zum Hauptinhalt
Die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim während der Bauarbeiten

© dpa/Andreas Arnold

Update

Generalsanierte Riedbahn: Wissing verspricht pünktlichere Bahn – viele Experten sind skeptisch

Mit der Generalsanierung von Hauptstrecken will Verkehrsminister Wissing die Bahn aus der Krise holen. Nun ist das erste Projekt fertig – weitgehend pünktlich. Doch die Kritik ist groß.

Stand:

Zu Ostern wollte Verkehrsminister Volker Wissing (parteilos) den entnervten Bahnreisenden etwas Hoffnung geben. Nach der Sanierung der Riedbahn versprach er ihnen pünktlichere Züge. Die vielbefahrene Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim sei für „sehr viele“ Zugverspätungen verantwortlich, sagte Wissing. „Jeder siebte Fernzug passiert diese Strecke. Aufgrund des schlechten Zustands gibt es dort mindestens eine Betriebsstörung täglich.“

Wenn die Riedbahn saniert sei, „sollte es dort zumindest keine netzbedingten Betriebsstörungen mehr geben“, so Wissing. „Und das wiederum macht sich positiv im gesamten Netz bemerkbar.“

Nun kann Wissing Vollzug melden. Nach einer fünfmonatigen Vollsperrung, in der die Strecke von Grund auf erneuert wurde, gab Wissing die Strecke am Samstagmorgen zusammen mit Bahnchef Richard Lutz symbolisch wieder frei. „Das neue Bahnsanierungskonzept funktioniert“, sagte Wissing. „Damit befinden wir uns auf dem Weg zu einer pünktlichen und zuverlässigen Eisenbahn.“ Mit dieser Herangehensweise werde es gelingen, das Bestandsnetz in kürzester Zeit in einen modernen Zustand zu versetzen.

„Keine netzbedingten Störungen mehr“: Verkehrsminister Volker Wissing ist von dem Sanierungskonzept der Bahn überzeugt.

© dpa/Andreas Arnold

Ab Sonntag fahren die Züge dann wieder regulär auf der Riedbahn. Dann können die Fahrgäste überprüfen, wie viel die Sanierung ihnen wirklich bringt.

Hat die Bahn alle Arbeiten erledigt?

Zumindest baulich ist die Sanierung der Strecke weitgehend geglückt. In fünf Monaten hat die Deutsche Bahn 117 Kilometer Gleise, 152 Weichen, 140 Kilometer Fahrdraht, 230.000 Schwellen und 380.000 Tonnen Schotter ausgetauscht. 15 Kilometer Lärmschutzwände hat der Konzern gebaut, 20 Bahnhöfe erneuert. So viel hat die Deutsche Bahn (DB) noch nie in so kurzer Zeit geschafft.

Alle geplanten Arbeiten sind nach fünf Monaten aber noch nicht abgeschlossen. Für den Abzweig der Riedbahn nach Worms und einige Nebengleise fehlen noch einige Abnahmen an der Signaltechnik. Deshalb können noch nicht alle Regionalzüge wieder fahren. Zudem sollen Güterzüge die Strecke vorerst nur nachts nutzen.

In Summe stehe der Fern- und Regionalverkehr für rund 95 Prozent der üblichen Fahrgäste ab dem 15. Dezember wieder zur Verfügung, teilte die Deutsche Bahn mit. „Ab dem 24. Dezember können sämtliche Regional- und S-Bahn-Züge wieder regulär fahren“, erklärte die Bahn am Samstag.

Der Privatbahnen-Verband Mofair findet diese Formulierungen verräterisch. Auf der Riedbahn könnten derzeit zwar 95 Prozent der Kunden, aber nicht 95 Prozent aller Züge fahren, teilt der Verband auf LinkedIn mit. „Bauarbeiten abgeschlossen“ heiße bei der Riedbahn eben nicht: „Alles ist fertig“, kritisiert Mofair.

Eine Verzögerung gibt es auch bei der Inbetriebnahme der neuen digitalen Zugsicherungstechnik ETCS. In diesem Jahr soll sie nur im Süden der Riedbahn zwischen Mannheim und Lampertheim an den Start gehen. Erst im zweiten Quartal 2025 will die Bahn ETCS entlang der gesamten Riedbahn nutzen. Auf den betroffenen Abschnitten können die ICE-Züge deshalb vorerst statt 200 nur 160 Stundenkilometer fahren.

Die effektive Fahrzeit der Züge verlängert sich dadurch laut der Bahn um rund 40 Sekunden. Merken sollen das die Fahrgäste allerdings nicht, denn im Fahrplan hat die Bahn einige Minuten Puffer. Er soll nun genutzt werden um, fehlendes ETCS auszugleichen.

