutürmen, um genug Stimmen zu sammeln. Jeder mag sich selbst fragen, welcher große Zukunftsentwurf ihm eigentlich von den Bewerber-Duos in Erinnerung geblieben ist. Stattdessen ging es um Personen und die sich dahinter verbergende Obsession des Streits um die Große Koalition. Nicht selten hatte man den Eindruck, es gehe wie so oft in der SPD ums recht haben und nicht ums recht bekommen.

Norbert-Walter Borjans (SPD, l) geht nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung zum SPD-Vorsitz im Willy-Brandt-Haus neben Kevin Kühnert (SPD, r), Bundesvorsitzender der Jusos.
Norbert-Walter Borjans (SPD, l) geht nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung zum SPD-Vorsitz im Willy-Brandt-Haus neben Kevin Kühnert (SPD, r), Bundesvorsitzender der Jusos.

© Kay Nietfeld/dpa

Dabei liegen die Aufgaben für eine der Zukunft zugewandte sozialdemokratische Partei auf der Hand: In Deutschland muss die SPD einen neuen Anlauf wagen, um wieder den aktivierenden und emanzipationsorientierten Charakter des Sozialstaats zu entdecken, statt den passiven und oft genug überbürokratisierten Sozialhilfestaat immer weiter auszubauen. Weil er auf diese Emanzipation baute, also auf die Fähigkeit, aus dem eigenen Leben mehr zu machen, war der Sozialstaat die größte zivilisatorische Leistung des 20. Jahrhunderts.

Ja, natürlich wollten und sollten die sozialstaatlichen Sicherungsinstrumente denjenigen helfen, die ein schwieriges und oft genug bitteres Lebensschicksal hatten oder aufgrund von Krankheit, Alter oder Pflegebedürftigkeit auf die Hilfe der Solidargemeinschaft angewiesen waren. Aber er war noch mehr: Der Sozialstaat wollte Bedingungen für ein gelungenes Leben für jedermann schaffen.

Das gelungene Leben selbst muss jeder Mensch in die eigenen Hände nehmen. Aber Bedingungen dafür schaffen, dass das auch für jeden Menschen möglich ist – egal aus welchen Verhältnissen man stammt, wie viel Geld die Eltern verdienen oder welches Geschlecht oder Hautfarbe man besitzt –, das war das eigentliche Ziel der Sozialstaatsidee.

Und nach außen gerichtet muss die SPD die Veränderungen in der Welt, die Herausforderungen durch globale Migration, die neue Solidarität in Europa durch Separationsbewegungen, die Alltagsprobleme der Menschen in Deutschland, den Wunsch von schlecht bezahlten Menschen nach neuen Sicherheiten und Mechanismen neu beantworten müssen. Das kann sie nur, wenn sie die Zukunft nicht immer nur als Zumutung empfindet, sondern als Herausforderung, die man bewältigen kann und will.

Die Sozialdemokratie war einst eine optimistische Bewegung. Im Angesicht selbst der aufkommenden Nazis hieß es in einem alten Lied der Arbeiterbewegung: „Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt! Wir sind der Sämann, die Saat und das Feld! Wir sind die Schnitter der kommenden Macht, wir sind die Zukunft, wir sind die Tat!“

Hoffnungsüberschuss machte die SPD stark

Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung verstand sich als Fortschrittsbewegung. Nicht nur im technologischen Sinn, sondern technischer und wirtschaftlicher Fortschritt war für sie immer gleichbedeutend mit einem Mehr an Gerechtigkeit, einem Mehr an Freiheit und einem Mehr an Solidarität.

Dieser Hoffnungsüberschuss machte die SPD stark und selbstbewusst selbst in düstersten Zeiten. Das kann man nicht einfach kopieren oder anordnen. Aber es muss die Haltung derjenigen sein, die diese Partei anführen. Oskar Lafontaine hat einmal gesagt: „Nur wer von sich selbst überzeugt ist, kann andere überzeugen.“ Er hat nicht immer recht gehabt, aber hier hatte er recht.

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