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Von Russland nach Europa. Inzwischen wird bereits Nord Stream 2 durch die Ostsee verlegt.

© imago/ZUMA Press

Nord Stream und seine Macher: Gier, Gas und Geld

Ein neues Buch beschreibt, wie in Dänemark, Schweden und Finnland massiv Lobbyarbeit für die umstrittene Pipeline durch die Ostsee gemacht wurde.

„Die Spione, die mit der Wärme kamen“ – unter diesem Titel erschien 2017 in Dänemark ein Buch  des Journalisten Jens Høvsgaard über die Entstehungsgeschichte der ersten Ostsee-Pipeline Nord Stream. Damit habe der Autor „eine Handgranate in die dänische Energie- und Sicherheitspolitik geworfen“, urteilte die dänische Zeitung Politiken.

Der Autor beschreibt, wie die Dänen Bedenken gegen die erste Ostsee-Pipeline beiseite schoben, weil sie auf lukrative Geschäfte für die dänische Wirtschaft in Russland hofften. Vor allem aber zeichnet Høvsgaard ebenso detailreich wie spannend nach, warum schon die erste Nord Stream-Leitung kein kommerzielles Projekt war wie jedes andere – und mit welchen Mitteln die Pipeline in den betroffenen Ländern durchgesetzt wurde. Das Buch erschien an diesem Montag auf Deutsch unter dem Titel „Gier, Gas und Geld – wie Deutschland mit Nord Stream Europas Zukunft riskiert“ (Europa Verlag, München, 22 Euro).

Wegen der aktuellen öffentlichen Debatte um Nord Stream 2 zog der Verlag den Erscheinungstermin der deutschen Ausgabe vor. Es ist ein Buch, dem man gerade in Deutschland viele Leser wünscht (allerdings auch eine bessere Übersetzung, da die vorliegende leider einige Fehler enthält).

Geheimdienstleute auf den Posten

Høvsgaard beschreibt, dass die entscheidenden Posten beim russischen Energiekonzern Gazprom mit ehemaligen Geheimdienstleuten besetzt seien. Das Unternehmen Nord Stream wiederum, das die erste Ostsee-Pipeline bauen sollte, wurde – wie heute Nord Stream 2 – von Matthias Warnig geleitet, einem früheren Hauptmann der Stasi. Warnig gilt als einer der einflussreichsten Deutschen in Russland, und vor allem genießt er das Vertrauen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, den er offenbar noch aus der Zeit kennt, in der Putin für den KGB in Dresden stationiert war. 

Die Spione von damals hätten ihre alten Arbeitsmethoden beibehalten, betont Høvsgaard. „In allen Ländern, in denen Gazprom operiert oder das zu tun wünscht, wurden vertrauliche Informationen und Loyalität erkauft.“ 

Der loyalste Unterstützer des russischen Pipeline-Projekts ist von Anfang an Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), der kurz nach seiner Wahlniederlage 2005 als Aufsichtsratschef bei Nord Stream einsteigt. Nicht nur seine guten Kontakte in die Bundesregierung sind für das Projekt von unschätzbarem Wert. „Mit Schröder auf der Gehaltsliste haben sich die Russen auch direkten Zugang zu einer langen Reihe hochrangiger europäischer Sozialdemokraten erkauft“, schreibt Høvsgaard.

Vereinbarungen beim Mittagessen

Im Mai 2007 ruft Schröder den ehemaligen schwedischen Regierungschef Göran Persson an, der im Jahr zuvor ebenfalls abgewählt worden ist. Die beiden früheren Amtskollegen vereinbaren ein gemeinsames Mittagessen. In seiner Regierungszeit äußerte sich der Sozialdemokrat Persson kritisch über die Pläne, eine Erdgasleitung durch die Ostsee zu verlegen, er setzt sich für Klimaschutz ein. Einen Tag nach dem Essen mit Schröder wird bekannt, dass Persson künftig für eine Kommunikationsfirma tätig sein wird, der Job bringt ihm knapp 200.000 Euro im Jahr ein. Der größte Kunde des Unternehmens ist der Energiekonzern Eon, einer der Anteilseigner von Nord Stream. 

Ein Jahr später ruft Schröder wieder einen ehemaligen Amtskollegen an, den früheren finnischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen. Damals habe es in Finnland Schwierigkeiten mit der Prüfung der Umweltverträglichkeit des Projekts Nord Stream gegeben. Schröder, so berichtet es Høvsgaard, habe Lipponen nach Berlin eingeladen. Dort machen ihm der Altkanzler und Warnig ein Angebot: Lipponen soll Berater für Nord Stream werden. Der frühere finnische Regierungschef fragt zu Hause in Helsinki nach, ob die neue Regierung und die Präsidentin darin ein Problem sehen. Weil es offenbar keine Einwände gab, sagt er zunächst für ein Jahr zu.

Gazprom kassiert ab

Høvsgaard betont an dieser Stelle, das Treffen mit Warnig sei wohl nicht Lipponens erster Kontakt mit einem ehemaligen Stasi-Mann gewesen. Der finnische Sozialdemokrat hatte selbst berichtet, die Stasi habe in den 70er Jahren versucht, ihn anzuwerben. Nach Ansicht eines finnischen Ex-Diplomaten und Buch-Autors, den Høvsgaard zitiert, waren die Ostdeutschen damit durchaus erfolgreich: Demnach stehe Lipponen auf einer Liste mit den Namen von 18 bekannten Finnen, die im Kalten Krieg für die Stasi gearbeitet haben sollen. 

Auch den dänischen Botschafter in Berlin besucht Schröder, um mit ihm über die geplante Pipeline Nord Stream und das Genehmigungsverfahren zu reden. Es ärgere den Altkanzler nur, dass die Entscheidungen so lange auf sich warten lassen, berichtet der Botschafter später an das Außenministerium in Kopenhagen. Zugleich habe Schröder die sachorientierte Haltung der Dänen gelobt.

Im Juni 2006 unterzeichnet der dänische Energiekonzern Dong Energy einen Vertrag mit Gazprom über eine Laufzeit von 20 Jahren. Später wird das Liefervolumen in einem weiteren Vertrag noch verdoppelt, so dass die Hälfte des dänischen Gasbedarfs aus Russland gedeckt werden soll. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil Dänemark nie zuvor russisches Erdgas bezogen hat. 

Doch dieser Vertrag kann nur erfüllt werden, wenn Dänemark die erste Ostsee-Pipeline Nord Stream genehmigt. Das passiert wenige Wochen nach der Unterzeichnung. Vorteilhaft ist der Deal jedoch vor allem für Gazprom, der dänische Vertragspartner Dong rutscht nach der Fertigstellung der Pipeline in die roten Zahlen. Später stellt sich heraus, dass die Dänen einen viel höheren Preis pro Kubikmeter Gas bezahlen müssen als die Deutschen oder die Niederländer. Für den Dänen Kurt Bligaard Petersen, der den Vertrag für Dong Energy ausgehandelt hatte, geht die Sache dennoch gut aus: Er rückt in leitende Posten bei Gazprom-Töchtern in Europa auf.

Großzügige Zuwendungen für Gotland

Auf die stärkste Kritik stößt das Projekt aber in Schweden, vor allem auf der Insel Gotland. Høvsgaard beschreibt, wie dort ein Wissenschaftler der Universität zunächst vor negativen Auswirkungen der Pipeline für die Naturschutzgebiete vor Gotland warnte. Denn auf den Sandbänken überwintert ein großer Teil des Bestands einer besonderen Entenart, der Eisente. Wenig später finanzierte Nord Stream der Universität Gotland mit 870.000 Euro ein Projekt zur Erforschung der Eisente – geleitet von dem Professor, der die kritische Stellungnahme verfasst hatte.

Eine ähnlich großzügige Zuwendung erhält Gotlands Museum für archäologische Untersuchungen. Schließlich finanziert das Unternehmen den Ausbau und die Renovierung eines Hafens auf Gotland – und zahlt auch gleich die Hafengebühren im Voraus.  Allein auf Gotland habe das Unternehmen Nord Stream damit 10,8 Millionen Euro ausgegeben, hat der dänische Journalist recherchiert. In Schweden seien insgesamt mehr als 24 Millionen Euro für Lobbyisten ausgegeben worden, die für das Projekt Nord Stream werben sollten.

"Die Pipeline erhält Putins Kleptokratie aufrecht"

Die Zahlungen an den deutschen Altkanzler sind dabei noch gar nicht eingerechnet. 

"Ohne Schröders Netzwerk hätte es Nord Stream und Nord Stream 2 nicht gegeben", sagte Høvsgaard bei der Vorstellung der deutschen Buchausgabe am Montag in Berlin. Dass auch die jetzige Bundesregierung die neue Pipeline unterstützt, sieht der dänische Journalist kritisch. Von dem Projekt profitierten letztlich nur Putin und sein engster Kreis. "Die Pipeline erhält Putins Kleptokratie aufrecht."

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