Das bedeutet auch, dass weniger Puffer bleibt, um andere etwaige Verspätungen auszugleichen. Die Zuverlässigkeit verringert sich – dabei sollte die Riedbahn-Sanierung gerade diese erhöhen. Zudem gehen einige unabhängige Experten davon aus, dass das fehlende ETCS mehr Zeit kostet.

Gelingt es der Bahn tatsächlich, ETCS bis Mitte 2025 zum Laufen zu bringen, wäre das angesichts des Umfangs der Sanierungsarbeiten allerdings eine verkraftbare Verzögerung.

Wie viel pünktlicher werden die Fernzüge?

Auch bei der Bahn halten viele Wissings Ankündigung, dass allein die Riedbahn-Sanierung den Fernverkehr pünktlicher macht, für übertrieben. „Was bringt es uns, wenn die Züge auf der Riedbahn pünktlich fahren, wenn sie danach vor dem blockierten Frankfurter Hauptbahnhof stehen?“, fragt ein Bahnmanager im vertraulichen Gespräch.

Die überlasteten Bahnknoten wie Frankfurt, die Region Rhein-Ruhr und Hamburg gelten tatsächlich als einer der Hauptgründe dafür, dass nur noch rund zwei Drittel aller Fernzüge pünktlich ankommen. Die Politik hat das Problem auch erkannt. So ist in Frankfurt etwa ein neuer Tunnel unter dem Main geplant, um die überlastete Zufahrt zu dem Kopfbahnhof über die Niederräder Brücke zu entlasten. Doch das Projekt befindet sich erst in einer mittleren Projektphase, die Umsetzung wird noch viele Jahre dauern.

Auch was Verspätungen durch pannenfällige Technik angeht, wird die Riedbahn-Sanierung allein die Situation nicht entscheidend verbessern. Schließlich sollen nach der Riedbahn bis 2030 noch 40 weitere Bahnhauptkorridore generalsaniert werden.

Doch bisher ist die Finanzierung nicht gesichert. Bahninfrastrukturvorstand Berthold Huber bezifferte die Kosten hierfür und für die Digitalisierung des Netzes einst mit 45 Milliarden Euro. Nach dem Schuldenbremsen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann Wissing der Bahn aber nur 27 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Nun kommt durch die vorläufige Haushaltsplanung weitere finanzielle Unsicherheit für die Bahn hinzu.

Sind die Generalsanierungen zu teuer?

Immer mehr Bahnexperten außerhalb des DB-Konzerns halten die Generalsanierungen für zu teuer. Denn zuletzt stellte die Bahn deswegen viele Neubauprojekte und die schnelle Digitalisierung des Bahnnetzes infrage.

Die Erneuerung der Riedbahn soll 1,3 Milliarden Euro gekostet haben, wobei manche in der Branche eine letzte Kostensteigerung nicht ausschließen. Das ist fast drei Mal so viel wie ursprünglich geplant. Für die nächste Generalsanierung zwischen Berlin und Hamburg veranschlagt die Bahn nach derzeitigem Stand 2,2 Milliarden Euro. Der Druck die Sanierung der Anlagen binnen kürzester Zeit zu schaffen, treibt offenbar die Baupreise nach oben.

Hinzu kommt die massive Einschränkung für die Fahrgäste und die Kunden im Güterverkehr. Die Bahnstrecke Berlin-Hamburg wird die Bahn von August 2025 bis April 2026 neun Monate lang vollständig sperren. 2027 will die Bahn die wichtige ICE-Strecke zwischen Berlin und Lehrte bei Hannover sogar zehn Monate komplett sperren.

Wir gehen fest davon aus, dass eine neue Bundesregierung auch bei diesem Thema einen Kassensturz wird machen müssen.

Mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen

„Wir gehen fest davon aus, dass eine neue Bundesregierung auch bei diesem Thema einen Kassensturz wird machen müssen“, sagt Mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen dem Tagesspiegel. „Saniert werden muss, das ist unstrittig, aber so wird es nicht dauerhaft gehen. Das ist unbezahlbar und verkehrlich auch nicht verkraftbar.“

Auch der Bahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin plädierte diese Woche im ARD-Interview dafür, wieder zum herkömmlichen Sanierungskonzept mit eingleisigen Streckensperrungen zurückzukehren.

Die bayerische Privatbahn Agilis fordert von der Bundesnetzagentur nun, die für 2026 geplante Generalsanierung der Strecke Nürnberg–Regensburg zu stoppen. Sie hält ihren finanziellen Schaden von 44 Millionen Euro durch die geplante fünfmonatige Vollsperrung für unzumutbar. Der Ausgang des Verfahrens wird in der Bahnbranche mit Spannung erwartet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })